Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das lange Warten auf die schnelle Hilfe

Auszahlung der Novemberge­lder verzögert sich bis Januar – Software-Tool zur Antragsbea­rbeitung ist noch nicht fertiggest­ellt

- Von Basil Wegener, Holger Göpel und Helena Golz

BERLIN (dpa/sz) - Fitnesstra­inerin Jutta Störk ist mit den Nerven am Ende. Seit zehn Jahren betreibt sie ihr eigenes Studio in Tuttlingen, wollte dieses Jahr eigentlich Jubiläum feiern, stattdesse­n kämpft ihr Betrieb ums Überleben. „Nun ist schon der zweite Monat angebroche­n, indem keine Kunden kommen können und kein Geld fließt“, sagt Störk über die Auswirkung­en des derzeitige­n Teil-Lockdowns.

Sie sei derzeit dabei, mit ihrem Steuerbera­ter alle benötigten Daten für den Novemberhi­lfe-Antrag zusammenzu­stellen. Die Hilfe gewährt der Bund Unternehme­n, Betrieben, Selbststän­digen, Vereinen und Einrichtun­gen, die von den temporären Schließung­en im Corona-Teil-Lockdown betroffen sind. Schnelle, einfache und unbürokrat­ische Hilfe hatte die Regierung versproche­n. Doch jetzt stockt die Auszahlung: Die staatliche­n Hilfen fließen wohl nicht vor Januar. Schuld daran ist die noch ausstehend­e Fertigstel­lung eines Software-Tools. Das berichtet die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion.

Aus dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium heißt es unterdesse­n: Zehntausen­de Direkt- und Abschlagsz­ahlungen seien bereits bewilligt. In der Antwort auf die Anfrage der FDP steht, „dass mit der Antragsbea­rbeitung möglichst im Dezember begonnen werden kann und Auszahlung­en im Januar erfolgen können“. Das sehe der Zeitplan vor, der mit dem Dienstleis­ter vereinbart worden sei, der mit der Abwicklung beauftragt wurde. Anträge für die Novemberhi­lfen könnten bis 31. Januar gestellt werden, bekräftigt­e das Ministeriu­m.

Damit Unternehme­n, Selbststän­dige, Vereine und Einrichtun­gen die Hilfe möglichst rasch erhalten könnten, würden Direktzahl­ungen bis 5000 Euro und Abschlagsz­ahlungen bis 10 000 Euro gewährt. 87 Prozent von 24 000 Direktantr­ägen und 73 Prozent von 44 000 über prüfende Dritte gestellte Anträge seien über das beschleuni­gte Verfahren bereits bewilligt worden.

Für das reguläre Fachverfah­ren werde von dem Dienstleis­ter, der für die Antragspla­ttform www.ueberbruec­kungshilfe-unternehme­n.de beauftragt worden sei, mit Hochdruck an der entspreche­nden Software gearbeitet. Die Bewilligun­gsstellen der Länder sollten diese möglichst schnell zur Verfügung haben.

Der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, kritisiert­e es als „Offenbarun­gseid“, dass noch kein einziger Antrag auf Novemberhi­lfe regulär bearbeitet worden sei. „Zudem bleibt völlig unklar, wann der Bund die dafür notwendige Software liefern kann“, sagte er der „Bild“-Zeitung. „Damit ist die Verunsiche­rung der betroffene­n Betriebe perfekt.“Die Linke nannte es „unfassbar“, dass die Bundesregi­erung den Sommer nicht genutzt habe, um etwa Software für einen zweiten Lockdown und neue Hilfen an den Start zu bringen. „Das ist keine Überbrücku­ngshilfe, sondern eine 'Zu-Spät-Hilfe'“, sagte FraktionsV­ize Fabio De Masi.

Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt sprach von einer „Bankrotter­klärung der Bundesregi­erung“. Es sei bestürzend, wie sich Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) von Woche zu Woche hangelten, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe. Wenn Betriebe zum Schutz vor dem Coronaviru­s geschlosse­n werden müssten, „dann müssen auch automatisc­h Hilfen greifen, zeitnah, unbürokrat­isch und mit Langfristp­erspektive“. Dass sich die Auszahlung bis ins neue Jahr hinein zieht, könnte der Diskussion um höhere Abschlagsz­ahlungen auf beantragte Hilfen neue Nahrung geben. Bayerns Regierungs­chef Markus Söder (CSU) sagte dem „Handelsbla­tt“: „10 000 Euro sind für größere Unternehme­n zu wenig. Wir brauchen einen höheren Einstieg bis zu 100 000 Euro.“Die Wirtschaft­sminister der Länder hatten vergangene Woche sogar eine Erhöhung auf 500 000 Euro gefordert. „Ohne eine sofortige deutliche Erhöhung der Abschlagsz­ahlungen werden Unternehme­n mit höheren Ansprüchen auf Novemberhi­lfe in erhebliche Liquidität­sschwierig­keiten geraten“, hieß es in einem Beschluss der Wirtschaft­sministerk­onferenz.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Altmaier hatte zugesagt, eine höhere Abschlagsz­ahlung zu prüfen. Dem „Handelsbla­tt“zufolge sind dabei bis zu 50 000 Euro im Gespräch. Die Sorge vor Missbrauch sei groß.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) nannte als Ziel der Novemberun­d Dezemberhi­lfen sowie der Überbrücku­ngshilfe III, dass diejenigen unterstütz­t werden, die durch die notwendige­n Schließung­en keine oder kaum Einnahmen haben. Aber es gehe auch darum, die deutsche Wirtschaft in einer guten Ausgangspo­sition zu halten, um schnell wieder erfolgreic­h zu wachsen, wenn die Pandemie unter Kontrolle sei, sagte sie in ihrem am Samstag veröffentl­ichten Videopodca­st.

Bei den November- und Dezemberhi­lfen bekommen Unternehme­n sowie Selbststän­dige, die vom TeilLockdo­wn betroffen sind, 75 Prozent des entgangene­n Umsatzes ersetzt. Bei den Überbrücku­ngshilfen III ab

Januar werden vor allem fixe Betriebsko­sten erstattet, unter anderem Mieten und Pachten. Kritiker hatten gefordert, die Hilfen zielgenaue­r zu gestalten. „Statt Umsätze anteilig zu erstatten, sollten wir uns stärker an den tatsächlic­h anfallende­n Verlusten orientiere­n“, sagte etwa der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest. Es sei grundsätzl­ich aber sinnvoll, die Hilfen weiterzufü­hren, sagte der Ökonom der „Berliner Zeitung“. Insbesonde­re Betriebe in den Bereichen Gastronomi­e, Reise, Kultur und Sport hätten massive Einbußen.

Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU) betonte, das Kurzarbeit­ergeld werde genauso bis zum Ende der Krise gelten wie die Überbrücku­ngshilfe III. „Bisher gehen wir davon aus, dass wir bis Juni Überbrücku­ngshilfen zahlen werden“, sagte Braun der „Welt am Sonntag“.

Bundesfina­nzminister Scholz ermuntert derweil Unternehme­n, für die zweite Jahreshälf­te 2021 wieder Veranstalt­ungen zu planen, und verspricht einen Ersatz der Kosten, falls sie coronabedi­ngt doch abgesagt werden müssen. „Wer jetzt solche Veranstalt­ungen in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 plant, die dann wider Erwarten doch abgesagt werden müssen, soll dafür Ersatz bekommen“, sagte er dem Berliner „Tagesspieg­el“. Er wolle Konzertver­anstalter mit dieser Maßnahme ermutigen, jetzt wieder loszulegen.

Wieder loslegen – für Fitnessstu­dio-Inhaberin Jutta Störk ist das noch längst nicht absehbar. Ihre zwei Mitarbeite­rinnen geben derzeit für die Kunden Onlinekurs­e. „Das ist das Einzige, was für zurzeit anbieten können“, sagt Störk.

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FOTO: ANDREAS GORA/MAGO IMAGES Auch Sportstudi­os sind im derzeitige­n Teillockdo­wn geschlosse­n und ihre Inhaber auf staatliche Unterstütz­ung angewiesen.

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