Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Alles auf Kretschmann
Südwest-Grüne ziehen mit ihrem Ministerpräsidenten und Klimaschutz in die Wahl
STUTTGART - Nun ist es offiziell: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist erneut Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl am 14. März. Beim digitalen Landesparteitag am Samstag haben 91 Prozent der gut 200 Delegierten für den beliebten Politiker gestimmt – fünf Prozent weniger als vor fünf Jahren. Das am Sonntag verabschiedete Wahlprogramm hat einen wenig überraschenden Schwerpunkt: Klimaschutz. Vor allem hier hat sich die Ökopartei auf ambitionierte Maßnahmen festgelegt.
„Danke für das Ergebnis“, sagt Kretschmann am Samstag in Reutlingen. „Danke auch für die Gegenstimmen, da zweifelt niemand dran, dass die Wahl auch richtig verlaufen ist.“Seit 2011 steht er an der Regierungsspitze im Südwesten – zuerst in einer Koalition mit der SPD, seit 2016 mit der CDU. Nun gehe es darum, eine Politik des Wandels voranzutreiben. Die 2020er-Jahre seien hierfür entscheidend. „In dieser Dekade geht es darum, den Klimawandel zu begrenzen, den Wirtschaftswandel zu meistern, die liberale Demokratie zu verteidigen“, so Kretschmann. „Weil wir das Klima schützen wollen, wollen wir regieren, nicht weil die Villa Reitzenstein so heimelig ist“, sagt er über seinen Stuttgarter Regierungssitz. Deshalb spiele er nicht auf Platz. „Wir spielen bei dieser Landtagswahl auf Sieg.“
Auf Attacken gegen den Koalitionspartner verzichtet er. Die übernimmt Landeschefin Sandra Detzer. Sie und die Parteispitze hatten sich in der Reutlinger Stadthalle versammelt, Delegierte und Zuschauer verfolgten den Parteitag online. „Die Verhinderer haben in Baden-Württemberg einen Namen: CDU“, so Detzer. „Sie hat in den vergangenen Jahren wichtige Fortschritte verzögert, blockiert, verwässert und verstolpert.“Und: „Sie war unser Klotz am Bein, ohne den wir noch viel mehr hätten hinbekommen können.“
Das soll sich nun ändern. In ihrem Wahlprogramm unter dem Motto „Wachsen wir über uns hinaus“legen sich die Grünen auf eine Photovoltaik-Pflicht für alle Neubauten und bei Dachsanierungen fest. Mit der CDU hatten sie jüngst eine solche Pflicht nur für Geschäftsgebäude beschlossen. 2000 neue Windräder sollen errichtet werden – etwa im landeseigenen Wald. „Die Klimawende wird nicht funktionieren ohne Verkehrswende in diesem Land“, mahnt Verkehrsminister Winfried Hermann. Der Verkehr sei für ein Drittel der Treibhausgase im Südwesten verantwortlich. Gegenmaßnahmen, die Hermann schon lange fordert, sind nun auch im Programm: Bis 2030 sollen die Bürger im Vergleich zu heute nur noch jede dritte Strecke mit dem Auto zurücklegen. Dafür soll es beim Nahverkehr mindestens einen Stundentakt von 5 bis 24 Uhr geben – in der Stadt wie auf dem Land. Zur Finanzierung von Bus und Bahn sollen Kommunen die Möglichkeit bekommen, eine Nahverkehrsabgabe einzuführen. Eine Citymaut, wie sie andere europäische Städte erheben, lehnt die Partei.
Auch der Antrag auf ein 365-Euro-Ticket pro Jahr für den Nahverkehr im ganzen Land ging nicht durch. Hermann warb für gestaffelte Preise.
Die Partei folgt dem Programmvorschlag des Landesvorstands. Mehr als 800 Änderungsanträge waren eingegangen – viele wurden übernommen. Bei allen Abstimmungen über strittige Anträge hat nur einer Erfolg: Der Grünen-Jugend hatte es nicht gereicht, einen Kohleausstieg bis 2030 als Ziel zu formulieren. Bislang ist der Kohleausstieg auf Bundesebene bis 2038 geplant. Nun heißt es im Programm, dass sich das Land bei energieerzeugenden Unternehmen
mit Landesbeteiligung – also bei der EnBW – für einen Kohleausstieg bis 2030 einsetzt.
Alle weiteren Anträge zu konkreten Reduktionszielen werden abgelehnt. Im Programm bekennt sich die Partei zwar klar zum Ziel einer Erderwärmung von 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Bis 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen im Land im Vergleich zu 1990 aber nur um 40 Prozent gesenkt werden. Die EU hatte jüngst 55 Prozent formuliert. Daran wolle man sich zwar orientieren. „Ich bitte euch aber darum zu vermeiden, Ziele reinzuschreiben, die ambitioniert sind, aber jeder auseinandernehmen kann, weil es nicht zu schaffen ist“, betont Verkehrsminister Hermann. Baden-Württemberg sei „autolastig“.
Das ganze Wahlprogramm trägt eine pragmatische Handschrift. Anträge zu ambitionierteren Zielen treffen häufig auf das Gegenargument: „Wir sollten nichts versprechen, was wir nicht halten können.“Ein Versuch zum Bedingungslosen Grundeinkommen? Die Definition von Vollzeitarbeit bei 30 Wochenstunden? Schluss mit Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer? Mietendeckel? Alles abgelehnt. Auch Feldversuche zu Forschungszwecken mit neuer Genschere-Methodik soll es nicht geben.
Revolutionäres für den Bildungsbereich sehen die Grünen nicht vor. Bei den Grundschulen sollen aber verstärkt Teams aus Lehrern und anderen Berufen – etwa Sozialarbeiter oder Psychologen – zusammenarbeiten. Und sie sollen nach einem Sozialindex mehr Geld bekommen, wenn sie viele Schüler mit Sprach- oder sonstigen Problemen haben.
Wieder pochen die Grünen darauf, das Landtagswahlrecht zu reformieren, um etwa mehr Frauen den Weg in den Landtag zu ebnen. Die Reform war am Widerstand der CDU-Fraktion gescheitert. In der Legislatur zuvor konnten die Grünen gegen die SPD keine Kennzeichnungspflicht für Polizisten durchsetzen. Eine solche Pflicht streben sie nun wieder an. Und sie wollen die Sicherheitsgesetze der vergangenen 20 Jahre durchforsten, die sie mit der CDU zweimal verschärft haben. „Wir glauben: Es ist Zeit, dies unter bürgerrechtlicher Perspektive zu überprüfen“, heißt es nun.