Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Haslachmühle geht umgekehrten Weg zur Inklusion
Neues Wohn- und Gewerbegebiet öffnet das Dorf für die Bevölkerung – Naturschützer sorgen sich
HORGENZELL – In sozialen Einrichtungen sind Inklusion und Dezentralisierung angesagt: Viele Menschen mit Behinderung wollen nicht in Heimen weitab im Grünen wohnen, sondern sie wollen am öffentlichen Leben teilnehmen. Deshalb gibt es für sie immer mehr Wohngruppen mitten in Städten und Dörfern. Die Haslachmühle, eine Einrichtung der Zieglerschen für Menschen mit Behinderung bei Horgenzell, geht den umgekehrten Weg: Mit zusätzlichem Wohn- und Gewerbegebiet soll das Gelände zu einem Inklusionsdorf wachsen. Dafür wird derzeit der Flächennutzungsplan geändert.
Auf dem Gelände der Haslachmühle wohnen Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Hör-Sprach-Behinderung und zusätzlicher geistiger Behinderung. Im Flächennutzungsplan ist die kleine Siedlung derzeit noch als Sonderbaufläche für körperlich und geistig Behinderte mit Behindertenwerkstätte sowie Wohnungen für das Pflegepersonal und deren Familien verzeichnet. In Zukunft heißt es dort: „Inklusionsort mit Wohnen, Gewerbe, Handwerk und Verwaltungen sowie sozialen, gesundheitlichen und sportlichen Zwecken“. Die Einrichtung wird also auch für andere Nutzungen, wie Wohnen und Gewerbe, und für die gesamte Bevölkerung geöffnet.
In der Dorfmitte soll die bestehende Bebauung mit neuen und sanierten Gebäuden verdichtet werden. Im Norden Richtung Hasenweiler sind zusätzliche Wohnbauflächen geplant. Im Süden soll das Gelände südlich der Kreisstraße K7972 auf beiden Seiten der Rotach um Wohnbau-, Misch- und Grünflächen erweitert werden. Alles in allem wird das Gelände der Haslachmühle um 7,15 Hektar vergrößert. Bereits im Juli hatte die Verwaltungsgemeinschaft Horgenzell-Wilhelmsdorf den Änderungen am Flächennutzungsplan zugestimmt und die öffentliche Auslegung beschlossen. Jetzt hat das Gremium sich mit den Bedenken der Behörden befasst.
Das Regierungspräsidium Tübingen erinnert daran, dass die Mischbaufläche
westlich der Rotach in einem regionalen Grünzug liegt, der von Bebauung freigehalten werden soll. Außerdem liegt ein Teil der Mischbaufläche entlang der Rotach in einem Vorranggebiet für Naturschutz und Landschaftspflege zur Sicherung des landesweiten Biotopverbunds. Das spielt nach Ansicht der Verwaltungsgemeinschaft der beiden Gemeinden jedoch keine Rolle: Zum einen gebe es auf der fraglichen Fläche bereits eine Bebauung. Zum anderen würden ausreichende Abstände zum Gewässer eingehalten.
Auch das Sachgebiet Oberflächengewässer des Landratsamts Ravensburg fordert, dass entlang der Rotach ein Randstreifen unbebaut bleiben muss. Das nördlich der Haslachmühle geplante Wohngebiet müsse mindestens zehn Meter Abstand vom Gewässer halten. Im überarbeiteten Plan wird der Randstreifen nun als öffentliche Grünfläche ausgewiesen.
Weiter erinnert das Sachgebiet Oberflächengewässer daran, dass von der Planung das FFH-Gebiet Rotachtal-Bodensee betroffen ist. FFH-Gebiete sind Schutzgebiete nach der Fauna-Flora-HabitatRichtlinie. Außerdem würden an der Rotach seltene Vögel wie Gebirgsstelze, Wasseramsel und Eisvogel brüten. Die benachbarten Flächen seien Lebensräume von Feldlerchen und Wachteln.
Das Sachgebiet Naturschutz des Landratsamts fordert noch mehr Abstand vom Gewässer: Die Fachleute sorgen sich vor allem wegen der benachbarten Biberburg sowie wegen der absehbaren Ansiedlung weiterer Biberfamilien. Die Tiere würden das Gewässer anstauen, Bäume fällen und Röhren anlegen. Die Bauherren dürften nicht damit rechnen, dass künftig alle Biberdämme und –bauten beseitigt würden. Deshalb fordert das Sachgebiet Naturschutz einen 20 Meter breiten Abstand zwischen Gebäuden und Gewässer.
Nicht ausreichend finden die Fachleute vom Sachgebiet Naturschutz die geplanten Ersatzquartiere für Vögel und Fledermäuse. In der Antwort darauf heißt es, die künstlichen Quartiere und Nisthilfen würden bis spätestens April 2021 angebracht. So könnten Vögel und Fledermäuse sie gleich nach der Rückkehr
aus den Winterquartieren oder zu Beginn der Brutzeit beziehen – also deutlich vor Baubeginn. Das in Auftrag gegebene Monitoring werde dann noch rechtzeitig zeigen, ob die Ersatzquartiere angenommen werden. Der Ausschuss für die Verwaltungsgemeinschaft hat dem neuen Entwurf für den Flächennutzungsplan zugestimmt.