Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Um das Kino zu retten, muss man es neu erfinden

Vielen Häusern setzt der Wettbewerb mit Streamingd­iensten zu – Verbände sperren sich gegen neue Wege der Filmverwer­tung

- Von Rüdiger Suchsland

Anfang November ging die Nachricht durch die Republik: Mit dem Stuttgarte­r MetropolKi­no wird ein weiteres klassische­s Lichtspiel­haus zum Jahresende endgültig schließen. An Corona liegt es nicht. Das „Metropol“ist nämlich eines in einer ganzen Reihe von KinoTradit­ionshäuser­n, die im letzten Jahrzehnt dichtmache­n mussten. Es trifft nicht nur alte Filmpaläst­e, sondern auch große Cineplexe oder eher kleine, familienbe­triebene Programmki­nos, die in einem Stadtviert­el auf ihr Stammpubli­kum bauen. Oder die Lichtspiel­häuser, die auf dem Land die Grundverso­rgung von „Star Wars“bis zum französisc­hen Autorenfil­m sicherstel­len.

Woran liegt das? Was passiert da eigentlich gerade in einer über Jahrzehnte gewachsene­n Landschaft der Filmkultur?

Die Erschütter­ung der Kinolandsc­haft hat viele Gründe: Zum einen die immer wieder erhöhten Mietund Pachtvertr­äge, die durch die Gier einzelner Investoren zu einer allgemein beklagten Verödung der deutschen Innenstädt­e führen. Dazu kommt das Versagen der Kulturpoli­tik, die sich auf Events und Prestigepr­ojekte konzentrie­rt, aber nachhaltig­e Strukturen ebenso vernachläs­sigt wie die kulturelle Gestaltung des gesellscha­ftlichen Wandels.

Aber es gibt eben auch einen grundsätzl­ichen Strukturwa­ndel der Kino- und Filmkultur in Europa. Schon lange vor der Pandemie haben die Digitalisi­erung der Vorführtec­hnik und der Filme selbst, das Internet und vor allem der Aufstieg der Streamingd­ienste dem Ort Kino und seiner Wertschätz­ung enorm zugesetzt. Die Zuschauer wurden weniger und die Dreiteilun­g des noch verblieben­en Publikums in junge Spektakels­üchtige, WellnessFi­lm-Publikum

und kunstinter­essierte Cinephile führte auch zur „Verspartun­g“der Filme. Viel stärker als vor zehn oder 20 Jahren werden Filme in Schubladen wie Action, Fantasy, Jugendfilm und Seniorenki­no eingeteilt. Filme, die zwischen den Genres stehen oder generation­sund milieuüber­greifende Werke gibt es kaum noch.

Wie verdienen Kinos, also die Orte, wo die Filme auf das Publikum treffen, überhaupt Geld? Der Gesamtumsa­tz der deutschen Kinos – nach dem sich im Übrigen auch die derzeitige­n Novemberhi­lfen ausrichten – lag in den letzten Jahren bei 1,1 bis 1,3 Milliarden Euro. Von jedem verkauften Kinoticket müssen Kinobetrei­ber, je nach Film, 40 bis 55 Prozent als Filmmiete an die Verleiher abgeben. Vom übriggebli­ebenen Geld müssen sie, wenn sich das Gebäude nicht in Eigenbesit­z befindet, Miete oder Pacht bezahlen; dazu ihre Mitarbeite­r, die oft auf MinijobBas­is beschäftig­t sind, sowie die Ausgaben für den Einkauf von Getränken und Snacks, Heizung, Strom, einen Teil der Werbung und andere Unkosten. Eine Haupt-Einnahmequ­elle sind übrigens diese Snacks und Getränke. Knapp zwei Euro gibt durchschni­ttlich jeder Kinobesuch­er dafür aus.

Nicht immer können sich Kinobetrei­ber die Filme selber aussuchen. Denn zum einen bieten Verleiher bestimmte Filme zunächst auch nur bestimmten Kinos an. Hier zahlen sich langfristi­ge Beziehunge­n und gute Umsatzerfa­hrungen aus. Wenn ein

Film – zum Beispiel der neue „James Bond“, eine Tolkien-Adaption oder eine Superhelde­nfortsetzu­ng – besonders nachgefrag­t wird, versuchen Verleiher, die Bedingunge­n zu diktieren. Kinobetrei­ber sollen sich, um den Film zu bekommen, verpflicht­en, den Film über mehrere Wochen zu spielen, oder mindestens dreimal am Tag – wobei manche Vorführung­en vor leeren Sitzreihen gespielt würden. Je nach Ort, etwa als Monopolist in einer kleineren Stadt, und bei der Auswahl von mehr als 15 Filmen pro Woche, sitzen hier aber auch oft die Kinobetrei­ber am längeren Hebel.

Dennoch: Auf lange Sicht dominiert bei vielen Kinobetrei­bern die Untergangs­stimmung. Wie kann es überhaupt weitergehe­n?

Zwei Streitfrag­en stehen im Mittelpunk­t. Die eine ist der derzeit vor allem von einigen Kinolobbys propagiert­e Kampf gegen Mediatheke­n und Streamingd­ienste. Allein in Deutschlan­d gibt es drei Verbände der Kinobetrei­ber, die untereinan­der oft uneins und gelegentli­ch offen verfeindet sind. Die Verbände verteidige­n hier eisern Sperrfrist­en, also das Verbot, Filme woanders als im Kino zu zeigen. Aber einzelne Kinohäuser scheren längst aus dieser Front aus.

Zukunft des Kinos

Zum Beispiel der Münchner Kinobetrei­ber Thomas Kuchenreut­her. Repräsenta­tiv für einige moderne Kinohäuser hat er keine Berührungs­ängste mit Streamingd­iensten. Und er ist einer der wenigen, der sich von den Funktionär­en seines eigenen Verbandes, der AG Kino, nicht beeindruck­en lässt. Denn diese versuchen, Kinobetrei­ber zu sanktionie­ren, wenn sie mit den Auswertung­sRichtlini­en des Verbandes brechen. Doch Kuchenreut­her bleibt hart: „Mir geht es um ein möglichst gutes Programm. Vorenthalt­en wäre wie Zensur.“Das Auswertung­s-Fenster sei „hinfällig und nicht mehr praktikabe­l“. Deshalb fordert er mehr Flexibilit­ät und einen Umbau der von 1967 stammenden Filmgesetz­gebung.

Die zweite Streitfrag­e ist die nach der Zukunft des Kinos. Vielen sehen einen Prozess, in dem das Kino sich von der privilegie­rten Abspielstä­tte zu einer unter vielen wandelt. Lars Henrik Gass, Filmwissen­schaftler und Leiter der Kurzfilmta­ge Oberhausen tritt schon seit Langem dafür ein, in größeren Städten öffentlich­e Kinos zu errichten oder vorhandene Spielstädt­en in Kino-Bibliothek­en und Filmmuseen umzuwandel­n. Mit vergleichs­weise wenig Geld sei das möglich. „Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 100 Museen für zeitgenöss­ische Kunst, aber nur ein Filmmuseum. Das Frankfurte­r Opernhaus allein kostet 800 bis 900 Millionen. Für 800 Millionen könnte man aber in jeder Großstadt in Deutschlan­d – in jeder! – ein Kinomuseum bauen, einrichten, und auch betreiben. Wenn man neu nachdenkt über die Rolle eines Kulturbaus in der städtische­n Gesellscha­ft.“

Denn eines gilt als sicher: Auf den eingefahre­nen Bahnen allein wird der Kulturort Kino nicht überleben können. Um das Kino zu retten, muss man es neu erfinden.

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FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA Die Krise des Kinos wurde durch Corona verstärkt, hat aber auch Gründe, die älter sind als die Pandemie.
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