Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das hilft gegen den Corona-Blues
Experten geben Tipps gegen Winterverstimmung und Einsamkeit während der Pandemie
REGION - Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen treffen jeden Einzelnen. Auch in der Vorweihnachtszeit müssen Traditionen und Rituale entfallen. Viele leiden unter den Folgen. Die Telefonseelsorge Oberschwaben, Allgäu, Bodensee verzeichnet rund 15 Prozent mehr Anrufe als im vergangenen Jahr. Experten erklären, welche Faktoren in der aktuellen Situation besonders belastend sind und mit welchen Tricks man gut durch die Krise kommt.
„Viele rufen bei uns an, um mit jemandem Kontakt zu haben. Sie wollen einfach gehört werden“, sagt Gabriela Piber, Psychotherapeutin und Leiterin der Telefonseelsorge. Das Thema Einsamkeit habe bereits im ersten Lockdown im Frühjahr eine große Rolle gespielt und tut es nun wieder. Immer häufiger werden derzeit auch die Themen Familie, Familienbeziehungen und Arbeitssituation angesprochen, sagt Piber. „In diesen Bereich gibt es gerade viele Unsicherheiten.“
Das beobachtet auch Wolfgang Valet, Diplompsychologe aus Ravensburg. „Suchtprobleme, klassische Formen von Depressionen und auch Tendenzen zur Vernachlässigung haben während der Krise zugenommen“, sagt er. Hinzu komme, dass das nasskalte Wetter im Herbst und im Winter die Psyche zusätzlich belasten könne.
Valet empfiehlt, sich nicht auf die Probleme und Herausforderungen, die die Krise mit sich bringt, zu versteifen. „Gerade in schwierigen Situationen müssen wir uns auf das Positive besinnen“, sagt er. Auch wenn gerade vieles unmöglich scheint, gebe es dennoch einen Handlungsspielraum. „Wenn ich zum Beispiel nicht in den Urlaub fahren konnte, kann ich mich darüber ärgern und darüber hinaus alles andere vergessen. Oder ich besorge mir einen Reiseführer aus der Region und entdecke meine nahe Umgebung und mache so das Beste daraus“, verdeutlicht der Psychologe.
Gabriela Piber rät ebenfalls, Tätigkeiten nachzugehen, die erden und vom Grübeln abhalten. „Es kann auch mal helfen, wild zu putzen“, sagt sie.
Statt Problemen sollten, laut Wolfgang Valet, Lösungen fokussiert werden. „Ich kann diese besondere Zeit auch nutzen und etwas anpacken, was ich schon immer tun wollte“, sagt er. Generell helfe es, sich Projekte vorzunehmen. „Das kann alles sein: Eine Ecke im Raum aufzuräumen, mit dem Fahrrad eine lange Strecke zurückzulegen oder ein neues Hobby beginnen“, sagt Valet. Er rät darüber hinaus dazu, sich regelmäßig an der frischen Luft zu bewegen. „Der Körper ist eine Einheit. Wenn ich mich ungesund ernähre, mich nicht bewege und es dem Körper dadurch schlecht geht, kann es auch der Psyche schlecht gehen.“
Wer unter Einsamkeit leide, dem empfiehlt der Diplompsychologe, im Rahmen der Möglichkeiten in Kontakt
mit Freunden und Bekannten zu bleiben. „Diese Lage bietet auch die Chance, kreativ zu werden. Man könnte Freunden zum Beispiel mal wieder einen handgeschriebenen Brief schicken“, sagt er.
Wie gut Menschen in psychischer Hinsicht durch diesen Corona-Winter kommen, kann auch davon abhängen, wie resilient sie sind. „Ganz einfach gesagt ist Resilienz die psychische Widerstandskraft des Menschen – das heißt die Fähigkeit nach Krisen und Schicksalsschlägen wieder aufzustehen und vielleicht sogar gestärkt aus der Situation herauszutreten“, erläutert Heike Berger vom Zentrum für Psychiatrie (ZfP). Sie ist therapeutische Leiterin der Tagesklinik Biberach.
Auch ihr Arbeitsalltag ist durch Abstandsund Hygieneregeln anstrengender geworden. „Neben diesen ,praktischen Problemen‘ erleben wir auch, dass Patienten zu uns kommen, deren
Erkrankung früher oder noch stärker zum Ausbruch gekommen ist“, erläutert Berger. Das könne an Einsamkeit oder fehlender Alltagsroutine liegen: „Leider haben wir, aufgrund der geringeren Aufnahmekapazität und des großen Bedarfs, eine viel zu lange Warteliste.“
Zurück zur Resilienz. Bei der Zwillingsforschung habe sich herausgestellt, dass etwa 40 Prozent der Fähigkeiten, die man braucht, um resilient zu sein, angeboren sind, so die Psychotherapeutin. „Das heißt aber auch – 60 Prozent sind selbst erworben.“Demnach kann jeder selbst etwas tun, um seine Resilienz zu stärken. Die Expertin hat drei konkrete Tipps, die sich mit denen von Valet decken:
(zum Beispiel durch soziale Medien, Telefon oder einen gemeinsamen Spaziergang)
Bewegung, vor allem in der Natur Die Zeit, in der weniger Hektik ist, für Aktivitäten nutzen, die einem wirklich Freude bereiten (zum Beispiel Musik hören, ein Fotoalbum anschauen oder ein Buch) „Theoretisch wissen wir dies alles. Es kommt darauf an, dies tatsächlich auch umzusetzen; die Dinge zu tun, die auch jetzt noch möglich sind“, sagt Berger. Denn resiliente Menschen zeichne auch aus, trotz manchmal schwieriger Lebensumstände, den Blick für die schönen Dinge nicht zu verlieren und Hoffnung zu haben. „Sicherlich müssen wir jetzt durch schwierige Wintermonate hindurch“, erläutert die Expertin. Aber auch dieser Winter gehe vorbei und die Meldungen bezüglich eines Impfstoffs seien sehr hoffnungsvoll.