Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Doch nicht öko
Neue Studie sieht Zusammenhang zwischen intensiver Holzwirtschaft und Klimawandel
BRÜSSEL - Eine neue Studie sieht die Verwendung von Holz als Energieträger kritisch. Würde der Holzeinschlag um ein Drittel reduziert, könnten Europas Wälder fast die doppelte Menge an CO2 speichern. Zu diesem Ergebnis kommt die von Greenpeace Deutschland in Auftrag gegebene Untersuchung der Naturwald-Akademie, die von der Greenpeace-Umweltstiftung finanziert wurde.
Diese Erkenntnis überrascht nicht. Je mehr Bäume wachsen, desto mehr CO2 wird aus der Luft gebunden. Greenpeace verabschiedet sich damit aber von der bis vor kurzem vertretenen Haltung, die Stromerzeugung aus Holz sei klimaschonender als durch Öl- oder Gaskraftwerke. Damit ereilt die Holzwirtschaft das gleiche Schicksal wie zuvor die Produzenten von Biosprit.
Im europäischen Mittel wird 77 Prozent der jährlich nachwachsenden Holzmenge geerntet. In einer Modellrechnung kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Wälder im Verlauf der kommenden 30 Jahre doppelt so viel klimaschädliches CO2 binden könnten, wenn die Holzentnahme auf die Hälfte der nachwachsenden Menge reduziert würde. Um diese Quote zu erreichen, müsste die EU aus der Energiegewinnung aus Holz aussteigen und die Nutzung von Holz als Primärrohstoff für die Papierherstellung aufgeben. Dadurch könnte, so die Berechnung, so viel Holz eingespart werden, dass die fehlende Menge nicht durch Importe ersetzt werden müsste.
Zwischen 2000 und 2018 ist die Holzernte in der EU um 20 Prozent gestiegen. Treibender Faktor war die Bioenergierichtlinie der EU, die Holz als nachwachsenden, klimaneutralen Rohstoff bezeichnete und zu einer Steigerung der geernteten Holzmenge um knapp 50 Prozent führte. Die Holzwirtschaft hat sich auf die steigende Nachfrage nach Biobrennstoffen eingestellt und auch entsprechend investiert. Die Wälder nun, wie von Greenpeace gefordert, weniger intensiv zu bewirtschaften, würde für die Unternehmen starke Einkommensverluste bedeuten.
Besonders in der Pflicht sieht Greenpeace die Waldwirtschaft in Schweden, Finnland, Deutschland, Polen, Frankreich und Österreich, wo mehr als die Hälfte des europäischen Waldes angesiedelt sind. Die sechs Länder tragen 60 Prozent zur jährlichen Holzproduktion in der EU bei. Sie könnten allein drei Viertel der jährlich zusätzlich gespeicherten 242,4 Millionen Tonnen CO2 ermöglichen, wenn sie ihre geschäftlichen Aktivitäten im von Greenpeace geforderten Ausmaß reduzieren würden. Über die Frage, wer den Einkommensausfall kompensieren soll, schweigt sich die Studie aber aus.
Entsprechend ablehnend bewertet Jerg Hilt, Geschäftsführer der
Forstkammer Baden-Württemberg, die Forderungen. „Die Waldbesitzer kümmern sich um die Klimaanlage Wald und tragen ihren Teil dazu bei, dass unsere grünen Lungen auch in Zukunft gesund bleiben. Aktive Waldbewirtschaftung verhindert großflächige Borkenkäferkalamitäten, klimastabilere Baumarten können gezielt gepflanzt werden. Dadurch
schaffen die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer den Wald von morgen“, sagte Hilt der „Schwäbischen Zeitung“.
Greenpeace bestreitet nicht, dass der europäische Wald krank ist. Die Lösung liegt aber aus Sicht der Umweltorganisation nicht darin, weiterzumachen wie bisher. Immer häufiger würden Naturwälder durch schnell wachsende Anpflanzungen ersetzt, die viel anfälliger für Schädlinge wie den Borkenkäfer seien.
Vorreiter dieser Entwicklung sei Frankreich, das ein Fünftel des in der EU zur Energieerzeugung genutzten Holzes liefere. Die größte Steigerung aber habe Deutschland zu verzeichnen. Als Folge der ErneuerbareEnergien-Richtlinie habe es seine Produktion als Folge verdoppelt.
Jerg Hilt hält diese Entwicklung für positiv. Die heimische Forstwirtschaft und die lokale Versorgung mit Brennholz müsse weiter unterstützt werden, so seine Forderung. „Wird das Holz in modernen, feinstaubarmen Brennanlagen verfeuert, so kann der nachwachsende Rohstoff seine Rolle als wichtigster erneuerbarer Energieträger vollumfänglich und klimagünstig gerecht werden“, ist der Verbandsvertreter überzeugt.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich bei einer von grünen Politikern und Umweltexperten als nachhaltig gefeierten Lösung mittelfristig Nachteile zeigen. Als die EU-Kommission 2003 eine Richtlinie zur Steigerung der Biodieselquote im Kraftstoffmix erließ, stand noch die Frage im Vordergrund, ob der Motor dadurch Schaden nehmen oder krebserregende Stoffe bei der Verbrennung entstehen könnten. Erst allmählich wuchs die Erkenntnis, dass die daraus folgende Bodenverknappung die Lebensmittelpreise in die Höhe trieb und ungewollt Anreize setzte, weitere Regenwaldflächen zu roden. Deshalb besserte die Europäische Union später mit mehreren Gesetzen nach.
Der Druck auf die Waldwirtschaft steigt, weil die ehrgeizigen Klimaziele der EU ohne eine deutliche CO2Senkung nicht zu erreichen sein werden. 60 Prozent Reduktion bis 2030 fordert das EU-Parlament. Experten sind sich einig, dass dieses Ziel nur zu schaffen ist, wenn deutlich mehr CO2 in nachwachsendem Holz gebunden wird als bisher. Viele Regierungen sehen aber die wirtschaftlichen Nachteile – nicht nur für die Holzwirtschaft. Beim EU-Gipfel kommenden Donnerstag werden die 27 Mitgliedsstaaten erneut nach einem gemeinsamen Sparziel für CO2 ringen.