Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Heimbetreiber bitten: Senioren besser nicht abholen
Soziale Träger fürchten, dass Bewohner von Weihnachtsfeiern bei der Familie infiziert zurückkehren könnten
RAVENSBURG - Weihnachten ohne Oma oder Opa feiern? Was für viele Familien auch in Ravensburg und Umgebung bisher nicht vorstellbar war, könnte in diesem Jahr erstmals Realität werden: Ein Seniorenheimbetreiber aus der Region bittet sogar darum, die Bewohner so wenig wie möglich abzuholen. Allein wegen ihres Alters gehören Hochbetagte zur Risikogruppe, bei der eine CoronaInfektion wahrscheinlicher schwer verläuft. Auch der Weiterbetrieb der Heime sei gefährdet, heißt es. Die im folgenden Text gemachten Angaben, wurden vor Sonntag gemacht, als die neuen Corona-Maßnahmen beschlossen worden sind.
Die Stiftung Liebenau, die in Ravensburg das Haus St. Meinrad in der Weststadt betreibt, kann es nicht verhindern, dass Senioren immer mal wieder abgeholt werden. „Wir können hier keine Verbote aussprechen, aber an alle Angehörigen appellieren, auch wenn es einem schwerfällt“, sagt die zuständige Pressesprecherin Hanna Pfeiffer. Die Angehörigen würden gebeten, die Bewohner so wenig wie nur möglich mitzunehmen. „Hier besteht eine große Gefahr sowohl für unsere Bewohnerinnen und Bewohner als auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das Virus auf diesem Wege ins Haus zu bringen.“
Die Stiftung sei froh, dass für Heime keine Besuchsverbote gelten, wie es im Frühjahr der Fall war. „Dennoch schwingt bei jedem Besuch auch eine gewisse Angst mit“, so Pfeiffer.
Auch die Leiterin des Bruderhauses in der Ravensburger GrünerTurm-Straße, Sibylle Arana, sagt: „Weihnachten wird eine riesige Herausforderung.“Das beginne schon in der Vorweihnachtszeit, in der bisher immer Ehrenamtliche mit den Senioren gebacken oder gesungen haben. Ehrenamtliche dürfen dieses Jahr nicht kommen. Und insbesondere das Singen fehle vielen Bewohnern. Stattdessen organisieren die hauptamtlichen Mitarbeiter immer sonntags ein festliches Adventscafé in kleinen Gruppen.
Mit Blick auf die Feiertage und mögliche Ausflüge der Senioren zu ihren Familien sagt Arana: „Ich kann und will es nicht verbieten.“Derzeit holten nur wenige Angehörige ihre Eltern oder Großeltern aus dem Heim ab, um sie mit nach Hause zu nehmen. Sie will durch Gespräche sensibilisieren und Familien darum bitten, sich das genau zu überlegen. Arana setzt alle Hoffnung auf den Einsatz von Impfteams. Erst wenn die Senioren geschützt seien, können sie und ihr Team wieder entspannt arbeiten.
Auch Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hatte dafür plädiert, die Heime nicht zu schließen. „Pauschale Besuchseinschränkungen sind für die Bewohnerinnen und Bewohner massive Eingriffe, unter denen die Betroffenen während der ersten Phase der Pandemie erheblich gelitten haben“, sagte Lucha (die SZ berichtete). Inzwischen seien genügend Ausrüstung und Antigen-Schnelltests vorhanden, was ein Offenhalten der Häuser möglich mache.
Der Bund unterstützt Pflegeeinrichtungen mit medizinischen Schutzmasken und durch die Übernahme der Kosten für AntigenSchnelltests. Die Länder werden eine verpflichtende Testung mehrmals pro Woche für das Personal in den Alten- und Pflegeeinrichtungen anordnen. In Regionen mit erhöhter Inzidenz soll der Nachweis eines aktuellen negativen Coronatests für die Besucher verbindlich werden.
Vorsorglich wird wegen der unangenehmen Probenentnahme im Ravensburger Bruderhaus aber niemand getestet, sondern erst im Verdachtsfall. Auch die Sprecherin der Stiftung Liebenau, Hanna Pfeiffer, sagt: „Schnelltests können helfen, im Ernstfall eine erste Einschätzung der Infektionslage vorzunehmen.“
Dadurch könne man Bewohner und Mitarbeiter schneller schützen, wenn ein positives Ergebnis vorliege. Um Besucher mit einem Schnelltest auf Corona zu testen, bevor sie eingelassen werden, sei der personelle Aufwand aber zu hoch.
In den Pflegeheimen der Stiftung Liebenau hat es seit Beginn der Pandemie viele Balkon-, Fenster- oder Gartengespräche der Bewohner mit Bekannten und Familienmitgliedern gegeben. Die Zahl der persönlichen Besucher ist auf zwei pro Tag beschränkt. Wer die Heime betreten will, dem wird Fieber gemessen, und es muss ein Mund-Nase-Schutz getragen und die Hände desinfiziert werden. Auch die Kontaktdaten werden erfasst. Im Bruderhaus übernehmen neuerdings ehrenamtliche „Besuchsbegleiter“das Prozedere am Eingang. In Ausnahmefällen seien nach telefonischer Anmeldung aber auch Besuche außerhalb vorgegebener Besuchszeiten möglich – etwa, wenn sich der Zustand eines Bewohners verschlechtert, heißt es von beiden Heimbetreibern.
Die Stimmung unter den Senioren im Bruderhaus sei von Verständnis geprägt, sagt Arana. Die Bewohner, die Zeitung lesen können, seien dankbar für den Schutz, den sie genießen. „Sie gehen sehr bewusst und vorsichtig mit der Situation um, weil sie wissen, was passieren kann“, so Arana. Es gebe aber auch Bewohner, die geistig nicht mehr in der Lage seien, die Gründe für Einschränkungen zu erfassen.
Auch im Haus St. Meinrad sei die Stimmung im Großen und Ganzen positiv, sagt Pfeiffer. Das Personal versuche, die Einschränkungen auf verschiedenste Art zu kompensieren. „Natürlich können wir die eigene Familie nicht ersetzen, aber wir können Trost spenden, zuhören und versuchen diese Lücke aufzufangen und zu füllen“, so Pfeiffer. „Vor allem können wir auch gemeinsam Lachen, und das Lachen haben wir zum Glück nicht verlernt im Haus.“