Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schrumpfendes Autoland
Deutschlands wichtigste Branche steckt in einer schweren Absatzkrise – Einziger Lichtblick ist der Boom bei Elektro-Fahrzeugen
FRANKFURT - Die Sorge vor einem neuen Konjunktureinbruch vor dem Hintergrund der zweiten CoronaWelle trübt die Aussichten der Autobranche deutlich. Nach einem Rückgang der Neuzulassungen bereits im Oktober um 3,6 Prozent sanken die Neuzulassungen auch im November um drei Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Damit setzt sich der Abwärtstrend fort, nachdem sich die Autobranche in den Sommermonaten erholt hatte.
Dabei zeigt sich in den jüngsten Daten des Kraftfahrtbundesamtes ein deutlicher Unterschied zwischen Privatund gewerblichen Käufen: So haben die Käufe von Privatpersonen um deutliche 23 Prozent angezogen, während Neuanschaffungen von Firmenfahrzeugen um fast 15 Prozent eingebrochen sind.
Darin spiegeln sich offenbar Befürchtungen wider, welche konjunkturellen Auswirkungen die zweite Corona-Welle und die Maßnahmen haben, diese einzuschränken. „Der aktuelle Lockdown light und die stark gestiegenen Infektionszahlen haben natürlich zu neuer Verunsicherung geführt“, sagte Branchenexperte Peter Fuß von der Unternehmensberatung EY. „Nachdem sich die Konjunktur im Sommer erholt zu haben schien, fürchten viele Unternehmen nun einen neuen Konjunktureinbruch.“Der deutliche Rückgang produzierter und verkaufter Autos geht zum großen Teil auf den Lockdown in der ersten Jahreshälfte zurück – hier standen die Bänder in den Fabriken der Autobauer ganz oder teilweise still, Autohäuser blieben geschlossen.
Auch die Lobbyvertreter der Branche gehen von einem deutlichen Rückgang der Absätze in diesem Jahr aus. So rechnet der Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) in Deutschland mit einem historischen Einbruch: Mit dem Verkauf von insgesamt 2,9 Millionen Autos in diesem Jahr werde die Zahl der Neuzulassungen auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung fallen. Auch der Automobilverband VDA geht von einem Jahresergebnis in dieser Größenordnung aus – das entspräche einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr von rund 20 Prozent. „Ein Problem dieses Einbruches ist auch, dass modernste Fahrzeuge in geringerer Zahl auf den Markt kommen, und daher ältere Wagen länger gefahren werden“, kommentierte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Das aber sei nicht gut für die Klimabilanz.
Immerhin gibt es für den Klimaschutz aus dem Segment elektrisch betriebener Autos Positives zu berichten: So haben Mehrwertsteuersenkung, vor allem aber die Kaufprämie für Elektroautos und Plug-in-Hybride zu einem regelrechten Boom des Absatzes von Stromern und seinen Mischvarianten geführt: Im November sind die Zulassungen reiner E-Autos um sage und schreibe gut 520 Prozent auf 29 000 gestiegen. Bei Hybridfahrzeugen lag das Plus bei rund 180 Prozent und knapp 72 000.
Seit Anfang Juni zahlt der Bund im Rahmen seiner Konjunkturprogramme den doppelten Zuschuss für neu zugelassene Elektrofahrzeuge. Mit dem Anteil der Hersteller zusammen ergeben sich hiermit Förderungen von bis zu 9000 Euro pro gekauftem Auto. So rechnet der VDIK in diesem Jahr mit dem Verkauf von rund 350 000 Fahrzeugen mit gänzlich oder teils alternativen Antrieben – das entspricht einem Zuwachs gegenüber 2019 von satten 220 Prozent. „Damit wird 2020 zum Jahr des Durchbruchs der Elektromobilität in Deutschland“, konstatierte VDIKChef Reinhard Zirpel.
Für das kommende Jahr rechnen Beobachter mit zumindest eingetrübten Aussichten. So sind laut einer Befragung des ifo-Institutes die Erwartungen von Autoherstellern und deren Zulieferern den vierten Monat in Folge gesunken. Immerhin bewerteten die meisten Unternehmen nach der Erholung im Sommer ihre aktuelle Lage als besser. „Im Moment läuft es noch, aber der Blick in die Zukunft macht die Firmen gegenwärtig nicht glücklich", erklärte der Leiter der ifoUmfragen, Klaus Wohlrabe. Denn Unternehmen dürften aufgrund der hohen Unsicherheit auch in den kommenden Monaten sparsam mit neuen Ausgaben umgehen, der gewerbliche Automobilmarkt dürfte also nicht so schnell wieder anspringen. In Folge dieser Aussichten gab immer noch die Mehrheit der Unternehmen in der Autobranche an, die Anzahl ihrer Beschäftigten verringern zu wollen.