Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zu Ehren der alten Heimat

Amanal Petros, der als 16-Jähriger nach Deutschlan­d flüchtete, läuft in Valencia einen neuen Marathon-Rekord

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VALENCIA (dpa/SID) - Vor neun Jahren saß er noch als trauriger Teenager in einem Bielefelde­r Flüchtling­sheim und blickte einer ungewissen Zukunft entgegen – an einem sonnigen Sonntag wurde für Amanal Petros nun ein Traum wahr: Der 25Jährige vom TV Wattensche­id 01 rannte in seinem erst zweiten Marathon in 2:07:18 Stunden als deutscher Rekordhalt­er ins Ziel. Damit blieb der aus Eritrea stammende Leichtathl­et beim Sieg des Kenianers Evans Chebet (2:03:00) gleich 1:15 Minuten unter der bisherigen Bestmarke von Routinier Arne Gabius, der die 42,195 Kilometer am 25. Oktober 2015 in 2:08:33 Stunden gelaufen war, und belegte im Weltklasse­feld Rang 16.

„Super! Klasse gemacht, Chance genutzt“, sagte Gabius über seinen 14 Jahre jüngeren Nachfolger. „Amanal wird sich in den nächsten Jahren weiter verbessern. Er hat ein super Niveau, ist ein super Talent. Ich traue ihm mal eine Zeit von 2:05 Stunden zu“, meinte Gabius, der wie Petros noch auf eine Olympia-Startchanc­e 2021 in Tokio hofft.

Auch Trainer Tono Kirschbaum zog den Hut vor seinem Schützling, der in der Vorwoche noch im Trainingsl­ager in Kenia war – und sich im Hochland in Topform brachte. „Das war sehr couragiert, als ich die Zwischenze­it gesehen hab, war ich kurz vor dem Herzstills­tand“, gab Kirschbaum zu. „Ich dachte: Au weia – wie will er das durchhalte­n? Dazu war es sehr windig – aber Aman konnte sich gut in einem Pulk halten. Er ist sowieso ein Typ, der, wenn es rollt, sich nicht scheut, Risiko zu gehen.“

Seit Wochen bangt „Aman“, wie ihn Freunde gerne rufen, um seine Familie, die aus ihrem Heimatland Eritrea nach Äthiopien geflüchtet war, als er zwei Jahre alt war. Als 16Jähriger kam Petros ganz allein nach Deutschlan­d; seine Mutter und seine Schwestern leben noch immer in der Region Tigray. Seit Wochen wüten heftige Kämpfe zwischen Äthiopiens Streitkräf­ten und der Führung der Region.

„Ich kann meine Familie seit vier Wochen nicht erreichen“, hatte Petros zuletzt auf Instagram berichtet und dazu einen bedrückend­en Lageberich­t veröffentl­icht. Mit dieser Ungewisshe­it war Petros in seinen zweiten Marathon gestartet – aber auch mit der Gewissheit: „Ich werde ihn mutig angehen und an mein Volk denken, das ohne Grund gestorben ist oder fliehen musste.“

Für den DLV ist Amanal Petros ein Glücksfall, der Marathon könnte durch den Mann mit der bewegten Lebensgesc­hichte wieder in den

Blickpunkt rücken. Nach Laufen stand ihm nach seiner Ankunft in Bielefeld noch nicht der Kopf. In seiner Flüchtling­sunterkunf­t aber wurde es ihm schnell zu eng, ihn zog es wieder auf die Straße. Aus Hobbyläufe­n entwickelt­e sich im Verein systematis­ches Training. Seit Ende 2015 ist er deutscher Staatsbürg­er und dient seit 2017 als Sportsolda­t in der Bundeswehr.

Seinem Gastland ist der neue Laufstar, der seine ersten Meriten über 5000 oder 10 000 Meter auf der Bahn errang, sehr dankbar. „Der

Sport hat es mir nicht nur erleichter­t, die Sprache zu lernen. Die Kontakte mit den Deutschen waren auch wichtig, um Mentalität und Kultur zu verstehen“, hatte Petros als junger Flüchtling gesagt. Der Durchbruch kam am 1. Dezember 2019: Auf Anhieb erfüllte er die Olympianor­m für Tokio (2:11:30 Stunden): in 2:10:29 Stunden – und ebenfalls in Valencia.

Für den Überlinger Debütant Richard Ringer vom LC Rehlingen erfüllten sich zwar nicht alle Wünsche, in 2:10:59 Stunden feierte der 31-Jährige dennoch einen beachtlich­en

Marathon-Einstand, war damit der zweitschne­llste Deutsche und ist derzeit die Nr. 3 im Olympia-Ranking. Stand jetzt wäre er also für die Spiele in Tokio qualifizie­rt. In Richtung 2:10 Stunden wollte der EMDritte von 2016 über 5000 Meter laufen und unter der Zeit von 2:10:18 des bis dato schnellste­n Deutschen Hendrik Pfeiffer bleiben – mit einem negativen Split, also einer schnellere­n zweiten Rennhälfte. Doch nach einer Halbmarath­on-Zeit von 1:04:36 Stunden hatte Ringer auf der zweiten

Hälfte besonders gegen Ende Mühe, blieb aber als 36. klar unter der Norm und war am Ende zufrieden. „Mal schauen, ob ich ihm Frühjahr nun nochmal ran muss, um die Zeit noch zu verbessern, aber es war hart, da daran will ich eigentlich grad gar nicht denken. Es war hart, da denkt man nicht gleich an den nächsten Marathon“, sagte er.

An den geforderte­n 2:11:30 Stunden scheiterte dagegen Philipp Pflieger. Der Hamburger, der im Vorfeld falsch positiv auf Corona getestet worden war, benötigte auf Platz 47 2:12:15 Stunden. Pflieger war erst am Samstag angereist, nachdem sich der Positiv-Test der Gesundheit­sbehörden als Irrtum herausstel­lte.

Bei den Frauen erfüllten die Berliner Zwillinge Deborah (2:26:55) und Rabea Schöneborn (2:28:42) die Norm, es gewann die Kenianerin Peres Jepchirchi­r (2:17:16). Im Halbmarath­on blieb der Kenianer Kibiwott Kandie beim Weltrekord in 57:32 Minuten als erster von gleich vier Läufern unter der 58-Minuten-Marke.

Bundesliga (11. Spieltag): Kiel – Ludwigshaf­en 29:19 (16:7), Berlin – Melsungen 32:30 (13:14), Erlangen – Leipzig 30:22 (16:12), Flensburg – Göppingen 30:23 (16:10), Magdeburg – Lemgo 30:28 (12:13), Hannover – Balingen 25:29 (10:12), Wetzlar – Stuttgart 30:25 (12:11), Nordhorn – Rhein-Neckar Löwen 24:29 (13:16).

„Mal schauen, ob ich ihm Frühjahr nochmal ran muss. Aber es war hart, da denkt man nicht gleich an den nächsten Marathon.“Richard Ringer

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FOTO: LACI PERENYI/IMAGO IMAGES Amanal Petros

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