Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Debatte über Leben und Tod
Patientenschützer warnen vor Triage-Verfahren
FRANKFURT (epd) - Der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe fordert vor dem Hintergrund von Berichten über erste Triage-Fälle in Kliniken in Sachsen, dass der Bundestag Kriterien für die Auswahl von Beatmungspatienten gesetzlich festlegt. „Die aktuelle Situation im Erzgebirge zeigt, wie dringlich eine sofortige politische Befassung auf höchster Ebene ist“, teilte der Dachverband am Donnerstag in Berlin mit.
Der Vorsitzende Frank Stefan sagte mit Blick auf behinderte Menschen: „Es darf auf keinen Fall dazu kommen, dass menschliches Leben bewertet und gegeneinander aufgewogen wird.“Der Staat müsse alle erdenklichen Präventionsmaßnahmen ergreifen, um der Corona-Pandemie zu begegnen. Das sei bisher nicht ausreichend geschehen.
Sollte es trotzdem zu Engpässen bei der intensivmedizinischen Versorgung kommen, müsse der Bundestag nach Abwägung der rechtlichen, medizinischen und ethischen Aspekte einen gesetzlichen Rahmen zur Rechtssicherheit aller Beteiligten schaffen. „Dafür ist eine Anhörung der Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung zwingend“, sagte der Theologe.
Der Begriff Triage beschreibt die Priorisierung medizinischer Hilfeleistung, insbesondere bei unerwartet hohem Aufkommen an Patienten und unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten. Wegen der knapper werdenden Beatmungsplätze auf den Intensivstationen warnt auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz davor, die Behandlung von Covid-19Erkrankten von deren Überlebenschancen abhängig zu machen. „Hierzulande gilt das Prinzip, dass dem kränkesten Patienten als Erstes geholfen wird“, sagte Vorstand Eugen Brysch der Funke Mediengruppe. Die Triage dagegen stelle „das ethische Prinzip auf den Kopf“. Hier werde „erst demjenigen geholfen, dessen Überlebensaussichten besser sind“, sagte er.
Brysch betonte, deutsche Mediziner müssten das umstrittene Verfahren bisher nicht anwenden, weil es „ausreichend medizinische Ressourcen für alle Schwerstkranken“gebe. Trotz der regional unterschiedlichen Corona-Lage stünden „in jedem Bundesland freie Intensivplätze zur Verfügung“, sagte er. „Die Situation ist ernst, aber Vorsicht vor Alarmismus.“Selbst wenn in einer Stadt „die Intensivbetten komplett belegt sind, gibt es keinen Grund, Menschen unversorgt sterben zu lassen“. Ein intensivmedizinischer Transport per Hubschrauber oder Rettungswagen müsse eine solche Situation verhindern.
Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, sagte, die Kliniken seien weit davon entfernt, Triage-Diskussionen führen zu müssen. Noch gebe es Reserven, sagte er den FunkeZeitungen: „Bis rein rechnerisch alle Kapazitäten aufgebraucht sind, müsste sich die Zahl der aktiven Infektionen verdoppeln.“Auch der Intensivmediziner Gernot Marx von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin geht aktuell nicht davon aus, dass hierzulande in Kliniken die Triage angewendet wird. Das sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.