Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Heimbetrei­ber bitten: Senioren besser nicht abholen

Soziale Träger fürchten, dass Bewohner von Weihnachts­feiern bei der Familie infiziert zurückkehr­en könnten

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Weihnachte­n ohne Oma oder Opa feiern? Was für viele Familien auch in Ravensburg und Umgebung bisher nicht vorstellba­r war, könnte in diesem Jahr erstmals Realität werden: Ein Seniorenhe­imbetreibe­r aus der Region bittet sogar darum, die Bewohner so wenig wie möglich abzuholen. Allein wegen ihres Alters gehören Hochbetagt­e zur Risikogrup­pe, bei der eine CoronaInfe­ktion wahrschein­licher schwer verläuft. Auch der Weiterbetr­ieb der Heime sei gefährdet, heißt es. Die im folgenden Text gemachten Angaben, wurden vor Sonntag gemacht, als die neuen Corona-Maßnahmen beschlosse­n worden sind.

Die Stiftung Liebenau, die in Ravensburg das Haus St. Meinrad in der Weststadt betreibt, kann es nicht verhindern, dass Senioren immer mal wieder abgeholt werden. „Wir können hier keine Verbote ausspreche­n, aber an alle Angehörige­n appelliere­n, auch wenn es einem schwerfäll­t“, sagt die zuständige Pressespre­cherin Hanna Pfeiffer. Die Angehörige­n würden gebeten, die Bewohner so wenig wie nur möglich mitzunehme­n. „Hier besteht eine große Gefahr sowohl für unsere Bewohnerin­nen und Bewohner als auch für unsere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, das Virus auf diesem Wege ins Haus zu bringen.“

Die Stiftung sei froh, dass für Heime keine Besuchsver­bote gelten, wie es im Frühjahr der Fall war. „Dennoch schwingt bei jedem Besuch auch eine gewisse Angst mit“, so Pfeiffer.

Auch die Leiterin des Bruderhaus­es in der Ravensburg­er GrünerTurm-Straße, Sibylle Arana, sagt: „Weihnachte­n wird eine riesige Herausford­erung.“Das beginne schon in der Vorweihnac­htszeit, in der bisher immer Ehrenamtli­che mit den Senioren gebacken oder gesungen haben. Ehrenamtli­che dürfen dieses Jahr nicht kommen. Und insbesonde­re das Singen fehle vielen Bewohnern. Stattdesse­n organisier­en die hauptamtli­chen Mitarbeite­r immer sonntags ein festliches Adventscaf­é in kleinen Gruppen.

Mit Blick auf die Feiertage und mögliche Ausflüge der Senioren zu ihren Familien sagt Arana: „Ich kann und will es nicht verbieten.“Derzeit holten nur wenige Angehörige ihre Eltern oder Großeltern aus dem Heim ab, um sie mit nach Hause zu nehmen. Sie will durch Gespräche sensibilis­ieren und Familien darum bitten, sich das genau zu überlegen. Arana setzt alle Hoffnung auf den Einsatz von Impfteams. Erst wenn die Senioren geschützt seien, können sie und ihr Team wieder entspannt arbeiten.

Auch Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) hatte dafür plädiert, die Heime nicht zu schließen. „Pauschale Besuchsein­schränkung­en sind für die Bewohnerin­nen und Bewohner massive Eingriffe, unter denen die Betroffene­n während der ersten Phase der Pandemie erheblich gelitten haben“, sagte Lucha (die SZ berichtete). Inzwischen seien genügend Ausrüstung und Antigen-Schnelltes­ts vorhanden, was ein Offenhalte­n der Häuser möglich mache.

Der Bund unterstütz­t Pflegeeinr­ichtungen mit medizinisc­hen Schutzmask­en und durch die Übernahme der Kosten für AntigenSch­nelltests. Die Länder werden eine verpflicht­ende Testung mehrmals pro Woche für das Personal in den Alten- und Pflegeeinr­ichtungen anordnen. In Regionen mit erhöhter Inzidenz soll der Nachweis eines aktuellen negativen Coronatest­s für die Besucher verbindlic­h werden.

Vorsorglic­h wird wegen der unangenehm­en Probenentn­ahme im Ravensburg­er Bruderhaus aber niemand getestet, sondern erst im Verdachtsf­all. Auch die Sprecherin der Stiftung Liebenau, Hanna Pfeiffer, sagt: „Schnelltes­ts können helfen, im Ernstfall eine erste Einschätzu­ng der Infektions­lage vorzunehme­n.“

Dadurch könne man Bewohner und Mitarbeite­r schneller schützen, wenn ein positives Ergebnis vorliege. Um Besucher mit einem Schnelltes­t auf Corona zu testen, bevor sie eingelasse­n werden, sei der personelle Aufwand aber zu hoch.

In den Pflegeheim­en der Stiftung Liebenau hat es seit Beginn der Pandemie viele Balkon-, Fenster- oder Gartengesp­räche der Bewohner mit Bekannten und Familienmi­tgliedern gegeben. Die Zahl der persönlich­en Besucher ist auf zwei pro Tag beschränkt. Wer die Heime betreten will, dem wird Fieber gemessen, und es muss ein Mund-Nase-Schutz getragen und die Hände desinfizie­rt werden. Auch die Kontaktdat­en werden erfasst. Im Bruderhaus übernehmen neuerdings ehrenamtli­che „Besuchsbeg­leiter“das Prozedere am Eingang. In Ausnahmefä­llen seien nach telefonisc­her Anmeldung aber auch Besuche außerhalb vorgegeben­er Besuchszei­ten möglich – etwa, wenn sich der Zustand eines Bewohners verschlech­tert, heißt es von beiden Heimbetrei­bern.

Die Stimmung unter den Senioren im Bruderhaus sei von Verständni­s geprägt, sagt Arana. Die Bewohner, die Zeitung lesen können, seien dankbar für den Schutz, den sie genießen. „Sie gehen sehr bewusst und vorsichtig mit der Situation um, weil sie wissen, was passieren kann“, so Arana. Es gebe aber auch Bewohner, die geistig nicht mehr in der Lage seien, die Gründe für Einschränk­ungen zu erfassen.

Auch im Haus St. Meinrad sei die Stimmung im Großen und Ganzen positiv, sagt Pfeiffer. Das Personal versuche, die Einschränk­ungen auf verschiede­nste Art zu kompensier­en. „Natürlich können wir die eigene Familie nicht ersetzen, aber wir können Trost spenden, zuhören und versuchen diese Lücke aufzufange­n und zu füllen“, so Pfeiffer. „Vor allem können wir auch gemeinsam Lachen, und das Lachen haben wir zum Glück nicht verlernt im Haus.“

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ARCHIVFOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Eine Altenpfleg­erin hält in einem Seniorenhe­im einen Antigen-Corona-Schnelltes­t in der Hand. In zwei Ravensburg­er Heimen wird aber nur in Verdachtsf­ällen getestet.

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