Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Um das Kino zu retten, muss man es neu erfinden
Vielen Häusern setzt der Wettbewerb mit Streamingdiensten zu – Verbände sperren sich gegen neue Wege der Filmverwertung
Anfang November ging die Nachricht durch die Republik: Mit dem Stuttgarter MetropolKino wird ein weiteres klassisches Lichtspielhaus zum Jahresende endgültig schließen. An Corona liegt es nicht. Das „Metropol“ist nämlich eines in einer ganzen Reihe von KinoTraditionshäusern, die im letzten Jahrzehnt dichtmachen mussten. Es trifft nicht nur alte Filmpaläste, sondern auch große Cineplexe oder eher kleine, familienbetriebene Programmkinos, die in einem Stadtviertel auf ihr Stammpublikum bauen. Oder die Lichtspielhäuser, die auf dem Land die Grundversorgung von „Star Wars“bis zum französischen Autorenfilm sicherstellen.
Woran liegt das? Was passiert da eigentlich gerade in einer über Jahrzehnte gewachsenen Landschaft der Filmkultur?
Die Erschütterung der Kinolandschaft hat viele Gründe: Zum einen die immer wieder erhöhten Mietund Pachtverträge, die durch die Gier einzelner Investoren zu einer allgemein beklagten Verödung der deutschen Innenstädte führen. Dazu kommt das Versagen der Kulturpolitik, die sich auf Events und Prestigeprojekte konzentriert, aber nachhaltige Strukturen ebenso vernachlässigt wie die kulturelle Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels.
Aber es gibt eben auch einen grundsätzlichen Strukturwandel der Kino- und Filmkultur in Europa. Schon lange vor der Pandemie haben die Digitalisierung der Vorführtechnik und der Filme selbst, das Internet und vor allem der Aufstieg der Streamingdienste dem Ort Kino und seiner Wertschätzung enorm zugesetzt. Die Zuschauer wurden weniger und die Dreiteilung des noch verbliebenen Publikums in junge Spektakelsüchtige, WellnessFilm-Publikum
und kunstinteressierte Cinephile führte auch zur „Verspartung“der Filme. Viel stärker als vor zehn oder 20 Jahren werden Filme in Schubladen wie Action, Fantasy, Jugendfilm und Seniorenkino eingeteilt. Filme, die zwischen den Genres stehen oder generationsund milieuübergreifende Werke gibt es kaum noch.
Wie verdienen Kinos, also die Orte, wo die Filme auf das Publikum treffen, überhaupt Geld? Der Gesamtumsatz der deutschen Kinos – nach dem sich im Übrigen auch die derzeitigen Novemberhilfen ausrichten – lag in den letzten Jahren bei 1,1 bis 1,3 Milliarden Euro. Von jedem verkauften Kinoticket müssen Kinobetreiber, je nach Film, 40 bis 55 Prozent als Filmmiete an die Verleiher abgeben. Vom übriggebliebenen Geld müssen sie, wenn sich das Gebäude nicht in Eigenbesitz befindet, Miete oder Pacht bezahlen; dazu ihre Mitarbeiter, die oft auf MinijobBasis beschäftigt sind, sowie die Ausgaben für den Einkauf von Getränken und Snacks, Heizung, Strom, einen Teil der Werbung und andere Unkosten. Eine Haupt-Einnahmequelle sind übrigens diese Snacks und Getränke. Knapp zwei Euro gibt durchschnittlich jeder Kinobesucher dafür aus.
Nicht immer können sich Kinobetreiber die Filme selber aussuchen. Denn zum einen bieten Verleiher bestimmte Filme zunächst auch nur bestimmten Kinos an. Hier zahlen sich langfristige Beziehungen und gute Umsatzerfahrungen aus. Wenn ein
Film – zum Beispiel der neue „James Bond“, eine Tolkien-Adaption oder eine Superheldenfortsetzung – besonders nachgefragt wird, versuchen Verleiher, die Bedingungen zu diktieren. Kinobetreiber sollen sich, um den Film zu bekommen, verpflichten, den Film über mehrere Wochen zu spielen, oder mindestens dreimal am Tag – wobei manche Vorführungen vor leeren Sitzreihen gespielt würden. Je nach Ort, etwa als Monopolist in einer kleineren Stadt, und bei der Auswahl von mehr als 15 Filmen pro Woche, sitzen hier aber auch oft die Kinobetreiber am längeren Hebel.
Dennoch: Auf lange Sicht dominiert bei vielen Kinobetreibern die Untergangsstimmung. Wie kann es überhaupt weitergehen?
Zwei Streitfragen stehen im Mittelpunkt. Die eine ist der derzeit vor allem von einigen Kinolobbys propagierte Kampf gegen Mediatheken und Streamingdienste. Allein in Deutschland gibt es drei Verbände der Kinobetreiber, die untereinander oft uneins und gelegentlich offen verfeindet sind. Die Verbände verteidigen hier eisern Sperrfristen, also das Verbot, Filme woanders als im Kino zu zeigen. Aber einzelne Kinohäuser scheren längst aus dieser Front aus.
Zukunft des Kinos
Zum Beispiel der Münchner Kinobetreiber Thomas Kuchenreuther. Repräsentativ für einige moderne Kinohäuser hat er keine Berührungsängste mit Streamingdiensten. Und er ist einer der wenigen, der sich von den Funktionären seines eigenen Verbandes, der AG Kino, nicht beeindrucken lässt. Denn diese versuchen, Kinobetreiber zu sanktionieren, wenn sie mit den AuswertungsRichtlinien des Verbandes brechen. Doch Kuchenreuther bleibt hart: „Mir geht es um ein möglichst gutes Programm. Vorenthalten wäre wie Zensur.“Das Auswertungs-Fenster sei „hinfällig und nicht mehr praktikabel“. Deshalb fordert er mehr Flexibilität und einen Umbau der von 1967 stammenden Filmgesetzgebung.
Die zweite Streitfrage ist die nach der Zukunft des Kinos. Vielen sehen einen Prozess, in dem das Kino sich von der privilegierten Abspielstätte zu einer unter vielen wandelt. Lars Henrik Gass, Filmwissenschaftler und Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen tritt schon seit Langem dafür ein, in größeren Städten öffentliche Kinos zu errichten oder vorhandene Spielstädten in Kino-Bibliotheken und Filmmuseen umzuwandeln. Mit vergleichsweise wenig Geld sei das möglich. „Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 100 Museen für zeitgenössische Kunst, aber nur ein Filmmuseum. Das Frankfurter Opernhaus allein kostet 800 bis 900 Millionen. Für 800 Millionen könnte man aber in jeder Großstadt in Deutschland – in jeder! – ein Kinomuseum bauen, einrichten, und auch betreiben. Wenn man neu nachdenkt über die Rolle eines Kulturbaus in der städtischen Gesellschaft.“
Denn eines gilt als sicher: Auf den eingefahrenen Bahnen allein wird der Kulturort Kino nicht überleben können. Um das Kino zu retten, muss man es neu erfinden.