Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Binge Reloaded“tritt das Erbe von „Switch“an
Martin Klempnow und Michael Kessler passen das Parodie-Format den neuen Sehgewohnheiten an
KÖLN (dpa) - Noch heute bekommen Fernseh-Enthusiasten feuchte Augen, wenn sie an „Switch“und „Switch Reloaded“denken. Nun kehrt das Comedy-Format, das den deutschen TV-Irrsinn genüsslich parodierte, zurück.
Martin Klempnow hat sich keinen leichten Job ausgesucht. Er parodiert neuerdings seinen Chef, vor aller Augen. Wer das schon mal probiert hat weiß: Das kann peinlich werden. Zumal in diesem speziellen Fall. Klempnows „Boss“, wie er ihn nennt, ist Oliver Welke, Moderator der „heuteshow“. Und am Anfang soll er nichts von den Plänen des Kollegen gewusst haben. „Mittlerweile weiß er es“, sagt Klempnow.
Klempnow, selbst oft Teil der „heute-show“, hat sich die Welke-Parodie für ein anderes Format angeeignet, das einen Namen trägt, der Erinnerungen weckt: „Binge Reloaded“. Die Sendung tritt das Erbe der Comedy-Shows „Switch“und „Switch Reloaded“an, die einst bei ProSieben liefen. Das Prinzip: das deutsche TV zu parodieren.
„Binge Reloaded“führt das nun fort. Michael Kessler (53), der wie Klempnow „Switch“-Erfahrung mitbringt, mimt in der Neuauflage etwa Schlagerstar Florian Silbereisen in dessen Rolle als „Traumschiff“-Kapitän, der in der Parodie einen kompletten Schlager-Dampfer befehligt. Im Vox-Format „Die Höhle der Löwen“sagt ein gespielter Carsten Maschmeyer: „Bitte gehen Sie jetzt. Draußen warten noch andere Gründer, die ich nach Strich und Faden ausnehmen kann.“
Zugleich hat „Binge Reloaded“andere Vorzeichen als seine Vorgänger. Die lineare Fernsehwelt, in die
„Switch“1997 und die Neuauflage „Switch Reloaded“2007 hineingeboren wurden, ist im Rückgang. „Binge Reloaded“trägt dem Rechnung, indem es nun auch Streaming-Hits veralbert, etwa „Haus des Geldes“oder „The Witcher“– beides übrigens Formate des Amazon-Konkurrenten Netflix.
Die Sache ist allerdings komplizierter. Das „Switchen“, das Zappen, ist in der Streaming-Welt als Kulturtechnik geschwächt worden. Niemand schaltet mitten in eine Folge „The Witcher“rein, ganz ohne Kontext. Genau davon lebte aber „Switch“. Bei „Binge Reloaded“wirken die Sprünge etwas gewollt. Zweiter Punkt: Um eine Parodie zu lieben, ist es förderlich, die Vorlage zu kennen. Vor 15 Jahren konnte man bei einer 20.15-Uhr-Show davon ausgehen, dass das Publikum im Stoff ist. Heute ist dieser Konsens nicht so einfach herstellbar.
Starke Momente hat „Binge Reloaded“dann, wenn man in der Parodie eine höhere Wahrheit erkennt. Klempnow etwa gelingt es, Oliver Welke, einem Mann mit einem ausgesprochen harmlosen Gesicht, Eigenheiten abzuringen und zu überzeichnen. So eine Parodie sei allerdings auch viel Arbeit, sagt er. Bis sie fertig sei, höre er sich möglichst viel Material der betreffenden Person immer und immer wieder über sein Handy an. Jeden Tag, acht bis zehn Stunden lang. „Das ist richtige Folter“, sagt Klempnow.