Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der FC Bayern und sein Wurzelprob­lem

Auch gegen Leipzig fingen sich die Münchener Gegentore – Nagelsmann überrascht

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Man hatte ein wahrhaftes Spitzenspi­el der Bundesliga gesehen. Das 3:3 (2:2) zwischen Meister und Tabellenfü­hrer FC Bayern sowie Verfolger und Herausford­erer RB Leipzig war von besonderem Format – mit allen Zutaten, die Bayern-Trainer Hansi Flick durchaus erfreut so beschrieb: „Sehr intensiv, mit viel Speed und vielen Torraumsze­nen. Ein sehr wildes Spitzenspi­el.“Auch sein Widersache­r, RB-Coach Julian Nagelsmann, meinte begeistert: „Ein sehr packendes Spiel, ich mag Spektakel.“Für Leipzigs Torschütze zum 3:2, Emil Forsberg, war es „geil, auf dem Platz stehen zu dürfen. Man lebt für solche Spiele.“Zuvor hatten Christophe­r Nkunku, Justin Kluivert für die Roten Bullen getroffen.

Wie sich die Trainer der Entertaine­r-Teams nach Abpfiff zum Happening mit dem jeweils kargen Ertrag von einem Pünktchen äußerten, verwundert­e die Beobachter. Nagelsmann überrascht­e mit der Wertigkeit des Gastspiels in München. „Wir mussten ab der 60. Minute einige wichtige Spieler runternehm­en, das hat uns geschmerzt. Wir haben den Dienstag immer im Hinterkopf gehabt, weil wir gerne ins Achtelfina­le kommen würden“, erklärte der 33Jährige und verwies auf das letzte und entscheide­nde Gruppenspi­el der Champions League gegen Manchester United. Setzte Nagelsmann also den Dreier bei Bayern und die damit verbundene Tabellenfü­hrung für das Ziel K.o.-Phase in der Königsklas­se aufs Spiel? Dennoch freute sich Nagelsmann, dass „die Jungs schon wieder gut an ihre Grenzen gegangen sind“und betonte: „Dafür bekommen sie auch Lob. Wir jammern jetzt nicht rum und reden auch nicht so viel von Müdigkeit.“Seine Spieler nannte er „Maschinen“.

Und die Bayern, die „Triple-Maschinen“des Sommers? Sie waren mit dem zweiten Heim-Unentschie­den hintereina­nder zufrieden. Sie hatten zwei Rückstände aufgeholt, kamen nach dem 0:1 und 2:3 zurück. Sie wackelten und wankten, aber sie gingen nicht k.o. „Wichtig war, dass wir das Spiel nicht verloren haben“, resümierte Flick. „Beide Abwehrreih­en

waren nicht ganz auf 100 Prozent. Wir können mit dem 3:3 leben, nach dem Spielverla­uf sind wir damit fein“, befand auch Torhüter Manuel Neuer, der jedoch monierte: „Wir kassieren zu viele Gegentreff­er.“Und das „zu leicht“, so Flick. Zum vierten

Mal hintereina­nder ging der Abo-Meister der letzten acht Jahre in Rückstand – was dem Branchenpr­imus zuletzt im März 2010 widerfuhr. Noch ärgerliche­r: In den letzten neun Pflichtspi­elen konnte Bayern nie die Null halten. Für solch eine Negativsta­tistik muss man bis 2006 zurückblic­ken. Satte 16 Gegentore nach zehn Spieltagen musste man zuletzt 2008/09 unter Trainer Jürgen Klinsmann hinnehmen, damals war man jedoch nur Tabellenvi­erter, erzielte lediglich 22 Treffer. Und damit zum Positiven: die 34 eigenen Tore. Der aktuell beste, weil konstantes­te Flügelspie­ler im Kader, Kingsley Coman, bereitete alle drei Münchner Treffer vor. Die des 17-jährigen Jamal Musiala, der immer wertvoller wird, und des nimmermüde­n und ewig wertvollen Thomas Müller, der doppelt traf. Dreifach wertvoll für die Bayern, da Leroy Sané seine Startelf-Chance nicht nutzte und wie Toptorjäge­r Robert Lewandowsk­i völlig untertauch­te.

Trotz des spannenden, weil wilden Spektakels überwiegt bei den Münchnern der negative Trend in Punkto defensive Defizite. „Wir machen summa summarum zu viel Fehler“, befand Müller, und zeigte sich etwas ratlos: „Wir kommen aber momentan nicht so ran an die Wurzel. Aber die Einstellun­g ist gut – jeder

Julian Nagelsmann will. Daher sind wir mit dem Punkt nicht 100 Prozent zufrieden, aber in unserer Situation ist das schon okay. Am Ende können wir damit leben, müssen wir damit leben.“Hauptsache in der Tabelle oben geblieben. Für die verbleiben­den drei Spieltage bis zur (arg kurzen) Weihnachts­pause sollen die letzten Körner in der „Power-Saison“(O-Ton Neuer über die aufgrund der Corona-Pandemie komprimier­te Spielzeit) mobilisier­t werden. „Wir haben sicherlich auch ein paar Problemche­n im Team. Der Kader ist etwas belastet, doch damit muss man klarkommen – und das tun wir“, meinte Müller, „das sieht man auch daran, dass wir immer wieder zurückkomm­en – so auch diesmal, und das zweimal.“

Unterm Strich bleibt die Frage: Geht Bayern mit seiner teils waghalsige­n, weil zu offensiven Spielweise ein einkalkuli­ertes Risiko ein, das zu hoch ist? Bald wissen Flick und die Konkurrenz mehr.

„Wir haben den Dienstag immer im Hinterkopf gehabt.“

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Drin isser: Leipzigs Justin Kluivert (2. v. li.) versenkt zum 2:2, Torwart Manuel Neuer (li.) ist geschlagen.

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