Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Grüne wollen mehr Wildnis im Wald
Landtagsfraktion formuliert zehn Forderungen zur Zukunft des Forsts im Südwesten
STUTTGART - Was tun, damit der Wald in Baden-Württemberg in 30 Jahren gut und gesund dasteht? Einen Plan erarbeitet derzeit Agrarminister Peter Hauk (CDU). Das Ergebnis, die Waldstrategie 2050, will er im Frühjahr vorlegen. Dabei möchte sein Koalitionspartner ein Wörtchen mitreden: In einem Zehn-PunktePlan, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, stellt die GrünenFraktion im Landtag konkrete Forderungen. Sie wollen mehr Wildnis, mehr Laubbäume und weniger schwere Maschinen im Forst. Das birgt Konfliktpotenzial – mit Waldbesitzern, aber auch mit dem Koalitionspartner.
Der Wald erfüllt viele Zwecke, die zum Teil im Widerspruch zueinander stehen. Er ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen, für die Menschen ist er Erholungsgebiet und Wirtschaftsfaktor. Der Klimawandel setzt ihn zusätzlich unter massiven Druck. Zu trockene und zu warme Winter wie in den vergangenen Jahren begünstigen Schädlinge wie den Borkenkäfer. Das alles macht den Forst zum Patienten – vor allem dort, wo hauptsächlich Fichten wachsen. Über Jahrzehnte haben Waldbesitzer auf solche Monokulturen gesetzt: Die Fichte wächst schnell und versprach immer gute Gewinne.
Aber: 40 Prozent der Landesfläche ist von Wald bedeckt – und fast die Hälfte davon gilt inzwischen als deutlich geschädigt, wie Minister Hauk im Oktober erklärte. „Damit haben wir ein noch nie da gewesenes Schadniveau seit Beginn der Waldzustandserhebung erreicht.“Der Holzpreis ist auf Talfahrt. Viel Geld fließt schon jetzt in die Rettung des Ökosystems. Zuletzt hat das Land den Notfallplan Wald aufgelegt, über den zusätzliche Mittel in die Erforschung der Frage fließen, wie der Forst dem Klimawandel trotzen kann – etwa durch die Pflanzung anderer Baumarten. Allein 30 Millionen bekommen Waldbesitzer dafür, dass sie Schäden etwa durch Borkenkäfer und Stürme beheben.
Im November haben Hauk und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Eckpunkte für die Waldstrategie 2050 vorgestellt. Sie formuliert 21 Ziele. Klimaschützend, klimaschonend und artenreich soll der Wald werden. Die unterschiedlichen Interessensgruppen sollen sich stärker austauschen und Waldbesitzer weiter unterstützt werden. In etlichen Gesprächsrunden haben sich zuvor unter anderem Forstwirtschaft und Waldbesitzer ebenso eingebracht wie Naturschützer, Tourismus und Wissenschaftler. Nun arbeitet Hauks Behörde am
Feinschliff. „Dabei gehen bei unseren Überlegungen ökonomische, ökologische und soziale Aspekte Hand in Hand“, so der Minister.
Die Grünen-Fraktion hat dagegen einen klaren Schwerpunkt, wie ihr Wald-Experte Reinhold Pix betont. „Das Wohlergehen des Waldes muss an erster Stelle stehen – Gesundheit first! Die Holzerträge werden sich daran orientieren müssen.“In diesem Sinne haben die Grünen im Landtag ein Positionspapier mit zehn Forderungen verabschiedet, das in Teilen der CDU nicht schmecken dürfte. In dem Papier fordern sie ein zügiges Umdenken vor allem bei Privatwaldbesitzern. Ihnen gehören 36 Prozent des Südwest-Forsts. 24 Prozent sind in Landesbesitz, 40 Prozent gehören Kommunen.
Der Staatswald trägt seit sechs Jahren das FSC-Siegel, das dem Land eine umweltgerechte, sozial verträgliche und ökonomisch sinnvolle Bewirtschaftung der Wälder bescheinigt. Auch die Kommunen sollen nach diesen „Goldstandards“ihre Wälder bewirtschaften und damit Vorbild werden, fordern die Grünen.
Zum Schutz vor Trockenheit müsse der Waldboden bedeckt bleiben. „Kahlschläge und Räumungshiebe sind zu unterlassen“, heißt es im Papier. Schwere Maschinen sollen spärlich eingesetzt werden, da sie dem Boden zusetzen. Auch sollen schwere Vollernter, die Bäume fällen und von Ästen befreien, nur noch in Monokulturen zum Einsatz kommen – die es mittelfristig nicht mehr geben soll.
Insgesamt soll der Wald mehr sich selbst überlassen werden. Für die Grünen ist klar: Der Wald weiß am besten, was wachsen soll und was nicht. Deshalb sollen möglichst wenig Bäume von Menschen gepflanzt werden, sondern Baumtriebe von alleine wachsen dürfen. „Hohe genetische Vielfalt fördert die ökologische Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Wälder.“Unter anderem brauche es mehr Laubbäume, um den Wald naturnäher zu machen – auch wenn ihr Holz weniger Gewinn einbringe. Wo die Bäume heimisch sind, sollen sie auch wachsen dürfen. Wenn Nadelbäume, dann doch bitte Weißtanne, fordern die Grünen. Und maximal 20 Prozent dürften Bäume ausmachen, die hier nicht heimisch sind – wie etwa die Douglasie.
Die Jäger spielen im Wald der Zukunft für die Grünen eine ebenso wichtige Rolle wie bei Hauks Waldstrategie 2050. „Besonders bei der Wiederbewaldung von Schadflächen spielt die Rehwildbejagung eine bedeutende Rolle“, meinen die Grünen.
Denn Rehe haben die Triebe junger Laubbäume zum Fressen gern. Experten mahnen seit Langem, es müsse mehr Rehwild erlegt werden, um die laufenden Aufforstungen nicht zu gefährden.
Zudem soll deutlich mehr Wald als bisher sich selbst überlassen werden. Die Grünen halten am Ziel fest, zehn Prozent des Landes- und Kommunalwalds nicht wirtschaftlich zu nutzen. Schließen sich Privatbesitzer an, sollen sie dafür Geld vom Land bekommen. Das mache den Wald widerstandsfähiger gegen den Klimawandel und fördere die Biodiversität. Eine Prämie für die Bewirtschaftung ihres Waldes sollen Privatbesitzer künftig nur noch bekommen, wenn sie ökologische Richtlinien einhalten. Die Beratung soll dafür ausgebaut werden.
Das klingt nach Zumutungen und nach Konfliktpotenzial mit der CDU. Dennoch betont auch Pix, wie wichtig Holz als Rohstoff ist. „Nach unserer Vorstellung sind die Wälder der Zukunft klimastabil und artenreich, aber weiter eine wichtige Holzquelle“, sagt der Abgeordnete Pix. „Waldeigentümer dürfen nicht dauerhaft auf staatliche Leistungen angewiesen sein. Der Wald muss deshalb allen Anforderungen zu gleichen Teilen gerecht werden.“