Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Bundesliga ist wie eine normale RTL-2-Sendung“
Gehören volle Stadien auch nach der Corona-Pandemie der Vergangenheit an? Harald Lange sieht einen Wandel
RAVENSBURG - Schon vor der Corona-Pandemie war das Verhältnis zwischen organisierten Fans und ihren Vereinen vielerorts zerrüttet – die Krise hat da sogar noch als Brandbeschleuniger gewirkt, ist sich Harald Lange sicher. Felix Alex hat mit dem Fanforscher, der den Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Julius Maximilians Universität Würzburg innehat, über den sich vollziehenden Wandel sowie die Gründe, warum die Diskussionen um Bundestrainer Joachim Löw nur noch halb interessiert, gesprochen.
Herr Professor Lange, der CoronaImpfstoff steht in den Startlöchern, leere Stadien könnten bald Geschichte sein, die Fans in der Republik sind sicher schon ganz aus dem Häuschen, oder?
Es gibt Rückmeldungen von Fans, die sich das ganz ganz dringend herbeisehnen, aber nicht wenige, die etwas abgeneigt sind. Die haben sich in den vergangenen Monaten mehr und mehr vom Fußball distanziert und sich millionenfach abgewendet. Man könnte auch sagen, dass sich in Teilen unserer Fankultur eine Entemotionalisierung breitgemacht hat.
Woran machen Sie das fest? Kritik am Fußballkommerz gibt es ja schon sehr lange, diese Kritik ist in den letzten sieben Jahren lauter und sichtbarer geworden und diese hat sich auch in den vergangenen zwei Jahren von den Ultras über die aktive Fanszene bis hin zu den nur teilgebundenen Fans – die ab und zu mal als Eventfans in die Stadien gehen – ausgeweitet. Die Corona-Pandemie hat dann als Beschleuniger gewirkt, woraus sich eine deutlich sichtbare Opposition gegenüber dem Profifußball entwickelt hat.
Direkt vor der Pandemie gab es ja die schärfste Kritik, schien ein offener Stadienkrieg bevorzustehen, dennoch waren die Arenen voll – auch von Ultras. Warum folgt der Bruch gerade jetzt, wo ja eigentlich nichts weiter passiert?
Der Profi-Kommerzfußball führt sein Scheitern seit Beginn der Pandemie ja Woche für Woche sichtbar vor. Das ganze System drohte ja ohne Geisterspiele zu kollabieren und das sorgte ja auch im Mai/Juni für Unmut in der Gesellschaft. Selbst im Politbarometer kam heraus, dass bis zu 60 Prozent gegen die Einführung von Geisterspielen waren. Also gegen den Fußball und die Interessen von denen da oben. Das zeigt, dass es eben nicht nur die hartgesottenen Fans sind, die da Opposition üben. Es ist vielmehr die ganze Fanbasis.
Dabei hätte gerade jetzt auch alles anders laufen können, oder?
Natürlich, die Menschen können nicht in die Stadien und sind viel zu Hause. Da käme doch die Unterhaltung über den Fußball im Fernsehen gerade recht. Doch die Einschaltquoten sind ordentlich in den Keller gegangen – vor allem auch bei der Nationalmannschaft, weil viele Fans eben mehr und mehr merken, dass es nur zu einem schlechten Kommerzzirkus degradiert ist und nicht mehr für die sportbezogenen Werte steht. Dabei gibt es doch im Volk kaum ein Thema, das so viel Gesprächsstoff bietet und wo jeder mitreden möchte. Das Potenzial hätte man nutzen können und die Basis einbeziehen, um ein Modell zu erarbeiten, mit dem man auch in Zukunft noch Geld verdient und das dennoch nachhaltig ist, was auch zu den Vereinen und der Jugend vor Ort passt, sodass man wieder von einer Fußballeinheit sprechen kann.
Sind denn die Fans währenddessen ebenfalls untätig geblieben? Absolut nicht. Bei den organisierten Fans ist die Ablehnung jüngst aber noch mehr gewachsen, gerade weil sie Arbeitsgruppen eingerichtet haben und über die Vereine hinweg Ideen und Strategiepapiere entworfen haben. Es ist bedauerlich, dass da von den Clubs und der DFL nichts unternommen wird, diese Lücke zu schließen – auch wenn die Taskforce eine gute Idee war, von dieser Seite aber noch zu wenig passiert ist.
Warum ist den Clubs denn so egal, was diese wichtige Gruppe denkt? Egal vielleicht nicht, jeder Verein hat ja einen Umgang mit seiner Fankultur. Man sieht ja schon, wie besonders es ist, wenn mal ein Trainer oder Spieler mit einer gewissen Fannähe auffällt. Christian Streich wird zum Beispiel angehimmelt – generell der SC Freiburg oder auch Union Berlin. Dort sitzen auch Fans in Aufsichtsräten und dürfen mitbestimmen. Auf der anderen Seite stehen aber auch Konstrukte wie in Hoffenheim oder Leipzig. Da ist Fußball eben ein Kunstprodukt, das nicht mehr verwurzelt ist – jenes ist dann aber auch bei der ersten Krise weg und wird ausgetauscht.
Generell scheint der Fußball derzeit nicht mehr als ein „Tatort“am Samstagnachmittag, ein bisschen Unterhaltung. Man schaltet hin, schaut zu und geht dann einfach zu etwas anderem über.
Eben, es ist kein Ereignis mehr, das das Leben betrifft. Bei dem ich am Montag schon anfange mit Kollegen zu fiebern und dann tagelang die Medien studiere, bevor das große Spiel stattfindet, das mich dann mit Glück oder Enttäuschung zurücklässt. Diese ganze Dramaturgie ist weg. Da haben wir jetzt einen völlig anderen Fußball kreiert. Das Produkt ist beliebig und austauschbar. Bei den Fußballfans ist es jetzt wie bei den RTL-2-Zuschauern, jede Woche locken eben tolle oder weniger tolle Unterhaltungssendungen. Man kann sich so prima unterhalten lassen. Bundesliga ist da auch nicht mehr als eine normale RTL-2-Sendung und sie reiht sich nur noch ein. Inzwischen muss man Horst Lichter und die Sendung „Bares für Rares“, die ja jüngst die Nationalmannschaft mit ihrer Quote geschlagen hat, als ernsten Konkurrenten für Fußball sehen. Da hätte ich vor Jahren noch drüber gelacht. Das sieht man auch an der Personalie Joachim Löw. Was wäre das früher für eine Staatsaffäre gewesen. Da hätte man wochenlang drüber diskutiert, ob der Bundestrainer gehen muss oder bleiben darf. Heute wird das nur noch achselzuckend hingenommen. Das ist ein richtiger Kulturwandel.
Das scheint die Entscheider wenig zu stören ...
Die haben noch nicht verstanden, dass sie die Basis einfach so kampflos hergeben, die den Fußball von jedem anderen Unterhaltungsprodukt unterscheidet – diese riesige Emotionalität. Man nimmt die gesellschaftliche Verwurzelung als gegeben hin – aber wir wissen, dass das nicht so ist. Bestes Beispiel ist eben die Nationalmannschaft, weil man hier schon sehr lange nicht mehr auf ein klassisches unabhängiges Fanclub-Publikum gesetzt hat, sondern dies als Abteilung des DFB organisiert. Die Mitgliedschaft im Fanclub Nationalmannschaft als Grundlage für Karten und ähnliches. Da wurde richtig gemolken, das ging früher, aber das geht heute nicht mehr.
Besteht also die realistische Chance, dass bald ein Heimspiel des FC Bayern nicht ausverkauft ist? Erst mal nicht, selbst wenn sich die gebundenen Fans teilweise abwenden, werden die frei werdenden Plätze beim FC Bayern und anderen großen Clubs irgendwie gefüllt. Aber wenn die aktive Fanszene und auch die Ultras fehlen, ist es eben auch ein großer Kratzer an der Stadionatmosphäre und der gesamten Kultur. Und wer möchte schon Teil eines weitestgehend austauschbaren Zirkusspektakels sein?
Haben manche Club-Bosse sich dann endlich ihren Traum erfüllt, dass es eine nette Masse ist, die kommt, schaut, klatscht, ihr Geld da lässt und wieder geht?
Das könnte ein Modell sein, das manche reizvoll finden. Aber wenn wir heute über Fußball reden, meinen wir ja auch die bewegte Kultur, die aus dem banalen Spiel etwas Besonderes macht. Die Bosse möchten natürlich gerne beides, wären aber bereit auf die ganzen Problemlagen zu verzichten. Hauptsache, die Kasse klingelt. Aber auf lange Sicht nur auf Klatschpappenbeweger zu setzen und damit Geld zu verdienen, ist eben ein Trugschluss. Diesen Fehler hat man bei der Nationalmannschaft gemacht und dieses Negativbeispiel können sich alle Vereine ansehen.
Wie groß wird denn der Schaden sein? Bleiben Millionen nun wirklich weg und die Stadien halb leer? Naja, das wird man sehen müssen. Wer jetzt neun Monate ohne Stadion ausgekommen ist, wird vielleicht dauerhaft verzichten. Die Hardcorefans, die so etwas derzeit skandieren, die hängen ja weiter an ihren Clubs und die könnte man verhältnismäßig leicht zurückgewinnen, auch wenn sie enttäuscht sind. Enttäuschung und Fußballfans, das ist ja auch eine Einheit, aber diese Fans brauchen einen Lichtblick. Und diese Sternchen müssen die Verantwortlichen den Fans wieder bereitstellen und endlich Reformen einleiten. Ich schlage vor: Lasst uns endlich wieder über wahren Sport und dessen Werte nachdenken, diskutieren – auch und gerade im Profifußball!