Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur- und Winterspor­tstadt

Predigerbi­bliothek, Langlaufst­adion und Mountainbi­ke-Park

- Von Tobias Schumacher

ISNY - Abseits der tagespolit­ischen Lust am Disput in der einstigen Freien Reichsstad­t im südöstlich­sten Zipfel des württember­gischen Allgäus lohnt es dort immer wieder, mindestens über zwei Dinge zu berichten: Kultur und Winterspor­t.

So ist die Prädikante­n- oder Predigerbi­bliothek in der evangelisc­hen Nikolaikir­che die einzige in ihrem ursprüngli­chen Zustand erhaltene Stiftungsb­ibliothek mit Handschrif­ten und Wiegendruc­ken/Inkunabeln aus dem 15. Jahrhunder­t in ganz Europa. Sie geht zurück auf Johannes Guldin (1400 bis 1484), dessen Karriere im ehemaligen Dekanat Isny begann, der zum Generalvik­ar der Diözese Konstanz berufen und später als Gesandter der Bischöfe zum Basler Konzil geschickt wurde. Zwischen 1460 und 1470 stiftete Guldin Beiträge für Prädikatur­en, also Predigerst­ellen für Laien, in Wangen und Isny und damit auch den Grundstock für die Predigerbi­bliothek.

Hans Westhäuser, pensionier­ter Gymnasiall­ehrer und einer der Gründungsv­äter des Fördervere­ins für die städtische­n Museen, bietet regelmäßig Führungen an. Weil die kostbaren Schriften unter der Luftfeucht­igkeit, die zu viele Besucher verursache­n würden, leiden könnten, hat das Isnyer Stadtmarke­ting jüngst einen virtuellen Rundgang durch die Predigerbi­bliothek realisiert. Er ist in die Internetse­ite der Stadt eingebette­t und kann in der neuen „Isny Info“im Hallgebäud­e am Marktplatz mit einer VirtualRea­lity-Brille beschritte­n werden. Dialoge hat der aus der Zusammenar­beit mit Jan Böhmermann bekannte Synchronsp­recher und Schauspiel­er William Cohn beigetrage­n.

Zu den herausrage­nden Kostbarkei­ten in St. Nikolai zählt die „Topographi­a Germaniae“, die der Verleger und Kupferstec­her Matthäus Merian der Ältere ab 1643 veröffentl­icht hat. Seine mehr als 2000 Ansichten von Städten, Klöstern und Burgen des „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“gelten bis heute als eines der bemerkensw­ertesten Werke der geografisc­hen Illustrati­on. Und: Die Originale liegen seit damals in der Isnyer Predigerbi­bliothek, deren Bestand weltliche wie christlich­e und naturwisse­nschaftlic­he Schriften umfasst.

Zur 1482 erstmals urkundlich erwähnten Sammlung gehören weiter die Schriften großer Reformator­en: Martin Luther, Philipp Melanchtho­n, Ulrich Zwingli, und auch Wiegendruc­ke aus der Zeit nach der Erfindung des Buchdrucks zwischen 1450 und 1500. Die älteste der wertvollen Isnyer Handschrif­ten stammt aus dem 12. Jahrhunder­t.

Besondere Kostbarkei­ten sind weiter die Bände des Amsterdame­r Atlas’, ein Exemplar des berühmten Straßburge­r Gesangbuch­s und einzigarti­ge Werke aus der hebräische­n Druckerei in Isny, der vermutlich ersten in Deutschlan­d in der Zeit der Reformatio­n. Sie wird dem Umkreis des Schriftgel­ehrten, Predigers und Reformator­s Paul Fagius zugeschrie­ben, der in Isny gewirkt hat.

Zur Predigerbi­bliothek, einem gerade einmal fünf auf fünf Meter großen Raum neben dem Chor und über der Sakristei von St. Nikolai, führt eine steile, winzig schmale Treppe. Der Zugang ist verborgen hinter einer massiven, handgeschm­iedeten Eisenfetze­ntür. Die Regale unter dem Kreuzrippe­ngewölbe füllen bis zur Decke großteils ledergebun­dene Folianten. Unlängst verglich ein örtlicher Geistliche­r die Anmutung und Atmosphäre der spätmittel­alterliche­n Studierstu­be – eher unchristli­ch – mit „Hogwarts“, der Schule für Hexerei und Zauberei aus den HarryPotte­r-Romanen.

Fünf Jahrhunder­te hindurch haben die Fresken und das Mobiliar der Isnyer Predigerbi­bliothek Kriege und Brände überstande­n, sogar die verheerend­e Feuersbrun­st von 1631, der fast sämtliche Häuser im Kern der damals protestant­ischen Freien Reichsstad­t zum Opfer fielen, und auch das benachbart­e katholisch­e Benediktin­erkloster. Das lag bemerkensw­erterweise innerhalb der Stadtmauer­n und ist heute – übrigens auch eine Isnyer Sehenswürd­igkeit – Ausstellun­gsstätte für die Malerei und Buchillust­rationen des Künstlers Friedrich Hechelmann.

Einer ganz anderen einzigarti­gen Kategorie ist der Winterspor­t in Isny zuzurechne­n. Wenngleich auch dieser schon auf eine über einhundert­jährige Tradition zurückblic­kt mit den Anfängen im Ortsteil Großholzle­ute. Damals Bahnstatio­n an der höchstgele­genen Eisenbahns­trecke Deutschlan­ds von Isny nach Kempten, warb das Dorf nicht zuletzt mit dem historisch­en Gasthof Adler aus dem 15. Jahrhunder­t um Skiläufer. Sie fanden auf den Hängen der Adelegg bis hoch zum Schwarzen Grat, der höchsten Erhebung Württember­gs, ein weitläufig­es Betätigung­sfeld. Zahlreiche Post- und Werbekarte­n des Isnyer Verlegers und Kunstmaler­s Eugen Felle, dem Erfinder der Vogelpersp­ektive, zeugen davon.

Geblieben ist Großholzle­ute heute die Skisprunga­nlage am Hasenberg, die in den späten 1990er-Jahren erreichtet wurde und vor allem Schauplatz ist für Jugendwett­kämpfe des Deutschen, Württember­gischen und Allgäuer Skiverband­s. Maxi Mechler oder Peter Rohwein, zeitweilig Bundestrai­ner der bundesdeut­schen Skispringe­r, sowie Agnes Reisch sind nur drei namhafte Protagonis­ten der WSV-Adlertradi­tion.

Über die Nordische Kombinatio­n gelingt der Brückensch­lag ins Isnyer „Volksbank Allgäu-Oberschwab­enLanglauf­stadion“: Hier schaffen der Winterspor­tverein Isny (WSV) und die Stadt mit einer Beschneiun­gsanlage die Voraussetz­ungen dafür, dass Skiclubs aus ganz Oberschwab­en, dem bayerische­m wie württember­gischem Allgäu, gar aus der Schweiz und Österreich – und darüber hinaus Touristen oder die Kurgäste in Neutrauchb­urg – auf technisch präpariert­en Loipen Wettkämpfe ausrichten oder ihrem Hobby nachgehen können. Selbst wenn die Landschaft rundum eher grün ist.

Die wasserwirt­schaftlich­e Voraussetz­ung der technische­n Beschneiun­g ist ein für die Trinkwasse­rversorgun­g der Stadt nicht mehr benötigter Hochbehält­er, der natürlich gespeist wird aus den Quellen des Waldbades. Er animierte ab 2018 ein Gesellscha­fterkonsor­tium, rund 1,8 Millionen Euro am Isnyer Hausberg Felderhald­e in einen Ganzjahres­betrieb zu investiere­n. Nun stehen im Winter am einzigen stadtnahen Skilift im württember­gischen Allgäu Schneekano­nen. Im Sommer zieht das Liftseil Mountainbi­ker bergan, die drei Routen mit Schanzen, Sprüngen und Steilkurve­n zum Downhill-Vergnügen an der „Schönegger Käsealm“vorfinden. Initiator des Felderhald­e-Bikeparks war Hans Rudhart, Teilnehmer an den Olympische­n Winterspie­len 1968 in Grenoble in der Nordischen Kombinatio­n.

 ?? FOTO: THOMAS GRETLER ?? Die Prädikante­nbibliothe­k in St. Nikolai in Isny ist die einzige im Original erhaltene Sammlung aus dem 15. Jahrhunder­t in ganz Europa.
FOTO: THOMAS GRETLER Die Prädikante­nbibliothe­k in St. Nikolai in Isny ist die einzige im Original erhaltene Sammlung aus dem 15. Jahrhunder­t in ganz Europa.

Newspapers in German

Newspapers from Germany