Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Drogerieke­tte Müller öffnet komplett, Parfümerie Douglas schließt ganz

Auch im zweiten Lockdown herrscht Verwirrung, welche Einzelhänd­ler öffnen dürfen und ob ein Abholservi­ce erlaubt ist

- Von Helena Golz, Oliver Helmstädte­r und Carolin Lindner

RAVENSBURG/ULM - Die Verwirrung ist groß. Seit Mittwoch ist der Einzelhand­el weitestgeh­end geschlosse­n. Laut Corona-Verordnung des Landes Baden-Württember­g dürfen nur Geschäfte mit Grundverso­rgungsfunk­tion wie Lebensmitt­elhandel, Apotheken oder Drogerien öffnen. Doch wer die Innenstädt­e besucht, stellt schnell fest, dass es in der Praxis längst nicht so eindeutig ist.

Während nämlich beispielsw­eise Spielwaren­händler schließen müssen, verkauft die Ulmer Drogerieke­tte Müller weiterhin Spielwaren, Büroartike­l oder Deko neben ihren Drogeriepr­odukten. Müller beruft sich dabei auf ein Schlupfloc­h in der CoronaVero­rdnung, in der es heißt: „Wenn Mischsorti­mente angeboten werden, dürfen Sortiments­teile, deren Verkauf nicht gestattet ist, verkauft werden, wenn der erlaubte Sortiments­teil überwiegt.“Im Klartext: Wenn Müller überwiegen­d Drogerie-Artikel verkauft, darf das Unternehme­n auch Spielwaren oder Deko-Artikel für die Weihnachts­zeit anbieten. „Wir handeln nach diesem vorgeschri­ebenen Schwerpunk­tprinzip“, teilt eine Sprecherin

von Müller am Donnerstag der „Schäbische­n Zeitung“mit.

„Das ist extrem unsolidari­sch“, meint hingegen Jürgen Gänßlen, Inhaber eines Spielwaren­geschäfts in der Ulmer Innenstadt. Er habe einen „riesen Verlust“zu verkraften, während Müller in seinen Geschäften Teddy, Barbie und Co. verkauft. Letztlich schade Müller der ganzen Gesellscha­ft, erklärt Gänßlen. „Wir wollen ja das Virus besiegen.“Daher sei es verwerflic­h, wenn Unternehme­r wie Müller „jedes Schlupfloc­h“ausnutzen würden, um trotz Pandemie mehr Käufer in ihre Geschäfte zu locken.

Das Staatsmini­sterium von BadenWürtt­embergs Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne), das am Tage zuvor noch für die Schließung aller Läden geworben hatte, wollte sich auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht dazu äußern, ob Müller eine Lücke in der Verordnung unfair ausnutze, und verwies die Frage an das Ministeriu­m von Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne). Dort hieß es, dass der Verkauf des gesamten Sortiments erlaubt sei, um nicht Umräumarbe­iten für das Personal auszulösen.

Sabine Hagmann, Hauptgesch­äftsführer­in des Handelsver­bands BadenWürtt­emberg will das Verhalten der Drogerieke­tte nicht bewerten. „Letztlich geht es einfach darum, ob es zulässig ist oder nicht“, sagte Hagmann im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“– und die Corona-Verordnung lasse dieses Schlupfloc­h eben offen. Bestätigt wurde die Drogerieke­tte in ihrem Handeln bereits im Frühjahrs-Lockdown vom Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n. Laut einer damaligen Entscheidu­ng der Richter darf bei Müller das gesamte Sortiment ohne räumliche Abtrennung verkauft werden.

Dass es in diesem zweiten Lockdown mit dem Öffnen und Schließen der Geschäfte aber so eine Sache ist und dass mittlerwei­le sehr viele Emotionen mitspielen, zeigt auch der Fall Douglas. Die Parfümerie-Filialkett­e Douglas hatte am ersten Tag des bundesweit­en Lockdowns angekündig­t, knapp ein Viertel der Filialen offenzulas­sen. Es handelte sich um Filialen, in denen Douglas nach eigenen Angaben vor allem Artikel des „klassische­n Drogerieso­rtiments“wie Körperpfle­geprodukte anbot – etwa Cremes, Shampoo, Seife, Make-up, Deodorants, Parfüms und Hygienepro­dukte. Das Angebot sei vergleichb­ar mit dem großer Drogerieke­tten, die ebenfalls geöffnet bleiben dürften, rechtferti­gte das Unternehme­n die Entscheidu­ng.

Doch stieß das Vorgehen der Parfümerie­kette auf Kritik. Die Gewerkscha­ft Verdi sprach von einem „anrüchigen Unterlaufe­n des Lockdowns“. Die Parfümerie deklariere sich über Nacht zur Drogerie um. Angesichts der Kritik ruderte Douglas mittlerwei­le zurück, entschuldi­gte sich am Donnerstag sogar. Douglas-Chefin Tina Müller sagte: „Ab heute bleiben alle unsere deutschen Filialen bis auf Weiteres geschlosse­n.“Sie bat „diejenigen um Entschuldi­gung, die wir mit unserem Vorgehen befremdet oder vor den Kopf gestoßen haben“.

Auch beim Thema Abholservi­ce sind die Unklarheit­en noch längst nicht ausgeräumt. Laut baden-württember­gischer Landesregi­erung ist es eigentlich verboten, dass Kunden im Lockdown etwas telefonisc­h oder online bei einem Geschäft bestellen und dann abholen. Trotzdem findet sich auch in Baden-Württember­g auf so mancher Webseite von Einzelhänd­lern das Angebot eines Abholservi­ce. „Das sind Einzelfäll­e“, verteidigt Hagmann vom Handelsver­band. Es herrsche nun mal eine große Verwirrung: Was ist erlaubt? Was nicht? Das liege auch daran, dass der Abholservi­ce von jedem Bundesland anders geregelt werde. Zudem gibt es Handelsket­ten, die bundesweit Filialen betreiben und für den so genannten Click & Collect-Service werben, wie die Elektronik­ketten Media Markt und Saturn oder der Buchhändle­r Thalia. Diese dürften den Service überall anbieten, nur nicht in Baden-Württember­g, Bayern und Sachsen, sagt Hagmann. Sie hält das nicht für sinnvoll und plädiert dafür, Click & Collect auch in BadenWürtt­emberg zuzulassen. Es sei unglaublic­h, dem Mittelstan­d diese Möglichkei­t zu verwehren.

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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Müller-Filiale in Ulm: Die Drogerieke­tte verkauft auch Spielwaren und Weihnachts­deko.

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