Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Angst um Innenstädte und Jobs
Scholz will Lockdown-Schock für Einzelhändler abfedern – Verband warnt vor Pleitewelle
BERLIN - Ein neuer Lockdown – ein neues Unterstützungspaket: Finanzminister Olaf Scholz hat am Sonntag die Hilfen umrissen, mit denen der Staat die wirtschaftlichen Folgen der neuen Geschäftsschließungen abfedern will. Der Fokus lag diesmal auf dem Einzelhandel, weil sich für Gastronomie und Kultur der Lockdown einfach verlängert, während die Läden nun überraschend den Endspurt des Weihnachtsgeschäfts verlieren. „Es geht hier um Existenzen, um Frauen und Männer, die sich über Jahre ein Geschäft aufgebaut haben und sich nun sorgen, dass ihre Lebensleistung innerhalb weniger Wochen einfach verschwindet“, sagte Scholz in Berlin. Er rechne damit, dass die neuen Hilfen rund elf Milliarden Euro pro Monat kosten.
Scholz hat die existierenden Hilfsprogramme bereits im November von Januar bis Juni kommenden Jahres ausgedehnt. Auf die Überbrückungshilfe II folgt dazu nahtlos die Überbrückungshilfe III. Bei diesem Instrument handelt es sich um den erweiterten Nachfolger der ursprünglichen Corona-Maßnahmen vom März dieses Jahres. Je nach Höhe des Umsatzeinbruchs ersetzt der Staat den Unternehmen bis zu 90 Prozent der Fixkosten. Dabei handelt es sich um Posten wie Miete, Gehälter, Strom oder Zinsen für Kredite. Im derzeit laufenden Programm waren dafür Zahlungen bis 50 000 Euro pro Monat möglich, mit der Ankündigung vom Sonntag hat Scholz die Summe auf 500 000 Euro pro Monat verzehnfacht.
Da viele Selbstständige und Kleinunternehmen nur wenig Fixkosten haben, hat die Bundesregierung zusammen mit den Novemberhilfen im vergangenen Monat gegenüber betroffenen Branchen begonnen, auch Umsätze zu ersetzen. Sie hilft also nicht nur, die laufenden Kosten zu bezahlen, sondern sie gleicht die sinkenden Einnahmen aus – und übernimmt damit quasi die finanzielle Rolle der Kunden. Das hilft besonders Selbstständigen und Kleinunternehmen, die wenig Fixkosten haben, zum Beispiel freien Musikern. Auch diese Hilfen laufen weiter, solange der Lockdown anhält. Das gilt auch für den Umsatzausgleich für Restaurants, Kinos oder Körperpflegeeinrichtungen.
Nun soll es auch besondere Hilfen für die Läden geben. Das wichtigste Instrument dazu ist das Steuerrecht. Der Offline-Einzelhandel bleibt vermutlich auf einem Haufen von Waren
sitzen, die er nun nicht mehr vor Weihnachten zum vollen Preis verkaufen kann. Deren Wertverlust soll nun unbürokratisch durch Teilabschreibungen aufgefangen werden können, wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet am Sonntag bestätigte. Das heißt, die Geschäfte können den Verlust durch den sinkenden Preis der gelagerten Waren von der Steuer absetzen.
Die Einzelhandelsverbände sind dennoch höchst unglücklich mit der Schließung. „Das Weihnachtsgeschäft 2020 ist für die meisten Innenstadthändler
verloren“, sagte Stefan Genth, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE). Mehr als die Hälfte der Läden befürchten, für immer schließen zu müssen. „Wenn jetzt Geschäftsschließungen als notwendig angesehen werden, darf die Bundesregierung die Branche nicht im Regen stehen lassen“, forderte Genth. Was bisher vorgesehen sei, reiche nicht, um eine Pleitewelle zu verhindern.
Der Handelsverband hat bereits ausgerechnet, was der neue Lockdown für die Branche bedeutet. Im Vergleich zu einem normalen Dezember
– dem wichtigsten Monat des Jahres – werde der Umsatz um 60 Prozent sinken. Damit schrumpfen die Einnahmen um zwölf Milliarden Euro. Betroffen seien 200 000 Unternehmen, von denen fast alle kleine Läden oder allenfalls mittelständische Firmen seien. In Deutschland hängen nach Verbandsangaben 600 000 Arbeitsplätze von den Läden in den Innenstädten ab. Für BadenWürttemberg rechnet Handelsverbands-Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann mit Umsatzverlusten in Höhe von 2,5 bis drei Milliarden Euro. Von den Schließungen seien im Südwesten
etwa 20 000 Betriebe und 250 000 Beschäftigte betroffen.
Scholz zeigte am Sonntag jedoch, dass ihm das alles bewusst ist. „Wir wollen den Unternehmen und Geschäften helfen, die jetzt getroffen sind“, versprach der Finanzminister. Es stehe genug Geld zur Verfügung, um ihr Überleben in den kommenden Monaten zu sichern. Eine ähnliche Ankündigung gab es jedoch schon Ende Oktober vor dem TeilLockdown. Die Auszahlung, die „schnell und unbürokratisch“erfolgen sollte, zieht sich jedoch länger hin als versprochen – weil die Behörden eben doch mehr Details prüfen müssen, als ihre Minister sich bei der Ankündigung vorstellen konnten.
Durch den bevorstehenden harten Lockdown dürfte das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr geringer ausfallen als bisher angenommen, prognostizierte der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Lars Feld, in der Zeitung „Die Welt“. In ihrem Jahresgutachten waren die Wirtschaftsweisen von einem Plus von 3,7 Prozent für 2021 ausgegangen.