Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Fresenius-Chef sieht „einseitigen Blick auf Intensivbetten“
Vorstandsvorsitzender des Medizinkonzerns und Krankenhausbetreibers will neue Wege im Kampf gegen Corona
BAD HOMBURG (dpa) - FreseniusChef Stephan Sturm kritisiert in der Corona-Krise einen zu starken Blick auf die Intensivkapazitäten der Kliniken. „Der einseitige Fokus der Politik auf Intensivbetten ist falsch“, sagte der Vorstandschef des Medizinkonzerns und Krankenhausbetreibers. Dort, wo es zu Engpässen in Krankenhäusern gekommen sei, sei das meist wegen des Mangels an Intensivpflegekräften geschehen und nicht wegen fehlender Intensivbetten. Den viel diskutierten Personalmangel habe es schon vor der Corona-Krise gegeben, sagte Sturm. Fresenius ist mit der Tochter Helios Deutschlands größter privater Klinikbetreiber. Die Kette behandelt jährlich rund 5,6 Millionen Patienten hierzulande.
„Selbst wenn Intensivkapazitäten ausgeschöpft sein sollten, können Covid-Patienten stationär behandelt werden“, sagte Sturm. Corona-Patienten ließen sich etwa auch auf entsprechend aufgerüsteten Intermediate-Care-Stationen behandeln, einer Zwischenstufe zwischen Normalund Intensivstation. Klinische Daten zeigten in anderen Ländern eine vergleichbar niedrige Sterblichkeit bei Corona-Patienten, während dort ein geringerer Anteil auf Intensivstationen läge.
Um die Pandemie zu bewältigen, sei eine bessere Vernetzung der Krankenhäuser in Deutschland nötig, meint Sturm. So könnten Klinken aus weniger betroffenen Regionen Corona-Patienten aus Hotspots aufnehmen. Helios habe das bei Berliner Krankenhäusern getan, wo Kapazitäten für Corona-Patienten knapp wurden. „Wir brauchen mehr Transparenz im Gesundheitssystem“, sagte der Manager. Es gebe aber Widerstände gegen ein zentrales Register, das ein Verteilen von Patienten erleichtern würde.
Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivund Notfallmedizin gab es bei steigenden Infektionszahlen zuletzt noch rund 4600 freie Intensivbetten. Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, wies jüngst darauf hin, dass es rund 40
Prozent mehr Intensivpatienten als im Frühjahr gebe. Die Situation sei für das Personal in vielen Kliniken belastend. In den 89 deutschen Helios-Kliniken sei die zweite CoronaWelle angekommen, sagte Sturm. „Aber wir haben noch ausreichend Kapazitäten“. Helios behandle derzeit mehr als 1400 Corona-Patienten, davon rund ein Fünftel oder rund 280 Menschen auf Intensivstationen. Helios habe rund 1400 Intensivbetten, kurzfristig könne man weitere 1000 Intensivbetten bereitstellen. Die Lage sei mancherorts angespannt. „Wir stehen aber nicht vor dem Kollaps“, beschwichtigte Sturm.
Fresenius habe seit Frühjahr rund 9000 Corona-Patienten hierzulande behandelt, davon 27 Prozent auf Intensivstationen. Es gebe also aktuell weniger schwere Verläufe, sagte Stephan Sturm.
Dennoch: „Corona ist da und eine sehr ernst zu nehmende Krankheit“, betonte der Manager. Eine einseitige Ausrichtung der Politik auf das Virus sei aber falsch. „Herzinfarkte und Schlaganfälle gibt es ja trotzdem.“Im Frühjahr musste Fresenius generell nicht zwingend nötige („elektive“) Operationen verschieben, um Betten für Corona-Patienten frei zu halten. Am Ende verlief die erste Welle der Pandemie hierzulande glimpflich und viele Betten standen leer. Das kostete Fresenius viel Geld.
Die Pandemie hat den Dax-Konzern wirtschaftlich getroffen. Vor allem im zweiten Quartal bekam Fresenius die Folgen im Klinikgeschäft zu spüren. Da weniger operiert wurde, litt auch die auf flüssige Nachahmermedikamente wie Narkosemittel und klinische Ernährung spezialisierte Tochter Fresenius Kabi. Im dritten Quartal gab es dann Nachholeffekte. Gemildert wurden die finanziellen Corona-Folgen mehrere Monate durch staatliche Pauschalen für frei gehaltene Betten.
Im laufenden Schlussquartal werden dank neuer Gesetzesvorgaben deutschen Kliniken etwaige Mindererlöse gemessen am Vorjahr großteils erstattet. Fresenius werde seine Jahresprognosen halten können, sagte Sturm: „Ich gehe fest davon aus.“