Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Jeder zweite Arbeitnehmer von Kurzarbeit betroffen
Der regionale Arbeitsmarkt erholt sich – Ein Krisenplan der Agentur für Arbeit soll Corona-Folgen abfedern
KREIS RAVENSBURG - Das Kurzarbeitergeld soll in Krisenzeiten verhindern, dass Beschäftigte ihre Arbeit verlieren. Das Instrument hat sich in der Corona-Krise bewährt. Denn: „Es hat Arbeitsplätze in der Region gerettet“, sagt Jutta Driesch, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit RavensburgKonstanz.
Im Vergleich zum Vorjahr zeigen sich die Belastungen für den Arbeitsmarkt durch die Corona-Pandemie deutlich: Die Agentur für Arbeit meldet im November in den Landkreisen Ravensburg, Bodensee sowie Konstanz mehr als 16 000 Arbeitslose. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Zahl um 5000 gestiegen. Das entspricht einer aktuellen Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent. „Vor der Corona-Krise herrschte nahezu Vollbeschäftigung“, sagt Driesch. Im November 2019 lag die Quote bei stabilen 2,6 Prozent.
Der Arbeitsmarkt stabilisiert sich: Waren im Mai mehr als 62 000 Beschäftigte aus 5200 Betrieben in Kurzarbeit, sind es im November noch rund 12 000 Frauen und Männer aus 1000 Betrieben. Vergangenes Jahr zur selben Zeit waren es dagegen nur 538 Arbeitnehmer. Von März bis November 2020 haben insgesamt 10 843 Unternehmen bei der Agentur für Arbeit Kurzarbeit angezeigt. Rund 174 000 Menschen waren davon betroffen. Im Bezirk der Agentur für Arbeit gibt es rund 320 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Jeder zweite Arbeitnehmer ist dieses Jahr also von Kurzarbeit betroffen. Von Januar bis Oktober wurde über den gesamten Bezirk 305 Millionen Euro an Kurzarbeitergeld ausgezahlt – 2019 waren es knapp 770 000. Bundesweit belaufe sich die Summe des ausgezahlten Kurzarbeitergeldes auf 18,8 Milliarden Euro.
In der Metall- und Elektro-Branche stieg nicht nur die Arbeitslosigkeit am stärksten – dort waren laut Driesch auch die meisten Arbeitnehmer von Kurzarbeit betroffen. Die
Branche habe sich bereits vor Corona in einem Strukturwandel Richtung Digitalisierung befunden. Wie in vielen anderen Bereichen diente Corona als Beschleuniger.
Die Auswirkungen in der Hotellerie und Gastronomie sind dagegen ausschließlich coronabedingt. „Die Kurzarbeiterzahlen sind explodiert“, so Driesch. 80 Prozent aller Gastronomen und Hoteliers haben bundesweit Kurzarbeit angezeigt. Diese Entwicklung spiegelt auch der Bezirk Konstanz-Ravensburg wider. Das Gesundheitswesen, der Logistik-Bereich und die Bau-Branche blieben laut Driesch unberührt von den aktuellen Entwicklungen.
Der Handel müsse differenzierter betrachtet werden. Denn: Es sei nicht der allgemeine Handel, der büßt. „Die Fahrradhändler haben dieses Jahr beispielsweise einen guten Umsatz generiert.“Unter den Einzelhändlern hingegen, besonders bei der Textilbranche, herrsche Ebbe. Ein Strukturwandel habe sich bereits vor Corona auch beim Handel angekündigt. Das Geschäft verlagert sich seit der Pandemie zunehmend in den Online-Handel. Im Handel und in der Metall-Branche sind rund 77 Prozent Fachkräfte und höher Qualifizierte beschäftigt. „Dass in bestimmten Branchen Fachkräfte arbeitslos sind, gab es während der vergangenen zehn Jahre nicht“, erklärt Driesch.
„Eine massive Veränderung wie diese gab es auf dem Arbeitsmarkt bisher noch nie“, erklärt Driesch. „Für uns hatte die schnellstmögliche Auszahlung des Kurzarbeitergeldes und des Arbeitslosengeldes höchste Priorität. Denn die Menschen brauchen das Geld.“Innerhalb von fünf Tagen nach Bekanntwerden der Corona-Einschränkungen im März seien die ersten Gelder an Arbeitgeber geflossen, so die Geschäftsführerin.
Der Arbeitsmarkt halte sich wacker und stabilisiere sich trotz Corona langsam. Die Arbeitsmarktpolitik blicke positiv in die Zukunft. „Wir haben einen guten Krisenplan für kommendes Jahr.“Der Plan zielt darauf ab, die Corona-Folgen sowie die des Strukturwandels in den Griff zu bekommen. „Wir können die Krise als Chance zu nutzen“, so Jutta Driesch. Für Weiterbildungsmaßnahmen investiert die Agentur für Arbeit im kompletten Bezirk 45 Millionen Euro. Ein Großteil davon geht an den Pflegebereich. Damit soll dem Fachkräftemangel entgegengesteuert werden.