Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das unverstandene Geschäft
Filmverleiher und Rechtehändler sind die größte Schnittstelle in der Filmbranche
BERLIN - „Unser Geschäft wird gar nicht verstanden, weder vom Publikum, noch von der Kulturpolitik“, klagt Stefan Butzmühlen, Chef des Nürnberger Verleihs Grandfilm und einer der kreativsten und engagiertesten deutschen Filmverleiher. Auch Reno Koppe, erfahrener Verleihchef der Berliner Farbfilm kann davon gerade in der aktuellen Corona-Krise ein Lied singen: „Die Verleiher wurden bisher von den Hilfsmaßnahmen vergleichsweise stark vernachlässigt. Das hat mehrere Ursachen. Es liegt auch daran, dass den wenigsten klar ist, was eigentlich dazu gehört, einen Film herauszubringen.“Aber was genau macht eigentlich ein Filmverleih?
Ein Kino wäre ohne Verleiher nur ein leeres Haus. Damit ein Film überhaupt im Kino zu sehen ist, muss er erst mal dorthin kommen. Dies ist die Aufgabe von Filmverleihern. Wir alle kennen sie, sehen im Kino und auf Plakaten ihre Labels wie Constantin, Prokino, Arsenal und zahlreiche andere. Aber wir nehmen sie selten wahr.
Filmverleiher sind wahrscheinlich die größte Schnittstelle in der Filmbranche. Es gibt Verleiher, die wie Constantin oder X-Filme auch Filme produzieren. Kleinere Verleiher können Produktionen nicht allein stemmen, sondern sich bestenfalls beteiligen. Und es gibt Verleiher, die auch Kinos ihr eigen nennen , etwa der Tübinger Arsenal-Filmverleih, der vor Ort auch zwei Kinos betreibt.
Insgesamt gibt es in Deutschland gut 50 Verleiher. Sie sind in zwei Verbänden organisiert, die kleineren, unabhängigen in der AG Verleih, die größeren und die US-Studioableger im Verband der Filmverleiher (VdF).
Das Pendant zum Verleih auf internationaler Ebene sind die Weltvertriebe. Sie kennen den internationalen Markt und übernehmen im Auftrag der zahllosen Produzenten dieser Welt wie ein Agent den Verkauf eines Films in Territorien.
Zwei Grundtypen von Verleihern muss man unterscheiden: Jene, die einfach nur Rechte vorhandener Filme kaufen und sich ganz auf das Geschäft konzentrieren, diese als Zwischenhändler weiter zu vertreiben. Und die anderen, die die Filme auch selber produzieren. Dieses Beispiel kennen wir vor allem von den großen amerikanischen Studios. Es ist das klassische Geschäft: In Hollywoods goldenen Jahren, beherrschten Studios wie 20th Century Fox, MGM, Warner und RKO die komplette Wertschöpfungskette. Sie hatten Stars und Regisseure in langjährigen Verträgen an sich gebunden, quasi wie Leibeigene. Ähnlich wie heute Fußballclubs gaben sie sie nur gegen Ablösesummen oder Erlösbeteiligung leihweise für einen Film oder dauerhaft an die Konkurrenz ab. Ein solcher Studiofilm wurde schon in der Vorbereitungsphase vom studioeigenen Marketingapparat beim Publikum platziert, und die Zuschauer der Zukunft vorbereitet. Sobald der Film fertig war, kam er dann nur in die hauseigenen Kinos. Ein Star, der auf diese Weise aufgebaut und mit einem Image versehen wurde, versprach dem Studio langjährige Einnahmen; weil sich die Investitionen entsprechend auf Dauer auszahlten, konnte man langfristiger planen.
Diese Zeiten sind auch in Amerika vorbei, seit in den 1950er-Jahren Anti-Trust-Gesetze die Verbindung zwischen Studios und Kinoketten verboten, und Kinos seitdem selbstständig sind. Zugleich wurden Stars und Regisseure selbstbewusster und unabhängiger. Spätestens mit der wirtschaftlichen Krise der Hollywoodstudios und dem Beginn des Autorenkinos seit Ende der 1950erJahre gingen die alten Zeiten der Studiodiktatur zu Ende. Autorenkino heißt: Regisseure stellen ihre Filme her.
Mit dieser Ausdifferenzierung der Filmökonomie in Produktion, Regie, Vertrieb und Kino schlug die große Stunde der Verleiher. Nun waren sie es, die den Kinos eine breite Palette von Filmtypen anboten – von besagten Autoren- und Kunstfilmen über Genre- und klassische Unterhaltungsfilme bis hin zu Spartenoder Spezialinteressen wie Sexfilme, aber auch Dokumentarkino oder die Horror- und Splatterstreifen des „Mitternachtskinos“. Mit diesem breiten Angebot konnten sie entsprechend der Begehrlichkeiten auch Bedingungen diktieren. Alte, noch aktive Verleiher erzählen heute
Zukunft des Kinos gern von ihren goldenen Tagen, in denen sich die Verleiher in Hinterzimmern Filme, Kinos und ganze Städte untereinander aufteilten.
Die besondere Expertise der Filmverleiher liegt vor allem in dieser Kenntnis der jeweiligen Stadtsituation und des Charakters der jeweiligen Kinos: Welche Filme laufen in welchem Kino am besten? Darüber kann man sich bis heute mit Verleihern stundenlang streiten. Wer diese Frage aus der Zeit vor den Algorithmen am besten beantwortet, hat Erfolg. Wir sich hier irrt, wird scheitern.
Heute, in unserer ökonomisch deregulierten und digitalisierten Gegenwart, ist der Markt vor allem unübersichtlicher geworden. Es gibt weniger Klüngel, vielleicht auch weniger Hinterzimmer, aber auch weniger Verlässlichkeit, dafür mehr Härte, mehr Tempo, kleinere Gewinnspannen und gnadenlosen Effizienzzwang. Fehler werden sofort bestraft.
Ein Verleih macht viel mehr, als nur Filme an Kinos zu verschicken. Der Alltag der Verleiharbeit besteht neben der strategischen Planung, dem Anfertigen einer guten Synchronisation oder Untertitelung vor allem in Marketing- und PR-Kampagnen. In der Regel sind diese Kampagnen langfristig aufeinander aufbauend und abgestimmt, neben Anzeigen und Plakatierung gehören dazu heute die Arbeit in sozialen Netzwerken und die Organisation von Pressevorführungen. Auch kleinere unter den deutschen Verleihfirmen haben dafür oft eigene PR-Abteilungen.
Über 600 Filme wurden auf diese Weise zuletzt jedes Jahr bei uns ins Kino gebracht, mehr als 12 Filme pro Woche. Die meisten verschwinden gleich wieder. In der immer größeren Menge von Filmstarts ist es immer schwieriger, nicht unterzugehen, und die für den jeweiligen Film richtigen Kinos zu gewinnen. Diese Politik der Starttermine ist zentral, das Datum entscheidet oft über die Erfolgschancen.
Gerade der November-Lockdown traf Verleiher wie Kinos, denn die zwei Monate vor Weihnachten sind die wichtigsten des Jahres. Zudem wurde hier auch die Arbeit von Monaten zerstört.
Die Corona-Hilfen gleichen das nicht aus. Auch Verleiher erhalten grundsätzlich 75 Prozent vom Umsatz des Novembers 2019. Nicht bedacht wurde in dieser Rechnung aber: Es gibt Verleiher, die im November vor einem Jahr drei erfolgreiche Filme herausgebracht und den besten Monat der letzten Jahre erlebt haben, und andere, deren einziger Film erst am 28.11.2019 in die Kinos kam. Man kann diese Ungleichheiten nicht gleich behandeln.
Wie verdient ein Verleih vor diesem Hintergrund überhaupt Geld? Von jedem verkauften Ticket-Euro bekommt er zwischen 45 und 60 Prozent. Die Unkosten sind davon oft noch nicht gedeckt. Deswegen erwirbt ein Verleih in der Regel die kompletten Territorialrechte und verkauft den Film nach dem Kinostart auch ans Pay-TV, Fernsehsender, auf DVD und als Video-on-Demand oder Streaming. Zudem kann man auf Verleihförderung hoffen.
Wenn man dieses Geschäft versteht, und Erfolgsfilme im Portfolio hat, dann werfen diese auch über die Jahre sicheres Geld ab: Denn immer wieder werden sie aufgeführt, gesendet, als DVD gekauft. Der Boom des online Sehens und der StreamingDienste eröffnet da neue Chancen. Zugleich sinken zuletzt die Fixkosten, weil seit einigen Jahren pro Filmstart nicht mehr kiloschwere Filmrollen hundertfach kopiert und durch die Republik gesandt werden müssen. Meist wird heute ein digitaler Schlüssel verschickt, der auch mehr ökonomische Kontrolle ermöglicht.
„Die wirtschaftlichen Kosten und Risiken eines Filmstarts liegen aber auch heute weitgehend auf den Schultern der Filmverleiher“, sagt Torsten Frehse, Chef von Neue Visionen und Vorstandsmitglied in der AG Verleih.
Zugleich stellt sich die Frage: Wird es Verleiher in Zukunft noch geben? Oder können Filmproduzenten dieses Geschäft wie früher bald wieder selbst betreiben? Manche versuchen es bereits, und auch Verleiher versuchen, sich selbst neu zu erfinden. Zum Beispiel, indem sie eigene Streaming-Plattformen betreiben, wie es die Amerikaner Warner oder Disney vormachen.
Die Digitalisierung hat dieses Geschäft einerseits revolutioniert und das Risiko gemindert. Andererseits ist am Ende doch immer noch der persönliche Kontakt und das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verleiher und seinen Kunden, die den Verleiherfolg entscheiden.