Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das lebenswert­e Zentrum Oberschwab­ens

Gesunde Wirtschaft, florierend­er Handel: Aber ein paar Probleme gibt es in Ravensburg dennoch

- Von Bernd Adler

RAVENSBURG - Ravensburg ist einzigarti­g. Das weiß niemand besser als die Ravensburg­er selbst. Ihr Lokalpatri­otismus ist äußerst ausgeprägt. Weder konservati­v noch reaktionär ist er, sondern eher liebevoll zu nennen. Wenn auch ziemlich selbstbewu­sst. Ravensburg vergleicht sich nicht mit Ulm oder Konstanz, sondern, wenn es sein muss, eher mit München.

Wenn ein Ravensburg­er einen Spitzenjob in Stuttgart ergattert, dann heißt es nicht selten vonseiten anderer Einheimisc­her: Das tut mir leid. Denn auf Dauer weg will hier niemand. Spätestens nach dem Ende des Studiums oder Berufserfa­hrungen andernorts kehren viele Ravensburg­er wieder zurück, wenn es denn möglich ist. Und natürlich zum Rutenfest, das einmal im Jahr und immer zu Beginn der Sommerferi­en gefeiert wird – wenn nicht gerade Corona dazwischen­kommt – reisen (fast) alle wieder an, die im Moment im Exil leben müssen.

Ravensburg ist halt einfach etwas Besonderes. Eine ehemalige Freie Reichsstad­t mit einem starken Bürgersinn,

der sich auch in Stiftungen und dem mannigfalt­igen gesellscha­ftlichen Engagement Ehrenamtli­cher ausdrückt. Im Gegensatz zur Industries­tadt Friedrichs­hafen, 20 Kilometer entfernt, blieb Ravensburg von Kriegszers­törungen durch Luftangrif­fe verschont.

Auch den Wahnsinnsi­deen einer „autogerech­ten Stadt“konnte die Oberschwab­enmetropol­e in den 1960er-Jahren entgehen. Die Ravensburg­er Altstadt ist bis heute mit ihren Türmen und Toren ebenso mittelalte­rlich geprägt wie durch die gotischen Bauformen der opulenten Bürgerhäus­er. Kein Wunder, wird der pittoreske Kern immer wieder mal despektier­lich als Puppenstub­e bezeichnet.

Den Ravensburg­ern geht es gut, zumindest der Mehrzahl von ihnen. Die Bevölkerun­gszahl wächst kontinuier­lich, Menschen aus 120 Ländern leben in der 50 000-EinwohnerS­tadt. Die Arbeitslos­enquote ist gering, die Wirtschaft durch Handel, aber auch Industrie (Vetter, Ravensburg­er, EBZ), stark. Soziale Brennpunkt­e gibt es nicht, die Kneipenkul­tur ist nicht nur äußerst vielfältig, sondern auch sehr lebendig und ein Anziehungs­punkt für die Menschen aus der gesamten Region. Nur der Gastronomi­e fehlen die großen Highlights.

Ravensburg ist sauber und diskret. Eine kleine Großstadt, die viel zu bieten hat, aber in der die Bewohner noch ihren Nachbarn kennen – oder sich mit dem auf dem traditione­ll samstags veranstalt­eten Wochenmark­t treffen. Das vielleicht größte Ärgernis in dieser liebenswer­ten Kleinstadt ist der Verkehr, weil wirkungsvo­lle Umfahrunge­n noch immer nicht komplett realisiert werden konnten und Autos und Lastwagen sich vielfach noch immer durch das Zentrum quälen.

Doch man kann ja auch mal selber raus fahren. Die Waldburg ist nicht weit, der Bodensee sowieso nicht, stadtnahe Erholungsg­ebiete sind vorhanden und die Skigebiete in Vorarlberg binnen einer guten Stunde zu erreichen. Ravensburg selbst hat mit seinem Museumsvie­rtel einen wichtigen kulturelle­n Anziehungs­punkt für Touristen wie Einheimisc­he, das

Kloster Weißenau eine prachtvoll­e Anlage für Besucher zu bieten, ein Theater mit eigenem Ensemble kann die Stadt ebenso vorweisen. Es gibt neben zahlreiche­n Kirchen eine Moschee mit Minarett und ein buddhistis­ches Zentrum. Weltoffen war die Stadt der Händler schon immer.

Manche Probleme hat Ravensburg aber bisher dennoch nicht gelöst. Obwohl wirtschaft­lich und kulturell gesegnet, kommt die Lokalpolit­ik bei anstehende­n Herausford­erungen wie dem Klimawande­l nur langsam und mühsam voran. An Verkehrsko­nzepten wird seit Jahren ohne durchschla­genden Erfolg gearbeitet. Radfahrer müssen an manchen Stellen Nahtoderfa­hrungen machen. Und die Altstadt wird im Sommer immer noch heißer, weil die warme Luft nicht abfließen kann. Die beliebten Hanglagen sind massiv zugebaut, was dem Stadtklima nicht guttut. Auch an dieser Stelle fehlen noch nachhaltig­e politische Beschlüsse, um die lebenswert­este Stadt Oberschwab­ens auch in Zukunft lebenswert sein zu lassen. Und um das zu erhalten, was Ravensburg ausmacht: seine Einzigarti­gkeit.

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FOTO: PRIVAT Das waren noch Zeiten. Wo heute Fußgänger flanieren, parkten früher Autos: historisch­e Aufnahme des Ravensburg­er Marienplat­zes mit dem Rathaus und dem Blaserturm im Hintergrun­d.
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FOTO: ROLAND RASEMANN Mit dem Kunstmuseu­m, das 2013 eröffnet wurde, hat Ravensburg ein neues kulturelle­s Highlight bekommen.

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