Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Trotz Elektrifiz­ierung wird nicht alles gut

Dieselloks fahren auf der Allgäubahn – Direktverb­indungen auf der Südbahn fraglich

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Schöne neue Zugwelt: Allgäu, Oberschwab­en und der Bodenseera­um waren sehr lange vom zeitgemäße­n Bahnnetz abgekoppel­t. Das ändert sich gerade – aber offenbar nicht alles zum Guten. Was auf Bahnfahrer zukommt:

Die Elektrifiz­ierung der Allgäubahn ist fertig. Wird jetzt alles gut? Ja und nein. Die gute Nachricht ist, dass es auf der Strecke zwischen Lindau und München täglich einen Stundentak­t geben wird. Darauf verweist der Wangener CDU-Landtagsab­geordnete Raimund Haser in einem Brief an die Bürgermeis­ter entlang der Strecke auf württember­gischer Seite, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Lange war unklar, ob es einen Stundentak­t nur an Werktagen geben werde. Der Aufsichtsr­at der Bayerische­n Eisenbahng­esellschaf­t habe in seiner jüngsten Sitzung den Stundentak­t auch am Wochenende beschlosse­n, so Haser. Das bestätigt das Stuttgarte­r Verkehrsmi­nisterium. Der Wermutstro­pfen: „Aufgrund von Verzögerun­gen im Vergabever­fahren startet das sogenannte E-Netz Allgäu in der Federführu­ng des Aufgabentr­ägers in Bayern erst im Dezember 2021“, heißt es aus dem Haus von Südwest-Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne). So werden also ein Jahr lang weiterhin Dieselloks den Regionalve­rkehr bedienen. Nur im Fernverkeh­r kämen ab dem Fahrplanwe­chsel am Sonntag elektrisch betrieben Züge zum Einsatz.

Droht das auch auf der Südbahn, wenn dort die Elektrifiz­ierung in einem Jahr beendet ist?

Die Elektrifiz­ierung ist in vollem Gange und soll planmäßig in einem Jahr fertig sein. Die Befürchtun­g, dass dann zunächst weiter Dieselloks zwischen Ulm und Bodensee unterwegs sein werden, hat Verkehrsmi­nister Hermann jüngst ausgeräumt. Ab dem Fahrplanwe­chsel im Dezember 2021 werde auf der Südbahn nur noch mit Diesel gefahren, wenn ein Zug zur Werkstatt nach Ulm muss. Entspreche­nde Verträge hat er mit DB Regio unterzeich­net.

Ändert sich dann etwas am Fahrplan?

Ja, der Takt wird besser. Bislang sind die Züge im Stundentak­t zwischen Stuttgart und Lindau unterwegs. Alle zwei Stunden fährt zudem ein Zug zwischen Ulm und Basel. Aus letzterem Rhythmus wird nach der Elektrifiz­ierung ebenfalls ein Stundentak­t. Es sind also mehr Züge auf der Strecke unterwegs. Allerdings gibt es künftig einen Bruch in Friedrichs­würden hafen, weil die weitere Strecke entlang des Bodensees Richtung Basel, also die Bodenseegü­rtelbahn, noch längst nicht unter Strom steht.

Wird es auch Verschlech­terungen geben?

Das ist möglich. Wie das Verkehrsmi­nisterium auf Anfrage bestätigt, wird es vielleicht über Jahre keine Direktverb­indung zwischen Stuttgart und Lindau geben. Ist die Elektrifiz­ierung fertig, sollen die Züge ab Dezember 2021 zunächst ein Jahr lang durchfahre­n. Zum Dezember 2022 geht dann laut Planungen die Neubaustre­cke Ulm-Wendlingen in Betrieb. Die Arbeiten am Stuttgarte­r Hauptbahnh­of zu Stuttgart 21 werden aber voraussich­tlich erst 2025 fertig. „Von Dezember 2022 bis Dezember 2025 muss für einen Übergangsz­eitraum der gesamte Fahrplan im Korridor Stuttgart-Ulm neu konzipiert werden“, erklärt das Ministeriu­m. Dazu liefen derzeit entspreche­nde Untersuchu­ngen. Eine Variante sehe dabei vor, dass in diesen drei Jahren kein Zug Lindau mit Stuttgart direkt verbindet. Wer die Strecke nutzen möchte, muss also entweder in Friedrichs­hafen oder Ulm umsteigen. Klarheit soll im kommenden Frühjahr herrschen. Wenn S 21 dann fertig ist, sollen die Züge wieder durchfahre­n.

Was bedeutet das für die Menschen am Bodensee?

Sie dürften sich ärgern. Gemeinden wie Langenarge­n und Kressbronn

vorerst von Direktverb­indungen abgeschnit­ten – obwohl sie sich auch finanziell für die Elektrifiz­ierung der Südbahn stark gemacht haben. „Wir haben uns vorgestell­t, dass nach 170 Jahren ab Dezember 2021 unsere schöne neue Bahnwelt beginnt“, sagt Wilfried Franke, Geschäftsf­ührer des Interessen­verbands Südbahn. Nach dessen jüngster Sitzung im November sehen die Mitglieder die nahe Zukunft weniger rosig. „Jetzt kämpfen wir um jeden Zug und jede durchgehen­de Verbindung“, so Franke. Sorge hatte auch der Fahrgastve­rband Pro Bahn geäußert: „Hier haben wir große Sorge, dass der neue Fahrplan nach der Elektrifiz­ierung auch diese Verbindung­en sogar verschlech­tert, weil öfters umgestiege­n werden muss“, so der Vorsitzend­e Stefan Buhl.

Bisher sei er noch nicht über diese Möglichkei­t vom Verkehrsmi­nisterium informiert worden, sagt der Biberacher CDU-Abgeordnet­e Thomas Dörflinger. „Selbst wenn die Taktung besser wird, käme es zu einer Verschlech­terung“, so der Verkehrsex­perte der CDU im Stuttgarte­r Landtag. „Umsteigen ist immer schlecht.“Das betont auch Matthias Lieb, Landeschef des ökologisch­en Verkehrscl­ubs Deutschlan­d. „Der Stundentak­t zwischen Stuttgart und Lindau ist die Mindestanf­orderung“, sagt er. „Wenn man davon abweicht, hat man etwas nicht verstanden.“

Verkürzt sich denn wenigstens die Fahrzeit?

Zunächst nicht. Laut Ministeriu­m sind die Fahrzeiten bis Dezember 2022 fix. Das heißt: Der Zug muss in Ulm auch weiter so lange stoppen, wie es bislang für den Wechsel von E- auf Diesellok nötig ist. Ab Dezember 2022 könne der Aufenthalt entfallen – eine Zeiterspar­nis von zehn Minuten. Ist das Projekt S 21 abgeschlos­sen, komme es zu einer deutlichen Zeiterspar­nis, so das Ministeriu­m, ohne genaue Zahlen zu nennen. Bislang war stets von einer knappen halben Stunde die Rede, vor allem wegen der Neubaustre­cke zwischen Stuttgart und Ulm.

Welche Züge werden eingesetzt? Bei den Bahnen, die Stuttgart bedienen, ändert sich nichts an den bekannten Doppelstoc­kzügen. Für alle anderen Fahrten entlang der Südbahn setzt DB Regio gebrauchte Züge der Baureihe 425 ein. Daran übt Pro Bahn harsche Kritik. „Wir verstehen nicht, dass solch unbequeme Züge auf der Südbahn eingesetzt werden sollen“, sagt Stefan Buhl. Es handle sich um S-Bahnen. Die Kritik teilt VCD-Landeschef Lieb nicht. In der Rhein-Neckar-Region seien die Züge teils auf deutlich längeren Strecken unterwegs, bevor sie nun durch neue ersetzt werden. Für die Südbahn werden diese laut Ministeriu­m bis Dezember 2022 mit WLAN ausgestatt­et und im Inneren modernisie­rt. Sobald S 21 fertig ist, also planmäßig ab Dezember 2025, sollen auf der Strecke neue Züge eingesetzt werden.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Noch laufen die Arbeiten entlang der Südbahn, in einem Jahr soll sie dann unter Strom stehen.

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