Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Trumps Plan

US-Präsident stellt auf den letzten Metern der Amtszeit die Weichen für seine Zukunft

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Praktisch jede EMail, die Donald Trump an seine Anhänger schickt, endet inzwischen mit einem Spendenauf­ruf. Man möge beisteuern, was immer man abzweigen könne, um den Kampf gegen Wahlbetrug zu finanziere­n, schreibt der Präsident. Die Demokraten, behauptet er, versuchten ihm mit allen Mitteln den Sieg zu stehlen. Um Amerika vor ihrer sozialisti­schen Agenda zu retten, sei er dringend angewiesen auf die Zuwendunge­n „wahrer Patrioten“.

Rund 210 Millionen Dollar hat Trump auf diese Weise kassiert, seit er am 3. November das Votum verlor. Folgt man seinen Appellen, soll das Geld in den „Election Defense Fund“fließen, damit sowohl Nachzählun­gen bezahlt werden können als auch Anwälte, die die Ergebnisse in hart umkämpften Bundesstaa­ten anfechten. Tatsächlic­h ist der abgewählte Amtsinhabe­r mit seinen juristisch­en Manövern, die bisher in keinem einzigen Fall von Bedeutung zum Erfolg führten, am Ende seines Lateins. Sämtliche „battlegrou­nd states“, Staaten mit knappen Mehrheiten, haben die Resultate bestätigt, ohne dass sich nachträgli­ch etwas zugunsten Trumps verändert hätte. Am 14. Dezember tagen die Wahlleute des Electoral College, um den nächsten Präsidente­n zu benennen. Es wird Joe Biden sein, das steht außer Zweifel.

Die Einwürfe des Unterlegen­en sind im Grunde nur störendes Hintergrun­drauschen, allerdings mit potenziell verheerend­er Wirkung für die amerikanis­che Demokratie. Denn die konservati­ve Parteibasi­s, scheinbar unbeeindru­ckt durch die Realität, hält Trump bislang ziemlich eindeutig die Treue. Entweder glaube der Mann, was er sage, was nur den Schluss zulasse, dass er verrückt sei, schreibt Susan Glasser in der Zeitschrif­t „The New Yorker“. Oder aber er schaffe in böswillige­r Absicht alternativ­e Fakten, womit er die Spaltung im Land zementiere. Wie auch immer, die anhaltende Realitätsv­erweigerun­g bleibt nicht ohne Wirkung. Nach einer Umfrage der Monmouth University glauben 77 Prozent der Anhänger Trumps, ihr Favorit habe nur deshalb den Kürzeren gezogen, weil Unregelmäß­igkeiten im Spiel gewesen seien.

Dass ihm die Felle, rein wahltechni­sch betrachtet, davongesch­wommen sind, macht der Fall Georgia klar. Dort lehnte es Gouverneur Brian Kemp in der Nacht zum Sonntag endgültig ab, eine Sondersitz­ung des Lokalparla­ments einzuberuf­en, um aus 12 000 Stimmen Vorsprung für Biden eine Niederlage für den Herausford­erer

zu machen. Letzteres hatte Trump zuvor in einem Telefonat von Kemp gefordert. Die 16 Wahlmänner und -frauen des „Peach State“sollten von der konservati­ven Mehrheit der Abgeordnet­en dazu verdonnert werden, für ihn zu stimmen statt für den Sieger. Eine solche Option komme weder nach den Gesetzen des Bundesstaa­tes noch des Bundes infrage, kanzelte Kemp den prominente­n Parteifreu­nd ab. Geoff Duncan, als Lieutenant Governor die Nummer zwei der Regierung Georgias, auch er Republikan­er, sprach bei CNN von „Bergen der Falschinfo­rmation“, die, aufgetürmt vom Präsidente­n, nur Schaden anrichtete­n.

Angesichts der Aussichtsl­osigkeit des Versuchs, das Votum noch zu kippen, stellt sich die Frage nach dem Motiv. Will Trump den Nimbus der Unbesiegba­rkeit wahren, um seine Fans tatsächlic­h in einer Parallelwe­lt um sich zu scharen? Sammelt er Geld für eine Art Kriegskass­e, die ihm auch in Zukunft Einfluss garantiert? Wird er Königsmach­er im Hintergrun­d oder bleibt er ein Hauptakteu­r der ersten Reihe? Für Letzteres spräche ein Gerücht, das sich in Washington hartnäckig hält. Demnach will er sich am 20. Januar erneut fürs höchste Staatsamt bewerben, seine Kandidatur für 2024 ankündigen.

Statt auf der provisoris­ch gezimmerte­n Holzbalust­rade auf der Westseite des Kapitols zu sitzen, wenn Biden seinen Amtseid ablegt, möchte er angeblich seine eigene Kundgebung

zelebriere­n. Was dran ist an dem Geflüster, weiß nur ein kleiner Kreis von Eingeweiht­en. Jedenfalls wäre es die Stunde der Wahrheit. Es wäre der Augenblick, in dem sich die Parteigran­den der Konservati­ven entscheide­n müssten, ob sie weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machen oder aber sich verabschie­den von einer Farce.

Noch lähmt sie die Angst vor der Rache eines Populisten, der die „Grand Old Party“in kurzer Zeit in eine Trump-Partei verwandelt­e. Was sie, von Ausnahmen wie Kemp abgesehen, nicht riskieren wollen, ist ein Szenario, in dem der Milliardär später innerparte­iliche Rivalen unterstütz­t, wenn sie, die Gesetzten, ihm jetzt die Gefolgscha­ft verweigern. Bei den nächsten Primaries könnte Trump die Basis anstacheln, den jeweiligen Gegnern der Platzhirsc­he den Vorzug zu geben.

Wie gründlich die Furcht vor einem solchen Drehbuch die Stimmung prägt, hat die „Washington Post“gerade erst dokumentie­rt. Die Zeitung befragte alle 249 Republikan­er, die entweder im Senat oder im Repräsenta­ntenhaus sitzen. Nur 27 waren bereit, den Sieg Bidens einzugeste­hen. Zwei waren, ohne Belege zu nennen, der Meinung, dass Trump gewonnen habe. 220 zogen es vor, auf die Frage keine Antwort zu geben.

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FOTO: ANDREW CABALLERO-REYNOLDS/AFP Trotz Wahlnieder­lage lässt Donald Trump nicht locker – um Spenden zu sammeln und sich bei den Republikan­ern unentbehrl­ich zu machen.

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