Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schwere Zeiten trotz Tabellenführung
„Wie eine Theaterprobe“– Gedrückte Stimmung bei ungeschlagenen Ulmer Basketballern
ULM - Die Basketball-BundesligaPartie zwischen Ulm und Vechta ist ausgeglichen – 73:73. Es ticken die letzten Sekunden, als der Ulmer Center Dylan Osetkowski mit Energie zum Korb zieht, gefoult wird und die alles entscheidenden Freiwürfe bekommt – spannender geht Basketball wohl nicht, doch die Halle ist stumm.
„Es macht schon weniger Spaß“, verrät Per Günther nach dem Spiel. „Wenn wir einlaufen mit dem Feuer und dem Rauch – aber ohne Fans –, fühlt sich das immer ein bisschen wie eine Theaterprobe an.“Günther will aber nicht jammern, er sei privilegiert, er dürfe seinen Beruf ausüben und spielen. Und das macht das Team von Trainer Jaka Lakovic in der laufenden Saison mit Erfolg. Denn durch einen verwandelten Freiwurf von Osetkowski haben die Ulmer auch das Spiel gegen Rasta Vechta gewonnen. Das 74:73 war der vierte Sieg im vierten Bundesligaspiel.
Beim größten Sportverein der Alb-Donau-Region prallen derzeit Gegensätze aufeinander. Auf der einen Seite ein vollgepackter Spielplan mit Bundesliga und Eurocup, der gute Start mit einem harmonierenden Team, dazu noch Topscorer Dylan Osetkowski in bestechender Form – auf der anderen Seite verwaiste Ränge
und leere Kassen. Der Club blickt zwiegespalten in die Zukunft. „Auf dem Orange Campus hängt ein großes Bild der Arena, wie wir einlaufen“, sagt Günther, „da merke ich schon die wehmütigen Blicke einiger Amerikaner, die das noch nicht erleben durften.“Doch noch mehr gehe derzeit verloren, mahnt Günther. Normalerweise hätten sich die Spieler nach so einem Sieg verabredet, wären zusammen essen oder in eine Bar gegangen – „es brechen viele Routinen weg“.
Alte Routinen fehlen auch den aktiven Fans. Marcus Heckenberger ist Vorsitzender des Fanclubs „Fanattack“, die Pandemie habe seinem Verein alle Möglichkeiten der Unterstützung geraubt – das sei in Ulm besonders tragisch. „Bei uns gehen die Leute impulsiv beim Spiel mit, bei uns explodiert die Halle“, erklärt Heckenberger. Die Ulmer Arena sei kein Ort, wo Menschen hingehen, um sich einfach nur bespaßen zu lassen. Die Pandemie habe jedoch auch einen positiven Effekt, findet Heckenberger. Der Verein nehme noch deutlicher wahr, welchen Einfluss die Unterstützung von den Rängen hat, „dass der Support nicht nur für die Show gut ist, sondern auch aus sportlicher Sicht wichtig ist“.
Während der Play-offs im Sommer sei der Ausnahmezustand noch in Ordnung gewesen, sagt derweil
Sportdirektor Thorsten Leibenath. „Da war das irgendwie noch neu und besonders.“Doch jetzt müsse er in jedem kleinsten Detail seiner Arbeit dem Infektionsrisiko Beachtung schenken. Und es kommt immer Neues hinzu – egal ob Catering auf Auswärtsfahrten, Presseanfragen, die nicht umgesetzt werden können, oder die heiklen Familienbesuche der ausländischen Spieler zu Weihnachten. Zu den stimmungslosen Spielen und den Planungsproblemen kommen außerdem die finanziellen Schwierigkeiten. „Den Kader haben wir mit 40 Prozent weniger Etat zusammengeschustert als normalerweise“, sagt Leibenath. Die Einnahmen des Bundesligisten basieren auf drei Säulen, erklärt der Sportdirektor. Das TV-Geld sei die einzig stabile Säule, diese trägt jedoch die geringste Last. Mehr Geld bringen die Heimspieltage und die Sponsoren.
Eigentlich. Während die Spieltageseinnahmen komplett ausfallen, gestaltet sich die Rechnung rund um das Sponsoring etwas komplexer. „Wir haben loyale Partner“, sagt Leibenath. Am Wochenende verlängerte beispielsweise das Pharmaunternehmen Teva mit der Marke Ratiopharm den Hauptsponsoren-Vertrag um fünf Jahre. „Aber die Einnahmen dieser Säule sind trotzdem nicht eins zu eins zu halten“, mahnt Leibenath. So verkauft der Club beispielsweise nur die Bandenwerbung, die bei der TV-Übertragung zu sehen ist. Die LED-Reklame auf der gegenüberliegenden Seite bleibt aus – und bringt derzeit kein Geld ein. „Das alles kostet viel Zeit und Konzentration“, fasst Leibenath zusammen – und doch führt Ulm die Bundesligatabelle an. Wie ist der Erfolg zu erklären? Der Spielplan sei bisher recht leicht gewesen, relativiert Leibenath. Nur wegen vier Siegen zum Saisonstart sieht er Ulm noch nicht als Topteam. Denn: „Die Mannschaft hat sich in einigen Phasen nicht gerade mit Ruhm bekleckert.“
Sinnbildlich für diese Einschätzung steht wohl der knappe Sieg gegen Vechta am vergangenen Sonntag. Vor allem im zweiten und dritten Viertel taten sich die Ulmer schwer. Trotz deutlicher Führung und individueller Überlegenheit nach den ersten zehn Minuten ließ Ulm die bisher sieglosen Niedersachsen zurück in die Partie. „Wir hatten mit Sicherheit auch etwas Glück zum Schluss“, gestand Trainer Jaka Lakovic. Die vier Siege würden nicht besonders viel aussagen, sagt Lakovic. Jetzt komme es auf die nächsten Wochen an, auf Partien wie gegen Oldenburg oder Berlin. Da werde sich entscheiden, ob Ulm ganz oben mitspielen wird – und ob der Kontrast von Corona-Problemen und sportlichem Erfolg weiter anhält.