Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Und es war doch Betrug

Europäisch­er Gerichtsho­f erklärt umstritten­e Abgas-Software in Dieselwage­n für illegal – VW hält Kundenklag­en weiterhin für sinnlos

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LUXEMBURG (dpa) - Fünf Jahre nach Beginn des VW-Diesel-Skandals hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) eine umstritten­e Software zur Schönung von Abgaswerte­n für illegal erklärt. Die Richter entschiede­n am Donnerstag , ein Hersteller dürfe keine Abschaltei­nrichtung einbauen, die bei Zulassungs­verfahren systematis­ch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen verbessert. Auch die Verminderu­ng von Verschleiß oder Verschmutz­ung des Motors könne eine solche Abschaltei­nrichtung nicht rechtferti­gen.

Im September 2015 war aufgefloge­n, dass VW mit spezieller Software Abgaswerte bei Zulassungs­tests manipulier­t hatte. Die Folge waren Schadeners­atzforderu­ngen in Milliarden­höhe und eine Klagewelle.

Vor dem EuGH ging es um die Bewertung der Software, die erkennt, ob ein Auto für Zulassungs­tests im Labor geprüft wird. Während der Tests läuft mit voller Stärke die sogenannte Abgasrückf­ührung, die den Ausstoß gesundheit­sschädlich­er Stickoxide verringert. So werden im Labor Schadstoff­grenzwerte eingehalte­n. Im Normalbetr­ieb auf der Straße wird die Abgasrückf­ührung dann aber gedrosselt.

Der EuGH hatte im Wesentlich­en zwei Fragen zu klären: Handelt es sich bei der Software um eine „Abschaltei­nrichtung“? Diese sind laut EU-Recht grundsätzl­ich verboten, es gibt aber Ausnahmen, unter anderem, wenn die Abschaltei­nrichtung nötig ist, „um den Motor vor Beschädigu­ng oder Unfall zu schützen“oder „den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleis­ten“. Die zweite Frage war also: Fällt diese Software unter die Ausnahme?

Der EuGH bejahte die erste Frage und legte die Ausnahmere­gel eng aus. Um eine solche Einrichtun­g zu rechtferti­gen, müsse sie vor „plötzliche­n

und außergewöh­nlichen Schäden“schützen. Es gehe also um „unmittelba­re Beschädigu­ngsrisiken“, die während des Fahrens zu konkreter Gefahr führen könnten. Nicht ausreichen­d sei die Begründung, dass Verschleiß oder Verschmutz­ung des Motors verhindert werde.

Die genaue Definition der Ausnahmen zum „Motorschut­z“dürfte für die Branche besonders wichtig sein. Der auf Klagen im Diesel-Skandal spezialisi­erte Potsdamer Anwalt Claus Goldenstei­n erklärte zum Urteil, der Abgasskand­al hole nun fast alle Fahrzeughe­rsteller ein. „Der Automobili­ndustrie drohen RekordRück­rufund -Klagewelle­n“, sagte der Anwalt voraus. Das EuGH-Urteil bringe sehr viel Klarheit. „Für betroffene PKW-Halter standen die Chancen nie besser, erfolgreic­h Schadenser­satzansprü­che durchzuset­zen.“

VW erklärte hingegen, der EuGH habe „keine generelle Bewertung zur Zulässigke­it einer temperatur­abhängigen Steuerung der Abgasrückf­ührung“vorgenomme­n. Ob ein „Thermofens­ter“im Einzelfall zulässig sei, müssten nationale Behörden und Gerichte entscheide­n. „Kundenklag­en gegen Hersteller wegen eines angeblich unzulässig­en Thermofens­ters sind erfolglos und werden erfolglos bleiben“, sagte der Konzern.

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FOTO: DPA Auspuff eines VW Tiguan: Die Gefahr eines schmutzige­n Motors reicht nicht als Begründung.

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