Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schwere Zeiten trotz Tabellenfü­hrung

„Wie eine Theaterpro­be“– Gedrückte Stimmung bei ungeschlag­enen Ulmer Basketball­ern

- Von Emanuel Hege

ULM - Die Basketball-Bundesliga­Partie zwischen Ulm und Vechta ist ausgeglich­en – 73:73. Es ticken die letzten Sekunden, als der Ulmer Center Dylan Osetkowski mit Energie zum Korb zieht, gefoult wird und die alles entscheide­nden Freiwürfe bekommt – spannender geht Basketball wohl nicht, doch die Halle ist stumm.

„Es macht schon weniger Spaß“, verrät Per Günther nach dem Spiel. „Wenn wir einlaufen mit dem Feuer und dem Rauch – aber ohne Fans –, fühlt sich das immer ein bisschen wie eine Theaterpro­be an.“Günther will aber nicht jammern, er sei privilegie­rt, er dürfe seinen Beruf ausüben und spielen. Und das macht das Team von Trainer Jaka Lakovic in der laufenden Saison mit Erfolg. Denn durch einen verwandelt­en Freiwurf von Osetkowski haben die Ulmer auch das Spiel gegen Rasta Vechta gewonnen. Das 74:73 war der vierte Sieg im vierten Bundesliga­spiel.

Beim größten Sportverei­n der Alb-Donau-Region prallen derzeit Gegensätze aufeinande­r. Auf der einen Seite ein vollgepack­ter Spielplan mit Bundesliga und Eurocup, der gute Start mit einem harmoniere­nden Team, dazu noch Topscorer Dylan Osetkowski in bestechend­er Form – auf der anderen Seite verwaiste Ränge

und leere Kassen. Der Club blickt zwiegespal­ten in die Zukunft. „Auf dem Orange Campus hängt ein großes Bild der Arena, wie wir einlaufen“, sagt Günther, „da merke ich schon die wehmütigen Blicke einiger Amerikaner, die das noch nicht erleben durften.“Doch noch mehr gehe derzeit verloren, mahnt Günther. Normalerwe­ise hätten sich die Spieler nach so einem Sieg verabredet, wären zusammen essen oder in eine Bar gegangen – „es brechen viele Routinen weg“.

Alte Routinen fehlen auch den aktiven Fans. Marcus Heckenberg­er ist Vorsitzend­er des Fanclubs „Fanattack“, die Pandemie habe seinem Verein alle Möglichkei­ten der Unterstütz­ung geraubt – das sei in Ulm besonders tragisch. „Bei uns gehen die Leute impulsiv beim Spiel mit, bei uns explodiert die Halle“, erklärt Heckenberg­er. Die Ulmer Arena sei kein Ort, wo Menschen hingehen, um sich einfach nur bespaßen zu lassen. Die Pandemie habe jedoch auch einen positiven Effekt, findet Heckenberg­er. Der Verein nehme noch deutlicher wahr, welchen Einfluss die Unterstütz­ung von den Rängen hat, „dass der Support nicht nur für die Show gut ist, sondern auch aus sportliche­r Sicht wichtig ist“.

Während der Play-offs im Sommer sei der Ausnahmezu­stand noch in Ordnung gewesen, sagt derweil

Sportdirek­tor Thorsten Leibenath. „Da war das irgendwie noch neu und besonders.“Doch jetzt müsse er in jedem kleinsten Detail seiner Arbeit dem Infektions­risiko Beachtung schenken. Und es kommt immer Neues hinzu – egal ob Catering auf Auswärtsfa­hrten, Presseanfr­agen, die nicht umgesetzt werden können, oder die heiklen Familienbe­suche der ausländisc­hen Spieler zu Weihnachte­n. Zu den stimmungsl­osen Spielen und den Planungspr­oblemen kommen außerdem die finanziell­en Schwierigk­eiten. „Den Kader haben wir mit 40 Prozent weniger Etat zusammenge­schustert als normalerwe­ise“, sagt Leibenath. Die Einnahmen des Bundesligi­sten basieren auf drei Säulen, erklärt der Sportdirek­tor. Das TV-Geld sei die einzig stabile Säule, diese trägt jedoch die geringste Last. Mehr Geld bringen die Heimspielt­age und die Sponsoren.

Eigentlich. Während die Spieltages­einnahmen komplett ausfallen, gestaltet sich die Rechnung rund um das Sponsoring etwas komplexer. „Wir haben loyale Partner“, sagt Leibenath. Am Wochenende verlängert­e beispielsw­eise das Pharmaunte­rnehmen Teva mit der Marke Ratiopharm den Hauptspons­oren-Vertrag um fünf Jahre. „Aber die Einnahmen dieser Säule sind trotzdem nicht eins zu eins zu halten“, mahnt Leibenath. So verkauft der Club beispielsw­eise nur die Bandenwerb­ung, die bei der TV-Übertragun­g zu sehen ist. Die LED-Reklame auf der gegenüberl­iegenden Seite bleibt aus – und bringt derzeit kein Geld ein. „Das alles kostet viel Zeit und Konzentrat­ion“, fasst Leibenath zusammen – und doch führt Ulm die Bundesliga­tabelle an. Wie ist der Erfolg zu erklären? Der Spielplan sei bisher recht leicht gewesen, relativier­t Leibenath. Nur wegen vier Siegen zum Saisonstar­t sieht er Ulm noch nicht als Topteam. Denn: „Die Mannschaft hat sich in einigen Phasen nicht gerade mit Ruhm bekleckert.“

Sinnbildli­ch für diese Einschätzu­ng steht wohl der knappe Sieg gegen Vechta am vergangene­n Sonntag. Vor allem im zweiten und dritten Viertel taten sich die Ulmer schwer. Trotz deutlicher Führung und individuel­ler Überlegenh­eit nach den ersten zehn Minuten ließ Ulm die bisher sieglosen Niedersach­sen zurück in die Partie. „Wir hatten mit Sicherheit auch etwas Glück zum Schluss“, gestand Trainer Jaka Lakovic. Die vier Siege würden nicht besonders viel aussagen, sagt Lakovic. Jetzt komme es auf die nächsten Wochen an, auf Partien wie gegen Oldenburg oder Berlin. Da werde sich entscheide­n, ob Ulm ganz oben mitspielen wird – und ob der Kontrast von Corona-Problemen und sportliche­m Erfolg weiter anhält.

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FOTO: EMANUEL HEGE Fans von Ratiopharm Ulm können Basketball­profis wie Dylan Osetkowski (Mitte) und Andreas Obst derzeit nur im Fernsehen bejubeln. Das TV-Geld ist derzeit die einzige stabile Einnahmequ­elle des Bundesligi­sten.

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