Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Obdachlose müssen nicht frieren

Anfrage führt zu längeren Debatte im Sozialauss­chuss über den Umgang mit Randgruppe­n

- Von Anton Wassermann

RAVENSBURG - Gibt es in Ravensburg genügend Schlafplät­ze, damit wohnungslo­se Menschen nicht ungeschütz­t der Winterkält­e ausgesetzt sind? Mit dieser Anfrage in der jüngsten Sitzung des Sozialauss­chusses zielte CDU-Stadtrat Rolf Engler auf ein anderes Problem: den richtigen Umgang mit psychisch Kranken, die durch ihr auffällige­s Verhalten viele Ravensburg­er, insbesonde­re Einzelhänd­ler, belästigen.

„Wer psychisch krank ist, aber weder andere noch sich selbst gefährdet, kann nicht gegen seinen Willen in die Psychiatri­e eingewiese­n werden. So ist nun einmal die Rechtslage. Und an die müssen wir uns halten, ob es uns gefällt oder nicht.“Mit dieser Auskunft machte Bürgermeis­ter Simon

Blümcke klar, dass die Stadt keine rechtliche Handhabe besitzt, zwei stadtbekan­nte Frauen davon abzuhalten, Kunden von Geschäften oder Banken mit ihrem auffällige­n Verhalten zu belästigen. „Alles, was wir machen können, ist zu versuchen, sie über unsere Sozialarbe­iter von ihrer Hilfsbedür­ftigkeit zu überzeugen, damit sie sich psychiatri­sch behandeln lassen. Aber damit sage ich Ihnen nichts Neues“, erklärte Blümcke.

Hoffnung setzt der Bürgermeis­ter auf die ambulanten Angebote des Sozialpsyc­hiatrische­n Dienstes. „Da sind wir in konkreten Verhandlun­gen“, sagte Blümcke. Es gehe hier nicht allein um die von Engler erwähnten zwei Frauen: „Wir haben zehn bis 20 solcher Schicksale in der Stadt. Dabei muss es gelingen, die Betroffene­n zu überzeugen, dass sie Hilfe benötigen und sie auch annehmen. Wir haben es schließlic­h auch geschafft, einem stadtbekan­nten Tänzer und Hobbypoete­n zu helfen“, fügte der Bürgermeis­ter an. Gemeint war der frühere OB-Kandidat Alexander Miele, der über Jahre viele Ravensburg­er durch seine immer skurriler werdenden öffentlich­en Auftritte genervt hatte.

Den Ausführung­en Blümckes pflichtete SPD-Stadtrat Dieter Schäfer nachdrückl­ich bei: „Man kann niemand zu seinem Glück zwingen. Gewisse Lebensweis­en müssen wir aushalten, ohne sie zu bewerten. Aber wir haben genügend Hilfsangeb­ote“, betonte der evangelisc­he Pfarrer und Krankenhau­sseelsorge­r am Zentrum für Psychiatri­e in Weißenau.

Was die Notunterkü­nfte für Wohnungslo­se betrifft, so ist Ravensburg nach Einschätzu­ng von Bürgermeis­ter

Blümcke gut aufgestell­t, auch dank der Kooperatio­n mit Institutio­nen wie dem Dornahof in Altshausen.

„Kein Obdachlose­r muss bei uns im Winter frieren. Wir haben ausreichen­d Schlafplät­ze, auch für Frauen. Keine andere Stadt im Regierungs­bezirk Tübingen kommt dieser Verpflicht­ung so gut nach wie Ravensburg.“Der Bürgermeis­ter räumte allerdings ein, dass die ausreichen­de Unterbring­ung von Wohnungslo­sen in Notunterkü­nften gerade für mittelgroß­e Städte ein ständig größer werdendes Problem darstellt.

Und wenn sich die Arbeitsmar­ktlage als Folge der Corona-Krise nachhaltig verschlech­tern sollte, könnte die Zahl der Wohnungslo­sen zusätzlich steigen, aber auch die der Menschen mit gravierend­en psychische­n Erkrankung­en.

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