Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Rückendeckung für Ärzte
Noch im Juli dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag auf verbindliche Regelung der Triage abgelehnt. Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen hatten sich an Karlsruhe gewandt, weil sie fürchteten, im Falle einer Covid-19-Erkrankung von lebensrettenden Behandlungen ausgeschlossen zu werden, falls es auf den Intensivstationen eng werden sollte. Das Gericht begründete seinen Beschluss auch damit, dass in Anbetracht des Infektionsgeschehens und der intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland Triage nicht sehr wahrscheinlich sei. Das war im Sommer.
Nun droht genau diese Situation einzutreten, wenn der harte Lockdown und die Impfungen, beginnend in zehn Tagen, keine Trendumkehr bringen. Diese Entwicklung war absehbar, Ärzte und Pflegepersonal hatten lange genug davor gewarnt. Dennoch ist jetzt der Schock groß, weil ein ärztlicher Direktor einer Klinik in der Oberlausitz einräumte, dass in seinem Krankenhaus Ärzte bereits darüber entscheiden mussten, wer sofort mit Sauerstoffgeräten versorgt wird – und wer nicht.
Menschlich ist es verständlich, dass Politiker dieses Thema, bei dem es um Leben und Tod geht, von sich fernhalten und den medizinischen Fachgesellschaften überlassen. Wer legt schon gerne Leitlinien fest, die im Ernstfall die eigenen Eltern treffen könnten? Doch gerade weil es um so schwerwiegende Entscheidungen geht, ist der Gesetzgeber gefordert. Die Abgeordneten müssen Kriterien erarbeiten, die im Falle der Triage angewandt werden und welche nicht – vielleicht ist Letzteres sogar noch wichtiger. So kann das Alter eines Patienten allein kein Grund für den Ausschluss von einer lebensrettenden Behandlung sein, weil auch alte Menschen ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit haben. Letztlich wird es den behandelnden Ärzten nicht abgenommen werden können, im Einzelfall diese Entscheidung zu treffen. Aber der Gesetzgeber sollte zumindest einen Rahmen dafür schaffen, damit sie, aber auch Patienten und Angehörige, Rechtssicherheit haben.