Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mit dem Jüngsten an die Tabellenspitze
Beim Friedrichshafener 3:0-Erfolg gegen den VC OIympia Berlin gibt Ben-Simon Bonin sein Startdebüt
FRIEDRICHSHAFEN - So hat der VfB Friedrichshafen in dieser Saison noch nie auf dem Feld gestanden. Im Bundesliga-Heimspiel gegen den Tabellenletzten VC Olympia Berlin vertraute Trainer Michael Warm mit Ben-Simon Bonin, Rares Balean, Arno Van de Velde, Joe Worsley und Avery Aylsworth weitestgehend den Reservisten. Mit Linus Weber stellte er ihnen aber auch einen der absoluten Leistungsträger an die Seite, ebenfalls unterstützte der schon oft berücksichtigte Mittelblocker David Fiel das Team. Damit nutzte Warm die günstige Gelegenheit in dem vollgepackten Häfler Terminkalender, um seine Stammspieler zu entlasten – ohne den sportlichen Erfolg zu gefährden. Die zweite Garde
Sollte DEL2-Geschäftsführer René Rudorisch die Sonntagspartie zwischen den Bietigheim Steelers und den Ravensburg Towerstars in voller Länge gesehen haben, würde seine Antwort auf die ihm wenige Tage zuvor gestellte Frage nach der Chancengleichheit aller Mannschaften womöglich anders ausfallen. In einem am Freitag in der „Schwäbischen Zeitung“erschienenen Interview hatte Rudorisch noch voller Überzeugung gesagt: „Der Wettbewerb war immer fair.“Und das trotz zuvor etlicher verlegter Spiele, nahezu komplett mit dem Coronavirus infizierter Mannschaften, langer Quarantänen, leerer Stadien, kurzfristiger Absagen oder Neuansetzungen.
Dann kam der Freitagnachmittag – und mit ihm die nächste, relativ kurzfristige Spielabsage. Erstmals in dieser DEL2-Saison waren die Towerstars betroffen, wenn auch nur indirekt, weil der Corona-Verdachtsfall beim eigentlichen Gegner Heilbronner Falken zu beklagen war. Wenige Stunden vor dem Spiel mussten die Falken somit die Partie gegen Ravensburg absagen. Am Samstag wurde aus dem freitäglichen Verdacht der nächste bestätigte infizierte Spieler. Denn der Coronatest des Heilbronner Profis war positiv. Für die Falken hieß es: wieder zurück in Quarantäne, in der sie schon seit Ende rechtfertigte das Vertrauen und schlug das junge Team des VCO Berlin erwartungsgemäß mit 3:0 (25:20,25:19, 25:16). Drei wichtige Punkte, mit denen die Friedrichshafener die Powervolleys Düren von Platz eins in der Volleyball-Bundesliga verdrängten.
Sein Startdebüt für den VfB gab dabei der erst 17-jährige Bonin. Trotz des niedrigen Altersdurchschnitts des Berliner Teams stellten die Häfler mit ihm den jüngsten Spieler in der Partie. „Es war ein grandioses Gefühl, das Vertrauen von Anfang an zu bekommen“, sagte er nach Ende der Begegnung. Nachdem er im Laufe der Saison schon ein paar Kurzeinsätze bekam, hoffte er natürlich auf die Chance. Der VfB befindet sich in anstrengenden Wochen, die Belastung ist extrem hoch. Mit Bühl, Lüneburg
November bis Mitte der Woche vor dem Ravensburg-Termin gesteckt hatten.
Am Sonntag schließlich durften die Towerstars spielen. Die Bietigheim Steelers erlitten nach Wochen der Quarantäne nämlich keinen Rückschlag in Form eines neuen CoronaFalls. Ihr Freitagsspiel bei den Bayreuth Tigers gewannen sie mit nur 13 (!) Spielern sogar – doch der Preis war sehr hoch. Gegen die bisher coronafreien Towerstars hatten die müden Steelers kaum etwas zu bestellen. Und das auch noch dort, wo sie immens schwer zu schlagen sind: in ihrer eigenen Halle. 3:8 hieß es am Ende einer über weite Strecken einseitigen Partie zwischen dem bärenstarken Tabellenführer aus Oberschwaben und den in der Regel vor
und Bestensee warten im Jahr 2020 auch noch unbequeme Gegner – da lag eine Rotation gegen den Tabellenletzten VCO Berlin nahe. Genau diese führte Warm dann auch durch, Bonin wollte ihn auf keinen Fall enttäuschen. „Ich liebe Wettkampf und der ist in Friedrichshafen gefragt. Wenn ich die Chance habe, dann will ich abliefern“, beschrieb der Außenangreifer, dem das auch gelungen ist. Warm war mit ihm zufrieden sowie mit seinen Teamkollegen. „Die Jungs haben das gemacht, was ich erwartet habe. Sie waren konsequent und haben die Aufgabe gut gelöst“, lobte der VfB-Coach. Dabei stellte er klar, dass soziale Gesichtspunkte bei der Aufstellung keine Rolle gespielt haben. „Ich war überzeugt, dass alle gut genug sind, um das Spiel zu gewinnen.“
Selbstbewusstsein strotzenden Nordwürttembergern. 3:8! Ein unfassbares Ergebnis.
Bettauer, Robbie Czarnik Hospelt
James Kai
Für Bonin machte nicht nur das Startdebüt die Begegnung zu einer besonderen für ihn. Beim Duell mit Berlin traf er auf viele ehemalige Teamkollegen, mit denen er zusammen für die Volley Youngstars Friedrichshafen spielte. Tobias Hosch, Marco Frohberg, Onno Möller, Johann Reusch und Jannik Brentel wollten es dem klar favorisierten VfB so schwer wie möglich zu machen. Die talentierte Berliner Mannschaft fiel mit hoher Motivation auf und anfangs hatte das neuformierte Team der Gastgeber auch seine Schwierigkeiten. „Zu Beginn war die Nervosität bei uns spürbar. Das hat dazu geführt, dass ein paar negative Elemente in unserem Spiel waren“, sagte Bonin. Bis zur ersten technischen Auszeit lagen sogar nur die Berliner in Front. Machte sich Warm da schon Puckeroberung in der neutralen Zone zog Mathieu Pompei entschlossen aufs Tor und schloss eiskalt ins linke Eck zum 2:5 ab. Im Schlussdrittel wurde es dann nicht mehr gefährlich, weil die Steelers einfach nicht dauerhaft Druck aufbauen konnten.
Der ganze Frust über diese schräge Corona-Saison, diese Chancenlosigkeit in einem normalerweise so packenden, weil ausgeglichenen Baden-Württemberg-Duell entlud sich womöglich in einem üblen Check Riley Sheen auf offenem Eis gegen den Kopf von Towerstars-Kapitän Vincenz Mayer. Dass Sheen danach mit einer Spieldauerstrafe in die Kabine musste, war mehr als gerechtfertigt. Immerhin konnte Mayer weiterspielen, nachdem er sich ein bisschen zurechtgerüttelt hatte. Zur großen „Frage der Fairness“passte diese Szene vorzüglich.
Es ehrte Towerstars-Trainer Rich Chernomaz, dass er „ein engeres Spiel, als es das Ergebnis aussagt“gesehen haben wollte. Bietigheim sei „immer gefährlich“gewesen, habe „sehr gut verteidigt“. Doch eigentlich musste auch er gesehen haben, dass diese Partie eine war, die sinnbildlich für die Schwierigkeiten aller Mannschaften steht, diese Saison ordentlich durchzubringen. SteelersCoach Danny Naud betonte denn auch, dass „das Timing“gefehlt habe. „Es war schwer heute“, sagte er. Bietigheim müsse sich „Schritt für Schritt“zurückarbeiten, „wieder den Rhythmus finden“. Und: „Wir müssen wieder gesund werden.“Das sei die Hauptsache.
Gedanken? „Nein, ich hatte nie Sorge“, versicherte er. Und auch Bonin glaubte an die Häfler. „Wir sind selbstbewusst in das Spiel gegangen und durch das Training eingespielt“, sagte der 17-Jährige. Beide lagen richtig: Die Friedrichshafener steigerten sich, reduzierten ihre Fehlerquote und Fiel besorgte mit dem 10:9 auch folgerichtig die erste Führung im ersten Satz. Jetzt waren die Häfler drin in der Partie und erarbeiteten sich danach auch einen komfortablen Vorsprung. Der VCO schaffte keine Aufholjagd mehr. Fiel sorgte mit dem 25:20 für den ersten Friedrichshafener Satzsieg.
Zwei weitere souverän gewonnene Satzsiege führten dann dazu, dass der haushohe Favorit um MVP Balean den Pflichterfolg einfuhr. Und nun neuer Tabellenführer ist.