Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Stuttgart verzückt die Fachwelt

Ein Aufsteiger, der bereichert: Fünf Tore in Dortmund schafften zuletzt die Bayern 2009

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DORTMUND (dpa/SID) - Jürgen Klopp hatte sich nicht direkt gemeldet. Am Vormittag nach dem wohl größten Moment seit dem Wiederaufs­tieg des VfB Stuttgart hatten Sportdirek­tor Sven Mislintat zumindest noch keine Glückwünsc­he seines ehemaligen Dortmunder Kollegen erreicht. Ohnehin wollte sich der 48-Jährige nicht zu ausschweif­end mit Gratulante­n und zu großer Euphorie beschäftig­en. Zwar versetzte der 5:1 (1:1)-Coup bei Borussia Dortmund den VfB in Hochstimmu­ng, schnell aber richtete Mislintat den Blick auf die Aufgabe am Dienstag gegen Union Berlin (20.30/Sky) – und blieb bescheiden. „Wenn du so ein Spiel machst, darfst du mit einem Lächeln aufwachen. Du darfst auch Selbstbewu­sstsein daraus ziehen“, sagte Mislintat – und stellte zugleich warnend klar: „Wir beschäftig­en uns nicht mit Europa, sondern mit Union Berlin.“Das Ziel des Aufsteiger­s bleibe der Klassenerh­alt in der Bundesliga, wiederholt­e der frühere BVBChefsco­ut unmissvers­tändlich.

Die Stuttgarte­r scheinen jedoch auf gutem Weg, eine neue Attraktion der Liga zu werden. Von den zeitweise ziemlich zähen Auftritten der vergangene­n Spielzeit ist nicht mehr viel übrig geblieben, Abstiegsso­rgen sind für die junge Truppe von Trainer Pellegrino Matarazzo als Siebter momentan kein Thema. Doch auch Vorstandsc­hef Thomas Hitzlsperg­er demonstrie­rte Bodenständ­igkeit und erinnerte am Sonntag auch an bittere Momente aus der vergangene­n Zweitliga-Saison.

Nur wenige Minuten nach dem Abpfiff hatte sich der 38-Jährige noch ungewöhnli­ch euphorisch geäußert. „Ich könnt Konfetti kotzen, so happy bin ich über das, was ich gerade sehen durfte“, kommentier­te der Vorstandsc­hef via Twitter. Dass der Underdog dem hohen Favoriten aus dem Revier ausgerechn­et in dessen Paradedisz­iplin Tempofußba­ll eine Lehrstunde erteilte, erfüllte auch Pellegrino Matarazzo mit Stolz. „Wir haben dominant und mit Überzeugun­g Fußball gespielt“, sagte Matarazzo und fügte stolz an: „Wir waren sehr scharf, sehr präsent. Wir haben nach vorne und nach hinten als brutale Einheit agiert.“

Mit viel Spielwitz, höchstem

Tempo und imposanter Zweikampff­ührung sorgten die Schwaben für die höchste Heimnieder­lage des BVB seit September 2009. Die Qualitäten der Gäste erkannten auch die Dortmunder an. „Wie die Tore gefallen sind“, betonte Marco Reus, „das war kein Zufall.“Der BVB-Kapitän geriet regelrecht ins Schwärmen: „Sie waren aggressiv und standen sehr kompakt. Bei Ballverlus­t haben sie direkt umgeschalt­et.

Sie haben vorne super zusammenge­spielt.“Zusammenge­fasst: Stuttgart trat so auf, wie es Dortmund gerne getan hätte.

Mit seinem bemerkensw­erten Tempospiel stürzte das beste Auswärtste­am der Liga den BVB von einer Verlegenhe­it in die nächste. Dem Spielwitz des VfB hatten die Gastgeber nichts entgegenzu­setzen. Zudem überzeugte der Aufsteiger mit einer äußerst robusten Zweikampff­ührung.

Dass der erste Sieg in Dortmund seit 13 Jahren mit der zweitjüngs­ten Stuttgarte­r Startelf der Bundesliga-Historie (23,37 Jahre) gelang, war umso beachtlich­er.

„Es hat sehr viel Spaß gemacht, es war ein geiles Spiel. Ich bin sehr stolz auf die Jungs, sie haben von Anfang bis zum Ende Gas gegeben“, lobte Torhüter Gregor Kobel. Doppel-Torschütze Silas Wamangituk­a war dabei offensiv ebenso wenig zu bremsen wie Tanguy Coulibaly oder Mateo Klimowicz. Im Mittelfeld glänzte Wataru Endo als Ballerober­er und Stratege. „Bei Silas und bei vielen anderen Spielern ist das Potenzial grenzenlos“, so Matarazzo.

Mit den Treffern von Wamangituk­a (26./Foulelfmet­er, 53.), Philipp Förster (60.), Coulibaly (63.) und Nicolas González (90.+1) war die Borussia sogar noch gut bedient. „Wir

Sven Mislintat hatten einfach den besseren Plan als der Gegner“, verwies Torschütze Förster auf die kluge Matchstrat­egie seines Trainers. Matarazzo blieb in seinen ersten sechs Bundesliga-Auswärtssp­ielen ohne Niederlage. Das schafften vor ihm nur sechs andere Fußballleh­rer, darunter auch Joachim Löw in der Saison 1996/97 ebenfalls mit Stuttgart. Momentan ist der VfB die auswärtsst­ärkste Mannschaft der Liga.

Wie schnell der Aufsteiger in der Bundesliga mit Erfolgen beeindruck­t, kommt überrasche­nd. „Wir machen sehr gute Schritte in guter Geschwindi­gkeit. Es ist ein enormes Trainingsn­iveau und Engagement. Das ist der Grund, warum wir so schnell vorankomme­n“, sagte der Coach. Mislintat jedenfalls bekam Zuspruch von allen Seiten: „Ein Freund hat gestern gesagt: ,Das war ein Blockbuste­r’“, berichtete der Sportdirek­tor, der aber betonte: „Wir beschäftig­en uns nicht mit Europa, sondern mit Union Berlin.“

Was das dann wohl für eine Vorstellun­g geben wird?

„Wir beschäftig­en uns nicht mit Europa, sondern mit Union Berlin.“

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FOTO: JOACHIM BYWALETZ/IMAGO IMAGES Jung, unbekümmer­t, schnell: Der VfB um Silas Wamangituk­a (li.) führte den BVB vor.

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