Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Drogeriekette Müller öffnet komplett, Parfümerie Douglas schließt ganz
Auch im zweiten Lockdown herrscht Verwirrung, welche Einzelhändler öffnen dürfen und ob ein Abholservice erlaubt ist
RAVENSBURG/ULM - Die Verwirrung ist groß. Seit Mittwoch ist der Einzelhandel weitestgehend geschlossen. Laut Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg dürfen nur Geschäfte mit Grundversorgungsfunktion wie Lebensmittelhandel, Apotheken oder Drogerien öffnen. Doch wer die Innenstädte besucht, stellt schnell fest, dass es in der Praxis längst nicht so eindeutig ist.
Während nämlich beispielsweise Spielwarenhändler schließen müssen, verkauft die Ulmer Drogeriekette Müller weiterhin Spielwaren, Büroartikel oder Deko neben ihren Drogerieprodukten. Müller beruft sich dabei auf ein Schlupfloch in der CoronaVerordnung, in der es heißt: „Wenn Mischsortimente angeboten werden, dürfen Sortimentsteile, deren Verkauf nicht gestattet ist, verkauft werden, wenn der erlaubte Sortimentsteil überwiegt.“Im Klartext: Wenn Müller überwiegend Drogerie-Artikel verkauft, darf das Unternehmen auch Spielwaren oder Deko-Artikel für die Weihnachtszeit anbieten. „Wir handeln nach diesem vorgeschriebenen Schwerpunktprinzip“, teilt eine Sprecherin
von Müller am Donnerstag der „Schäbischen Zeitung“mit.
„Das ist extrem unsolidarisch“, meint hingegen Jürgen Gänßlen, Inhaber eines Spielwarengeschäfts in der Ulmer Innenstadt. Er habe einen „riesen Verlust“zu verkraften, während Müller in seinen Geschäften Teddy, Barbie und Co. verkauft. Letztlich schade Müller der ganzen Gesellschaft, erklärt Gänßlen. „Wir wollen ja das Virus besiegen.“Daher sei es verwerflich, wenn Unternehmer wie Müller „jedes Schlupfloch“ausnutzen würden, um trotz Pandemie mehr Käufer in ihre Geschäfte zu locken.
Das Staatsministerium von BadenWürttembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne), das am Tage zuvor noch für die Schließung aller Läden geworben hatte, wollte sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht dazu äußern, ob Müller eine Lücke in der Verordnung unfair ausnutze, und verwies die Frage an das Ministerium von Sozialminister Manfred Lucha (Grüne). Dort hieß es, dass der Verkauf des gesamten Sortiments erlaubt sei, um nicht Umräumarbeiten für das Personal auszulösen.
Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands BadenWürttemberg will das Verhalten der Drogeriekette nicht bewerten. „Letztlich geht es einfach darum, ob es zulässig ist oder nicht“, sagte Hagmann im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“– und die Corona-Verordnung lasse dieses Schlupfloch eben offen. Bestätigt wurde die Drogeriekette in ihrem Handeln bereits im Frühjahrs-Lockdown vom Verwaltungsgericht Sigmaringen. Laut einer damaligen Entscheidung der Richter darf bei Müller das gesamte Sortiment ohne räumliche Abtrennung verkauft werden.
Dass es in diesem zweiten Lockdown mit dem Öffnen und Schließen der Geschäfte aber so eine Sache ist und dass mittlerweile sehr viele Emotionen mitspielen, zeigt auch der Fall Douglas. Die Parfümerie-Filialkette Douglas hatte am ersten Tag des bundesweiten Lockdowns angekündigt, knapp ein Viertel der Filialen offenzulassen. Es handelte sich um Filialen, in denen Douglas nach eigenen Angaben vor allem Artikel des „klassischen Drogeriesortiments“wie Körperpflegeprodukte anbot – etwa Cremes, Shampoo, Seife, Make-up, Deodorants, Parfüms und Hygieneprodukte. Das Angebot sei vergleichbar mit dem großer Drogerieketten, die ebenfalls geöffnet bleiben dürften, rechtfertigte das Unternehmen die Entscheidung.
Doch stieß das Vorgehen der Parfümeriekette auf Kritik. Die Gewerkschaft Verdi sprach von einem „anrüchigen Unterlaufen des Lockdowns“. Die Parfümerie deklariere sich über Nacht zur Drogerie um. Angesichts der Kritik ruderte Douglas mittlerweile zurück, entschuldigte sich am Donnerstag sogar. Douglas-Chefin Tina Müller sagte: „Ab heute bleiben alle unsere deutschen Filialen bis auf Weiteres geschlossen.“Sie bat „diejenigen um Entschuldigung, die wir mit unserem Vorgehen befremdet oder vor den Kopf gestoßen haben“.
Auch beim Thema Abholservice sind die Unklarheiten noch längst nicht ausgeräumt. Laut baden-württembergischer Landesregierung ist es eigentlich verboten, dass Kunden im Lockdown etwas telefonisch oder online bei einem Geschäft bestellen und dann abholen. Trotzdem findet sich auch in Baden-Württemberg auf so mancher Webseite von Einzelhändlern das Angebot eines Abholservice. „Das sind Einzelfälle“, verteidigt Hagmann vom Handelsverband. Es herrsche nun mal eine große Verwirrung: Was ist erlaubt? Was nicht? Das liege auch daran, dass der Abholservice von jedem Bundesland anders geregelt werde. Zudem gibt es Handelsketten, die bundesweit Filialen betreiben und für den so genannten Click & Collect-Service werben, wie die Elektronikketten Media Markt und Saturn oder der Buchhändler Thalia. Diese dürften den Service überall anbieten, nur nicht in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen, sagt Hagmann. Sie hält das nicht für sinnvoll und plädiert dafür, Click & Collect auch in BadenWürttemberg zuzulassen. Es sei unglaublich, dem Mittelstand diese Möglichkeit zu verwehren.