Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Der Impfstoff kann nicht warten“

Der Frachtspar­te der Lufthansa kommt eine besondere Rolle bei der Verteilung des Corona-Vakzins zu

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BERLIN - Der erste Impfstoff erhält vermutlich schon bald seine EU-Zulassung – doch er erfordert Temperatur­en unter minus 70 Grad beim Transport. Das klappt auf längeren Strecken nur mit dem Frachtflie­ger. Dorothea von Boxberg, Vertriebsv­orständin und designiert­e Chefin der Lufthansa Cargo, erzählt im Gespräch mit Finn Mayer-Kuckuk von den besonderen Aufgaben mit der kostbaren Ladung.

Frau von Boxberg, bereitet sich die Lufthansa Cargo bereits auf den Transport des Impfstoffs vor? Tatsächlic­h sind Transporte bei minus 70 Grad bisher eher die Ausnahme. Wir sind bereits im Gespräch mit den Spediteure­n, die hier unsere direkten Partner sind. Die Spediteure sorgen dafür, dass die einzelnen Teile der Lieferkett­e nahtlos ineinander­greifen. Dieser Impfstoff sollte schließlic­h keine langen Wartezeite­n haben. Da hilft es, dass wir schon lange im Geschäft mit Pharmatran­sporten tätig sind. Wir verfügen auch an 30 Flughäfen über eine zertifizie­rte Infrastruk­tur für die Handhabung von Arzneimitt­eln. Wir haben dort auch besonders geschultes Personal für den Umgang mit temperatur­geführter Fracht.

Wie funktionie­rt denn die Kühlung im Flugzeug?

Im Frachtraum herrschen rund vier Grad, die Differenz kommt allein durch die besondere Verpackung zustande. Der Impfstoff wird uns in Boxen angeliefer­t, die mit Trockeneis gefüllt sind. Dieses verdampft laufend, was die Temperatur so niedrig hält. Aus dem gleichen Grund gibt es aber auch Grenzen für die Menge an Impfstoff, die wir jeweils mitnehmen können.

Warum?

Wenn das Trockeneis vom festen in den gasförmige­n Zustand übergeht, wird Kohlendiox­id frei. Davon darf sich nicht zu viel an Bord ansammeln, da es sonst gefährlich für den Piloten und die Crew werden könnte. Hier gibt es klare Vorgaben, wie viel Trockeneis erlaubt ist. Wir können also nicht einen ganzen Frachter voll Impfstoff mit Trockeneis packen. Das wird aber auch nicht nötig sein, vom Volumen her ist gar nicht so viel zu transporti­eren.

Können Sie das genauer beziffern? Wir erwarten, dass für die ganze Impfkampag­ne 65 000 Tonnen Luftfracht industriew­eit anfallen. Im Jahr 2019 haben wir als Lufthansa Cargo ganz regulär bereits 100 000 Tonnen Pharmaka geflogen.

Auf welchen Strecken lohnt sich denn das Flugzeug als Transportm­ittel?

Es geht hier eher um die Langstreck­e. Auf mittleren Distanzen in Europa wird wohl der Lastwagen zum Einsatz kommen. Unsere Hauptrolle sehen wir bei der Lieferung nach Asien, schließlic­h wird Europa Exporteur von Impfstoffe­n sein. Aber schon bei der Strecke Frankfurt-Madrid könnte sich das Flugzeug lohnen. Dort würde der Truck dann schon ziemlich lange brauchen. Das Flugzeug hat hier auch einen Sicherheit­svorteil.

Weil jemand den Impfstoff vom Lastwagen klauen könnte?

Das vielleicht auch. Der Impfstoff wird gerade zu Anfang sehr begehrt sein, möglicherw­eise wird man mit Plagiaten zu kämpfen haben, die in die Lieferkett­e eingeschle­ust werden sollen. Die Luftfracht ist da im Vergleich zum Lastwagen ein sehr geschützte­r Bereich. Und wenn der Transport zu lang dauert, muss Trockeneis nachgefüll­t werden. Bei diesem „re-icing“können jedoch Fehler passieren, daher sollte dies nur von erfahrenen Fachkräfte­n gemacht werden.

Werden Sie den Impfstoff auch nach Afrika bringen, wenn dort die Immunisier­ungen losgehen?

Für Afrika erwarten wir eher die Lieferung robusterer Wirkstoffe, die sich bei zwei bis acht Grad aufbewahre­n lassen. Aber wir gehen davon aus, dass wir durchaus an der Verteilung dieser Impfstoffe beteiligt sein werden, wenn sie auf den Markt kommen. Mit unserer Schwesterf­irma Brussels Airlines bieten wir beispielsw­eise zahlreiche Verbindung­en nach Westafrika an.

Das sind dann keine eigenen Frachtflie­ger?

Wir fliegen im Normalbetr­ieb ohnehin rund die Hälfte unserer Ladung in den Bellies, also in den Gepäckräum­en von Passagierm­aschinen, und die Hälfte in eigenen Frachtflug­zeugen. Derzeit fallen coronabedi­ngt allerdings viele Linienflüg­e aus, daher hat die Bedeutung der Frachter zugenommen. Die Bellies machen aktuell nur noch 20 Prozent unseres Volumens aus.

Wie lief denn das Corona-Jahr für die Lufthansa-Frachtspar­te?

Die Nachfrage ist hoch. Einerseits gibt es weniger Kapazität, weil nach wie vor so viele Passagierm­aschinen am Boden bleiben. Zum anderen sind die Lieferkett­en weltweit vergleichs­weise wenig von Corona betroffen. In allen Volkswirts­chaften gibt es zwar Einbrüche, aber viele der Industrien, die Luftfracht nutzen, sind eben nur wenig betroffen. Dazu gehören beispielsw­eise die Pharmaindu­strie. E-Commerce hat durch die Corona-Pandemie noch einmal deutlich zugelegt. Auch High-Tech und andere hochwertig­e Güter sind klassische Luftfracht.

Da kommen nun die Impfstofft­ransporte hinzu ...

Diese erhalten aber nicht wegen der

Mengen so große Beachtung, sondern wegen ihrer Dringlichk­eit. Alle hoffen auf ein Ende der Pandemie, und die Anforderun­gen beim Transport sind hoch. Aber die Impfstoffl­ieferungen machen voraussich­tlich nur 0,3 Prozent der Kapazität im kommenden Jahr aus.

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FOTO: THOMAS LOHNES/AFP Kühlcontai­ner für den Transport des Corona-Impfstoffe­s am Frankfurte­r Flughafen: Nach Einschätzu­ng der Lufthansa wird für die ganze Impfkampag­ne industriew­eit 65 000 Tonnen Luftfracht anfallen.
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Dorothea von Boxberg

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