Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Linke-Aufkleber: Angeklagte wird frei gesprochen
Richterin fehlen die Beweise – Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen bröckelt
WEINGARTEN - Die Frage, wer im Frühjahr an mindestens 18 Orten in Weingarten Aufkleber der Partei „Die Linke“illegal angebracht hat, bleibt weiter unbeantwortet. Auch am zweiten Tag des Prozesses vor dem Ravensburger Amtsgericht gegen eine 19 Jahre alte Frau aus Weingarten konnte nicht abschließend geklärt werden, ob sie für die Tat verantwortlich ist oder nicht. Daher wurde sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen. „Das ist die klassische Situation von Aussage gegen Aussage“, sagte Richterin Julia Schute. „Wenn wir uns keine Überzeugung bilden können, muss es zu ihren Gunsten ausgehen.“
Denn auch am Ende der beiden Prozesstage stand die Aussage eines Zeugens, einem langjährigen Freund der Angeklagten, gegen die der 19Jährigen. Während der Zeuge angegeben hatte, dass die Beschuldigte ihm in einem Gespräch die Tat gestanden hätte, bestritt sie diese vor Gericht – wie auch das besagte Gespräch. Daher waren für den zweiten Verhandlungstag extra vier weitere Zeugen geladen worden, die – laut Hauptzeugen – bei besagtem Gespräch dabei gewesen sein sollen.
Allerdings konnte sich weder der Ex-Freund noch der aktuelle Freund der Angeklagten oder aber zwei Freundinnen an solch ein Gespräch erinnern. Somit verblieb als einzige belastende Aussage die des 19-jährigen Hauptzeugen, der die Ermittler erst auf die Beschuldigte gebracht hatte. Allerdings bröckelte seine Glaubwürdigkeit mit jedem der vier weiteren Zeugen. Gerade der ExFreund untermauerte die Theorie der Angeklagten, dass der 19-Jährige sie aus Eifersucht oder aus Frust über die auseinanderbrechende Freundschaft bei der Polizei angeschwärzt haben könnte.
Denn dass die Freundschaft der Angeklagten und des Hauptzeugen schon vor der belastenden Aussage zerrüttet war, wurde am zweiten Prozesstag noch einmal mehr als deutlich. So berichteten die beiden Freundinnen und der aktuelle Partner
von einer gemeinsamen BerlinReise Anfang August, bei der es erhebliche Spannungen zwischen den beiden Protagonisten gegeben habe. Kurz nach der Rückkehr meldete sich der 19-Jährige bei der „Schwäbischen Zeitung“, die seine Kontaktdaten nach seiner Einwilligung an die Polizei weitergab.
Gerade die zeitliche Abfolge der Ereignisse schwächte die Aussage des Hauptzeugens. Schließlich hatte er am ersten Prozesstag angegeben, dass ihm die Schwere des Deliktes – der Schaden an Laternenmasten und Stromkästen soll sich laut städtischem Ordnungsamt und den Technischen Werken Schussental auf 22 500 Euro belaufen – erst durch einen SZ-Artikel bewusst wurde. Dieser war am 25. Juni veröffentlicht worden. Doch der junge Mann meldete sich erst eineinhalb Monate später, am 13. August, bei der „Schwäbischen Zeitung“– zwei Tage nach der enttäuschenden Berlin-Reise.
Daher kam auch Staatsanwältin Mona Düffert zu dem Schluss, dass die Aussage des Hauptzeugens alleine nicht ausreiche. Zwar deute einiges darauf hin, dass die Angeklagte die Tat begangen haben könnte. Schließlich gäbe es den einen genau gleichen Aufkleber auf einem Stuhl in der Wohnung der Angeklagten und einige Fotos der Beschuldigten vor Aufklebern. Doch das vermeintlich belastende Gespräch habe niemand außer dem Hauptzeugen gehört. Daher beantragte Düffert den Freispruch, den Richterin Schute dann auch verkündete. „Für mich sind beide Varianten gleich plausibel. Es kann sein, dass die Angeklagte hoch gepokert hat und damit nun durchkommt. Es kann aber auch sein, dass der Zeuge eine günstige Gelegenheit genutzt hat, um ihr an den Karren zu fahren“, sagte die Staatsanwältin.
Denn die grundsätzliche Frage, ob die junge Frau für die Tat verantwortlich war oder nicht, konnte schlichtweg nicht beantwortet werden. So hatte der Ex-Freund seine ehemalige Partnerin, zu der er keinen Kontakt mehr habe, eher noch entlastet. „Es wäre auf jeden Fall zur Sprache gekommen“, antwortete er auf die Frage, ob die Beschuldigte ihm von den Aufklebern erzählt hätte, wenn sie es gewesen wäre. Auch er wisse nicht, wer für die Tat verantwortlich sei – genau wie alle weiteren am zweiten Prozesstag geladenen Zeugen.