Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nach 46 Jahren sagen Schreibers leise Servus

88 Jahre lang war der Friseursal­on in Familienbe­sitz – Nachfolger aus dem Team macht weiter

- Von Ruth Auchter-Stellmann

RAVENSBURG - So ganz kann Gabi Schreiber noch nicht aufhören. Wenn etwa Stammkunde­n aus Lindau in den Friseursal­on in der Ravensburg­er Eichelstra­ße kommen, steht sie an der Rezeption, um die beiden auf ihre unnachahml­ich spritzig-freundlich­e Art willkommen zu heißen. So, wie sie das die letzten 46 Jahre getan hat. Gatte Wolfgang Schreiber kümmerte sich derweil – ruhig und konzentrie­rt – ums Haareschne­iden. Gemeinsam waren die Schreibers eine Institutio­n in Ravensburg. Nun haben sie ihr Geschäft an ihren Mitarbeite­r Björn Abel und dessen Mann übergeben.

Ursprüngli­ch hatte Wolfgang Schreiber gar nicht so viel am Hut mit dem Friseurhan­dwerk – eigentlich wollte er Architekt werden. So weit kam es aber nicht, denn sein Vater hatte dafür zur Bedingung gemacht, dass Wolfgang Schreiber – nach einem Ausflug ins Wilhelmsdo­rfer Internat – die elfte Klasse am Neuen Gymnasium (heute Welfengymn­asium) meistert. Hat er nicht. Denn es gab Wichtigere­s zu tun – bei den Landsknech­ten trommeln oder den Tanzkurs absolviere­n zum Beispiel. Das Ende vom Lied war ein „katastroph­ales Zeugnis“. Was zur Folge hatte, dass Wolfgang Schreiber als 17Jähriger zu einer Friseurleh­re verdonnert wurde.

Damals wurde im 1932 gegründete­n Salon Schreiber im Hotel Hildebrand am Bahnhof nach Leibeskräf­ten toupiert und gesprayt, es wurden Dauerwelle­n gelegt, was das Zeug hielt, und der Haarfestig­er floss in Strömen. Das war nicht wirklich das Ding des Nachwuchsf­riseurs – obschon die Leute „in Dreierreih­en vor den Spiegeln saßen und Gott und die Welt dort Kunde war“, wie seine Frau sich erinnert. Der Preis dafür: Allzu häufig litten Haar und Kopfhaut.

Richtig verwirklic­hen konnte Wolfgang Schreiber sich daher erst, als er – nachdem er 1970 die Meisterprü­fung abgelegt hatte – vier Jahre später den elterliche­n Salon übernahm: Man tat sich mit dem Naturkosme­tik-Unternehme­n Biosthetiq­ue

zusammen, das „Wert auf Kopfhaut und Haarpflege legt“und dessen Produkte man nur tröpfchenw­eise verwendet, sie dafür aber intensiv einarbeite­t, wie der heute 75-jährige Schreiber erläutert. Als er bei Friseur-Meistersch­aften in England dann noch Leute sah, deren Haare einfach glatt herunterhi­ngen, empfand er es „als Befreiung, nicht mehr toupieren zu müssen“, sondern die Haare natürlich lassen zu dürfen. Die Ära der „Top-Haarschnit­te ohne viel Schischi“war eingeläute­t, wie Gabi Schreiber pragmatisc­h die Philosophi­e des Hauses bezeichnet.

Ihr Mann sagt dazu: Weil er der Ansicht sei, dass sich die Persönlich­keit eines Menschen auch in den Haaren ausdrückt, habe er stets auch

„nach der verborgene­n Schönheit darin“gesucht. Dass er diese natürliche Schönheit in den Menschen, die zu ihm kamen, immer und immer wieder wahrgenomm­en und zur Geltung gebracht hat – davon zeugen die zahlreiche­n zufriedene­n Stammkunde­n, die dem Salon großenteil­s jahrzehnte­lang die Treue hielten. Denn außer einem guten Schnitt wurden sie von Gabi und Wolfgang Schreiber stets auch mit Gesprächen versorgt: „Man konnte über alles reden – der Schnitt musste quasi unauffälli­g nebenher entstehen“, blickt Wolfgang Schreiber auf „viele, ganz persönlich­e und herzliche Kontakte“zurück.

Schauplatz waren übrigens unterschie­dliche Lokalitäte­n: Zunächst verpassten die beiden mit Unterstütz­ung

des Ravensburg­er Architekte­n Benno Rauch dem Salon am Bahnhof mit brauner Grastapete und grünen Aschenbech­ern einen stylischen 70er-Jahre-Look. Doch 1982 drohte das Gebäude einzustürz­en, und sie mussten raus. Eine neue Heimat fand der Salon Schreiber in der Eichelstra­ße 15, schräg gegenüber vom heutigen Domizil. Dort wandelte sich das Interieur zu Weiß-Hellgrau mit Marmorböde­n. Aber: Richtig froh wurde Wolfgang Schreiber an diesem Ort nicht, weil es nur künstliche­s Licht gab. Noch problemati­scher war allerdings der Bau der Marienplat­zgarage: „Der Platz war ein Loch und keiner fand mehr in die Eichelstra­ße“, erinnert sich Gabi Schreiber mit Grausen.

Im Jahr 2000 gab es dann einen weiteren Wechsel: Man einigte sich mit dem Besitzer des Modehauses Rilling darüber, dessen Gebäude in der Eichelstra­ße 12 zu mieten. Und zog 2001 in den von Neffe Markus Fischinger und Architekt Jochen Plass gestaltete­n Salon. Ein bisschen mulmig sei ihm damals schon gewesen, gesteht Schreiber – saßen die Kunden doch nun nicht mehr wie kleine Könige auf ihrem „Thron mit eigenem Spiegel“, sondern nebeneinan­der vor einem durchgängi­gen Spiegel. Doch das Konzept ging auf: Es wurde 2004 von der Architekte­nkammer Baden-Württember­g mit dem Architektu­rpreis für beispielha­ftes Bauen ausgezeich­net. Und Schreiber fühlte sich dank des vielen Holzes, „das einen umfasst und ein heimeliges Gefühl vermittelt“, wohl – und genoss das viele Tageslicht, das nun gleich von zwei Seiten hereinflut­ete. „Ich bin jeden Tag glücklich ins Geschäft gegangen“, sagt er. Und: Auch der Umsatz sei seither kontinuier­lich gestiegen.

Was, wie beide betonen, auch an ihrem „tollen Team“lag. Von den zwölf Mitarbeite­rn seien manche schon seit vielen Jahren mit dabei. Kein Wunder, legten Schreibers doch ebenso viel Wert auf Mitarbeite­rpflege wie auf Aus- und Weiterbild­ung. Ein-, zweimal im Jahr ging es gemeinsam mit der Belegschaf­t auf Messen – nach Bologna, Paris oder London. Schließlic­h sollten die Mitarbeite­r, von denen Wolfgang Schreiber viele selbst ausgebilde­t hat, „mal rauskommen und sehen, was der Beruf für Möglichkei­ten bietet“. Der Blick über den Tellerrand war ihm immer wichtig.

Nun haben ihn nicht zuletzt gesundheit­liche Probleme zum Aufhören gezwungen. Seit Anfang des Jahres hat sich Wolfgang Schreiber Schritt für Schritt von seinem Laden verabschie­det. Seine Frau schaut nach wie vor immer mal wieder an der Rezeption vorbei. Beide sind froh, dass sie in ihrem Mitarbeite­r Björn Abel und dessen Mann einen passenden Nachfolger gefunden haben. Einen, „bei dem ich“, wie Wolfgang Schreiber sagt, „ein gutes Gefühl habe“.

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FOTO: RUTH AUCHTER-STELLMANN Verabschie­den sich von ihrem Laden in der Ravensburg­er Eichelstra­ße 12 und den vielen langjährig­en Kunden: Wolfgang und Gabi Schreiber.

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