Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der vergessene Konflikt ist zurück
Ein Jahr nach dem US-Anschlag auf den iranischen General Soleimani rechnen die USA mit Racheakten
ISTANBUL - Am morgigen Sonntag ist es ein Jahr her, dass die USA den iranischen General Qassem Soleimani mit einer Kampfdrohne töteten. Zum Jahrestag des Attentats auf Soleimani, der in Iran als Held verehrt wird, bereiten sich amerikanische Militärs auf mögliche iranische Vergeltungsschläge vor. US-Einrichtungen beim iranischen Nachbarn Irak gelten als besonders gefährdet. Beobachter sorgen sich zudem, dass US-Präsident Donald Trump eine neue Eskalation ausnutzen könnte, um kurz vor seinem Abschied aus dem Amt noch einen Krieg mit Iran anzuzetteln. Die iranische Führung gibt sich kämpferisch.
Trump warnte Iran kürzlich vor weiteren Angriffen auf die US-Botschaft in der irakischen Hauptstadt Bagdad, die kurz vor Weihnachten mit Raketen beschossen worden war. Kurz nach Trumps Mitteilung überflogen US-Langstreckenbomber den Nahen Osten – eine weitere Warnung an Iran. Trump-Kritiker wie der US-Politologe Tom Nichols halten es für möglich, dass Trump in seinen letzten Tagen im Amt einen Krieg mit Teheran vom Zaun bricht. Was Trump über dieses Thema denke, sei bekannt, schrieb Nichols im Magazin „The Atlantic“: Nach seiner Wahlniederlage im November habe Trump seine Berater um Optionen für Militärschläge auf iranische Atomeinrichtungen gebeten.
Trumps Berater rieten dem Präsidenten ab, doch der Jahrestag des Mordanschlags auf Soleimani heizt die Spannungen wieder an. US-General
Kenneth McKenzie, Chef des amerikanischen Zentralkommandos, sieht am Jahrestag ein „erhöhtes Risiko“iranischer Vergeltungsaktionen, wie er dem Sender ABC sagte.
Der 62-jährige Soleimani starb am 3. Januar 2020, als sein Fahrzeug von einer US-Kampfdrohne nahe des Flughafens in Bagdad beschossen wurde. Soleimani habe iranische Werte wie Mut und Widerstandsgeist verkörpert, sagte Revolutionsführer Ali Khamenei kürzlich. Seine Ermordung werde „definitiv“gerächt. Soleimanis Mörder, einschließlich Trump selbst, seien nirgendwo auf der Erde sicher, ergänzte Justizchef Ebrahim Raisi.
Soleimanis Tod riss eine Lücke in die iranische Führungsstruktur, die bis heute nicht gefüllt ist. Der General kommandierte die Auslandstruppen der iranischen Revolutionsgarde und lenkte die aggressive iranische Außenpolitik. Unter Soleimani baute Teheran seinen Einfluss im Irak, in Syrien und im Libanon aus und heizte den Konflikt mit dem regionalen Rivalen Saudi-Arabien durch den Krieg im Jemen an. Als „SchattenKommandant“, wie er von dem IranExperten Arash Azizi genannt wird, war der meist im Verborgenen handelnde Soleimani einer der mächtigsten Akteure im Nahen Osten. Sein Nachfolger Ismail Qaani verfügt nicht über Soleimanis Charisma und ist eher ein Koordinator als ein aktiver Gestalter iranischer Politik.
Nicht nur deshalb wankt der iranische Einfluss. Trumps Sanktionen haben Irans Wirtschaft schwer getroffen und erschweren es Teheran, verbündete Gruppen wie Hamas im Gaza-Streifen, Hisbollah im Libanon und den Huthis im Jemen finanziell zu unterstützen. Auch die CoronaPandemie, die in Iran schwerer wütet als in allen anderen Ländern des Nahen Ostens, schwächt die Islamische Republik. Hinzu komme eine „fundamentale Krise“des Mullah-Regimes, sagte Azizi der „Schwäbischen Zeitung“in Istanbul: Die Ideale der Revolution von 1979 seien einer Kleptokratie mit Korruption und wachsender Ungleichheit gewichen.
Vor allem aber wachsen in den iranischen Einflussgebieten die Schwierigkeiten für Teheran, während der Erzfeind Israel durch Friedensverträge mit arabischen Staaten gestärkt ist. Im Irak und im Libanon gibt es seit Monaten Proteste, die sich gegen die iranische Einflussnahme und iranische Verbündete wie die Hisbollah richten. Der irakische Ministerpräsident Mustafa al-Kadhemi wehrt sich mit der Festnahme proiranischer Milizionäre gegen Teheran. Sollte Kadhimi die Parlamentswahl im Juni gewinnen, würde das Iran noch mehr schaden. In Syrien zeichnet sich ein Machtkampf zwischen Iran und Russland ab, weil beide Länder um Wirtschaftsaufträge beim Wiederaufbau konkurrieren.
Bisher hat die iranische Regierung innen- wie außenpolitisch Veränderungen abgelehnt. Regierungsfeindliche Proteste wurden brutal niedergeschlagen, und trotz der knappen Kassen wurden Zahlungen an Gruppe wie Hamas erhöht. Doch die Anziehungskraft der Islamischen Republik als angeblich gottgefälliger Staat habe sehr gelitten, sagt Azizi: Heute sei Iran keine „Marke“mehr, die Anhänger dauerhaft begeistern könne.