Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Bunter Vogel“streift durch die Siedlung
Wie die Wildtierhilfe aus Grünkraut ein Goldfasanenpaar vor dem Erfrieren rettete
GRÜNKRAUT/BAD WALDSEE - Normalerweise hat es die Wildtierhilfe Baden-Württemberg mit jungen Eichhörnchen, verletzten Igeln, verwaisten Singvögeln oder gestrandeten Schwänen und Enten zu tun. Der Verein hat sich der Pflege hilfsbedürftiger Wildtiere verschrieben, bis sie bestenfalls wieder ausgewildert werden können. In den vergangenen Wochen gingen über das Notfalltelefon und soziale Medien Hilferufe zu ganz besonderen Tieren ein, unter anderem zu einem Goldfasanenpaar.
„Über Facebook und später auch über unsere Notfallnummer erhielten wir einige Hinweise darauf, dass in Bad Waldsee Fasane gesichtet wurden“, berichtet Lea Hahn vom Verein. Natürlich ging man den Hinweisen nach und fand heraus, dass es sich bei den Tieren nicht um den hier heimischen Jagdfasan, sondern um den aus China stammenden Goldfasan handelte. Es war klar, dass die beiden Tiere, die in Deutschland als beliebte Voliere-Vögel bei Ziervogelhaltern gelten, die kalte Jahreszeit ohne Hilfe nicht überleben würden.
Bereits am nächsten Tag tauchte das weibliche Tier wieder in der Siedlung auf und verbrachte längere Zeit auf einem Gehweg. „Wahrscheinlich kam sie mit der ungewohnten Freiheit nicht zurecht, sie hat ja nie gelernt, sich wie ein Wildvogel zu verhalten“, erläutert Anja Hahn vom Vorstandsteam in Grünkraut. Die Fasanenhenne ließ sich tatsächlich von Anwohnern widerstandslos einfangen, wurde in eine
Pflegestelle des Vereins gebracht und versorgt.
Ganz anders verhielt es sich mit dem prachtvollen Fasanenhahn. Er tauchte tagelang nicht mehr auf und wurde trotz mehrerer Suchaufrufe des Vereins über soziale Medien nicht mehr gesehen. „Nach fast drei Wochen hatten wir die Hoffnung aufgegeben. Eine solch lange Zeit ohne Sichtung ist ungewöhnlich und verheißt meist nichts Gutes“, meint Alexander Dreher, ebenfalls Vereinsmitglied aus dem Raum Bad Wurzach. Er hat sich auf Tierrettung spezialisiert und verfügt über das nötige Wissen und Werkzeug, um in Gefahr geratene (Wild-)Tiere einzufangen. Aber plötzlich kam doch ein Anruf: Der Goldfasan war unweit des zuletzt aufgenommenen Standorts gesehen worden und hatte die Hühnerschar im Garten einer Familie besucht. Alexander Dreher wurde umgehend informiert und versuchte, den Vogel zu sichern. Zunächst gelang es nicht, ihn einzufangen. „Er war trotz der fortgeschrittenen Kälte noch sehr aktiv und hatte gelernt, sich auf seine wiedergekehrten Instinkte zu verlassen. Zudem konnte er gut fliegen, was die Einfangaktion sehr schwierig machte“, berichtet er. Nach mehreren Fangversuchen verschwand der Fasan im Unterholz und Dreher musste dringend noch zu einem anderen Wildtier-Notfall.
Der Fasan blieb in der Nähe, und so machte sich Dreher abends mit weiteren Vereinsmitgliedern auf den Weg, um das Tier angesichts der drohenden Kälte endlich einzufangen.
Der Fasan war zwischenzeitlich auf einen Baum geflogen, den er sich als Schlafplatz auserkoren hatte. Die Fangaktion wurde von der Familie bemerkt, welche den Fasan am Morgen bei ihren Hühnern gesehen hatte. Gemeinsam beschlossen sie, den Schlafplatz des Fasans mit fliegenden Bällen ungemütlich zu machen.
„Die Nachbarskinder und ehemaligen Handballspieler Emil, Ole und dessen Schwester bewiesen ihre Wurfstärke und ärgerten den Fasan so lange, bis er letztlich doch seinen Schlafplatz verließ. Mit einem großen Kescher und gekonnten Handgriffen war er in nun völliger Dunkelheit endlich eingefangen“, erzählt Alexander Dreher. Gerade noch rechtzeitig, denn über Nacht kam der erste Wintereinbruch, den das Tier wohl kaum überlebt hätte.
Der Fasan wurde zur selben Pflegestelle wie das Weibchen gebracht. Nach tierärztlicher Kontrolle durfte das Fasanenpaar vergangene Woche zusammen in eine große Voliere in Grünkraut umziehen, in der sie wohl weiterhin ihr Leben verbringen. „Die beiden haben sich stürmisch begrüßt, schienen sehr glücklich und zufrieden, wieder zusammen zu sein“, berichtet Anja Hahn. Eventuelle Besitzer haben sich bisher nicht gemeldet.