Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Avira wird in die USA verkauft
Investcorp gibt den Tettnanger Antivirenspezialist für den doppelten Einkaufspreis an Nortonlifelock ab
RAVENSBURG/TETTNANG - Geschäftsmodelle, die mit Viren zu tun haben, versprechen aktuell gute Perspektiven. Das gilt zuvorderst in der Biotech- und Pharmabranche mit der Suche nach einem Coronavirus-Impfstoff. Das scheint aber auch für Finanzinvestoren zu gelten. So zumindest lässt sich die Meldung vom Montag deuten, die die bahrainische Investorengruppe Investcorp Technology Partners zusammen mit dem Tettnanger Anbieter von Antivirenprogrammen Avira veröffentlicht hat. Der zufolge wird Avira für 360 Millionen US-Dollar (297 Millionen Euro) an den US-amerikanischen Entwickler von Sicherheitssoftware Nortonlifelock verkauft.
Damit steigt der Finanzinvestor vom persischen Golf, der inzwischen in zwölf Ländern vertreten ist und ein Vermögen von 32 Milliarden US-Dollar verwaltet, nach gerade einmal sieben Monaten bei Avira wieder aus. Finanziell hat sich das Gastspiel mehr als gelohnt: Ende April hatte Investcorp für Avira lediglich die Hälfte des nun erzielten Kaufpreises, nämlich 180 Millionen US-Dollar bezahlt. „Die Gelegenheit, eine Verbindung mit Avira herbeizuführen, war zu überzeugend, um sie verstreichen zu lassen“, sagte Investcorp-Chef Gilbert
Kamieniecky mit Blick auf den Verkauf an Nortonlifelock. Auf die Frage, warum sich Investcorp schon so früh wieder von Avira getrennt habe, teilte eine Sprecherin des Finanzinvestors der „Schwäbischen Zeitung“mit, dass Investcorp und Avira bei der Umsetzung der vereinbarten Wachstumspläne sehr schnell vorangekommen seien. „Avira hat sich in kurzer Zeit sehr gut entwickelt, ist organisch gewachsen und hat das Ebitda deutlich erhöht.“
Avira ist vor allem für seine Antivirensoftware bekannt, die Computer vor schädlicher Software schützt. Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1986 von Tjark Auerbach, der nach wie vor über einen „signifikaten Anteil“am Unternehmen verfügt. Avira beschäftigt derzeit 500 Mitarbeiter
an fünf Standorten in Deutschland, Europa, den USA und Asien. Nach eigenen Angaben laufen die Programme von Avira auf weltweit mehr als 500 Millionen Endgeräten. Branchenschätzungen zufolge kommt das Unternehmen auf einen Umsatz im hohen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich und schreibt schwarze Zahlen. „Wir sind Investcorp dankbar für die Unterstützung, die Entwicklung von Avira zu beschleunigen und uns für dieses nächste Kapitel unserer Unternehmensgeschichte zu positionieren“, sagte Avira-Geschäftsführer Travis Witteveen am Montag.
Nortonlifelock mit Sitz in Tempe im US-Bundesstaat Arizona hat sich auf Sicherheitssoftware für Privatanwender spezialisiert. Vor diesem Hintergrund dürfte auch die Ankündigung von Avira Mitte November zu verstehen sein, sich aus dem Geschäft mit Firmenkunden zurückziehen und sich künftig voll auf Endkunden- und OEM-Lösungen konzentrieren zu wollen. Nortonlifelock, das an der USTechnologiebörse Nasdaq notiert ist, erhofft sich von der Übernahme „anziehende Wachstumsraten in Europa und in Schwellenländern“sowie den Zugang zu sogenannten FreemiumProdukten, die Avira im Programm hat. Bei diesem Geschäftsmodell wird das Basisprodukt gratis angeboten, während das Vollprodukt und Erweiterungen kostenpflichtig sind.
Was die Übernahme für die Beschäftigten am Standort Tettnang bedeutet ist offen. Das Unternehmen vom Bodensee und der Käufer aus den USA waren auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht zu erreichen. Zum Zeitpunkt der Übernahme durch Investcorp im April dieses Jahres erklärte ein Avira-Firmensprecher noch „kurzfristig nicht mit Auswirkungen auf die Anzahl unserer Beschäftigten“zu rechnen. Durch das stärkere Wachstum im Zuge der Corona-Pandemie erwarte man mittelfristig eher positive Auswirkungen auf die Anzahl der Stellen.
Ob das unter dem neuen Eigentümer auch noch gilt bleibt abzuwarten. In einer ersten Reaktion gab sich Nortonlifelock-Chef Vincent Pilette euphorisch: „Ich freue mich, Avira in der Norton-Familie zu begrüßen. Wir können es kaum erwarten, mit Avira loszulegen“, sagte Pilette und fügte hinzu, beide Firmen würden kulturell „prima zusammenpassen“. Zumindest für Avira-Chef Witteveen und Technologievorstand Matthias Ollig scheint die Perpektive klarer. Beide sollen nach Abschluss des Deals im vierten Quartal 2021, so die Behörden ihre Genehmigung erteilen, in die Führungsmannschaft von Nortonlifelock rücken.