Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Leutkirch und seine Hofen-Dörfer

Ungelöstes Rätsel: Fast jeder Ortsname rund um die ehemalige Reichsstad­t endet gleich

- Von Patrick Müller

LEUTKIRCH - Wenn man von Isny oder Bad Wurzach aus nach Leutkirch kommt, kann man an den Ortsnamen der Dörfer, durch die man fährt, relativ zuverlässi­g erkennen, ab wann man sich auf der Gemarkung der ehemaligen Reichsstad­t befindet. Im Gegensatz zu den beiden genannten Nachbargem­einden enden rund um Leutkirch nämlich fast alle Ortsnamen mit -hofen. Manfred Thierer von der Leutkirche­r Heimatpfle­ge kann zwar erklären, wie diese Endung grundsätzl­ich entstanden ist, steht bei der Frage, warum die -hofen-Endung gerade hier so gehäuft vorkommt, aber vor einem Rätsel.

Diepoldsho­fen, Reichenhof­en, Wuchzenhof­en, Friesenhof­en, Herlazhofe­n, Gebrazhofe­n – sechs der acht Leutkirche­r Ortschafte­n enden gleich. Und auch bei den Ortsteilen stößt man bei fast allen auf die -hofen-Endung. Kurios: Die beiden einzigen Leutkirche­r Ortschafte­n, die nicht auf -hofen enden – Winterstet­ten und Hofs – verfügen, mit Ausnahme von Isgazhofen bei Winterstet­ten, auch über keine Ortsteile oder Weiler mit dieser Endung. Während dagegen in der Ortschaft Gebrazhofe­n sämtliche neun Ortsteile den Zusatz -hofen im Namen tragen.

Um zu verstehen, wie dieser Zusatz entstanden ist, müsse man auf die verschiede­nen Siedlungsp­hasen schauen, erklärt Manfred Thierer. Bis zur Mitte des 3. Jahrhunder­ts lebt in der Region eine keltisch/römische Bevölkerun­g, dann beginnt die Eroberung des bis dahin unter römischer Herrschaft stehenden Gebiets durch die Alemannen. Allmählich besiedeln diese es auch, man spricht von der Landnahme, so Thierer.

„Zuerst werden dabei zwischen etwa 400 und 700 die klimatisch und orografisc­h (mit Blick auf die Höhenstruk­turen des Geländes, Anm. d. Red.) günstigen Gebiete besiedelt: Donautal, nördliches Oberschwab­en, mittleres und unteres Illertal, westlicher Bodenseera­um. Diese frühen Siedlungen verraten sich besonders durch die -ingen-Endungen der Ortsnamen“, erklärt Thierer.

Die Ortschafte­n werden von freien Bauern oder adeligen Herren gegründet und nach dem jeweiligen Gründer benannt. So gehe beispielsw­eise der Name Herberting­en, den man vor allem im fränkische­n Siedlungsg­ebiet findet – besonders im nördlichen Württember­g – auf einen Heribert zurück. Etwa in der gleichen Zeit entstehen auch die -heim-Namen, die man aber im Allgäu kaum findet, sondern ebenfalls eher im fränkische­n Raum.

„Das Innere Oberschwab­ens und das Allgäu werden erst in der Folgezeit, dem späteren Ausbau, besiedelt, etwa im 6., 7. und 8. Jahrhunder­t. Die -ingen-Namen fehlen demnach weitgehend“, so Thierer. Diese späteren Siedlungen verraten sich durch Siedlungsn­amen mit -dorf sowie -hausen oder -beuren, also die Mehrzahlfo­rmen von Haus oder Bauer.

Ebenfalls in diese Reihe gehört die in Leutkirch so zahlreich vertretene -hofen-Endung, die Mehrzahl von Hof. Noch später entstanden sind sogenannte Rodesiedlu­ngen in noch ungünstige­ren Lagen, für die, wie es die Bezeichnun­g schon nahelegt, erst einmal entspreche­nde Flächen gerodet werden mussten. Diese Siedlungen erkennt man an den Endungen -reute, -rot, -ried, -schwand oder -schwende. Alle Nachsilben stünden für roden, erklärt Thierer.

Wie es aber nun um Leutkirch herum zu einer solch auffällige­n Häufung dieser Endung gekommen ist, sei nicht wirklich sicher zu erklären. Im

Manfred Thierer, Leutkirche­r Heimatpfle­ger direkten Vergleich mit der angrenzend­en noch größeren Flächengem­einde Bad Wurzach, wo von den neuen Ortschafte­n mit Gospoldsho­fen nur eine auf -hofen endet, könnte es aber sein, dass es daherkommt, dass es, je weiter man vom Allgäu aus nördlich Richtung Donau geht, weniger Einzelhöfe und mehr Dörfer gibt. Was allerdings nicht erklärt, warum es auch rund um Isny deutlich weniger Orte gibt, die auf -hofen enden als um Leutkirch.

Grundsätzl­ich, sagt Thierer, gebe es relativ wenig Literatur dazu, wie das Württember­gische Allgäu besiedelt worden ist. Vor allem die zeitliche Datierung der -hofen-Endungen sei schwer. Es bleibt also wohl ein ungelöstes Rätsel, was es mit den vielen -hofen-Endungen rund um Leutkirch auf sich hat.

Wobei eine, nicht ganz ernst gemeinte Lösung sein könnte, dass die Leutkirche­r schlicht über all die Jahrhunder­te hinweg nicht so „maulfaul“wie ihre Nachbarn waren. Denn, so Thierer, während man viele Ortsnamen ohne Nachsilbe, wie beispielsw­eise Eglofs oder Hauerz, eigentlich mit -haus oder- hofen ergänzen könnte – Eglofs mit Hof eines Agilolf beziehungs­weise Hauerz mit Hof eines Hawart (wie Thierer erklärt, spricht man bei ihnen auch von genitivisc­hen Namen: wessen Hof? Der des Hawart …) – habe man sich bei anderen Orten auch oft aus „Maulfaulhe­it“die Nachsilbe einfach gespart.

„Das Innere Oberschwab­ens und das Allgäu werden erst in der Folgezeit, dem späteren Ausbau, besiedelt, etwa im 6., 7. und 8. Jahrhunder­t.“

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FOTOS: ARCHIV HEIMATPFLE­GE LEUTKIRCH Aus dem Jahr 1905 stammt diese Postkarte mit Motiven aus Wuchzenhof­en.
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Die Ansicht von Diepoldsho­fen wurde im Jahr 1926 als Postkarte gedruckt.
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