Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der vergessene Konflikt ist zurück

Ein Jahr nach dem US-Anschlag auf den iranischen General Soleimani rechnen die USA mit Racheakten

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Am morgigen Sonntag ist es ein Jahr her, dass die USA den iranischen General Qassem Soleimani mit einer Kampfdrohn­e töteten. Zum Jahrestag des Attentats auf Soleimani, der in Iran als Held verehrt wird, bereiten sich amerikanis­che Militärs auf mögliche iranische Vergeltung­sschläge vor. US-Einrichtun­gen beim iranischen Nachbarn Irak gelten als besonders gefährdet. Beobachter sorgen sich zudem, dass US-Präsident Donald Trump eine neue Eskalation ausnutzen könnte, um kurz vor seinem Abschied aus dem Amt noch einen Krieg mit Iran anzuzettel­n. Die iranische Führung gibt sich kämpferisc­h.

Trump warnte Iran kürzlich vor weiteren Angriffen auf die US-Botschaft in der irakischen Hauptstadt Bagdad, die kurz vor Weihnachte­n mit Raketen beschossen worden war. Kurz nach Trumps Mitteilung überflogen US-Langstreck­enbomber den Nahen Osten – eine weitere Warnung an Iran. Trump-Kritiker wie der US-Politologe Tom Nichols halten es für möglich, dass Trump in seinen letzten Tagen im Amt einen Krieg mit Teheran vom Zaun bricht. Was Trump über dieses Thema denke, sei bekannt, schrieb Nichols im Magazin „The Atlantic“: Nach seiner Wahlnieder­lage im November habe Trump seine Berater um Optionen für Militärsch­läge auf iranische Atomeinric­htungen gebeten.

Trumps Berater rieten dem Präsidente­n ab, doch der Jahrestag des Mordanschl­ags auf Soleimani heizt die Spannungen wieder an. US-General

Kenneth McKenzie, Chef des amerikanis­chen Zentralkom­mandos, sieht am Jahrestag ein „erhöhtes Risiko“iranischer Vergeltung­saktionen, wie er dem Sender ABC sagte.

Der 62-jährige Soleimani starb am 3. Januar 2020, als sein Fahrzeug von einer US-Kampfdrohn­e nahe des Flughafens in Bagdad beschossen wurde. Soleimani habe iranische Werte wie Mut und Widerstand­sgeist verkörpert, sagte Revolution­sführer Ali Khamenei kürzlich. Seine Ermordung werde „definitiv“gerächt. Soleimanis Mörder, einschließ­lich Trump selbst, seien nirgendwo auf der Erde sicher, ergänzte Justizchef Ebrahim Raisi.

Soleimanis Tod riss eine Lücke in die iranische Führungsst­ruktur, die bis heute nicht gefüllt ist. Der General kommandier­te die Auslandstr­uppen der iranischen Revolution­sgarde und lenkte die aggressive iranische Außenpolit­ik. Unter Soleimani baute Teheran seinen Einfluss im Irak, in Syrien und im Libanon aus und heizte den Konflikt mit dem regionalen Rivalen Saudi-Arabien durch den Krieg im Jemen an. Als „SchattenKo­mmandant“, wie er von dem IranExpert­en Arash Azizi genannt wird, war der meist im Verborgene­n handelnde Soleimani einer der mächtigste­n Akteure im Nahen Osten. Sein Nachfolger Ismail Qaani verfügt nicht über Soleimanis Charisma und ist eher ein Koordinato­r als ein aktiver Gestalter iranischer Politik.

Nicht nur deshalb wankt der iranische Einfluss. Trumps Sanktionen haben Irans Wirtschaft schwer getroffen und erschweren es Teheran, verbündete Gruppen wie Hamas im Gaza-Streifen, Hisbollah im Libanon und den Huthis im Jemen finanziell zu unterstütz­en. Auch die CoronaPand­emie, die in Iran schwerer wütet als in allen anderen Ländern des Nahen Ostens, schwächt die Islamische Republik. Hinzu komme eine „fundamenta­le Krise“des Mullah-Regimes, sagte Azizi der „Schwäbisch­en Zeitung“in Istanbul: Die Ideale der Revolution von 1979 seien einer Kleptokrat­ie mit Korruption und wachsender Ungleichhe­it gewichen.

Vor allem aber wachsen in den iranischen Einflussge­bieten die Schwierigk­eiten für Teheran, während der Erzfeind Israel durch Friedensve­rträge mit arabischen Staaten gestärkt ist. Im Irak und im Libanon gibt es seit Monaten Proteste, die sich gegen die iranische Einflussna­hme und iranische Verbündete wie die Hisbollah richten. Der irakische Ministerpr­äsident Mustafa al-Kadhemi wehrt sich mit der Festnahme proiranisc­her Milizionär­e gegen Teheran. Sollte Kadhimi die Parlaments­wahl im Juni gewinnen, würde das Iran noch mehr schaden. In Syrien zeichnet sich ein Machtkampf zwischen Iran und Russland ab, weil beide Länder um Wirtschaft­saufträge beim Wiederaufb­au konkurrier­en.

Bisher hat die iranische Regierung innen- wie außenpolit­isch Veränderun­gen abgelehnt. Regierungs­feindliche Proteste wurden brutal niedergesc­hlagen, und trotz der knappen Kassen wurden Zahlungen an Gruppe wie Hamas erhöht. Doch die Anziehungs­kraft der Islamische­n Republik als angeblich gottgefäll­iger Staat habe sehr gelitten, sagt Azizi: Heute sei Iran keine „Marke“mehr, die Anhänger dauerhaft begeistern könne.

 ?? FOTO: UNCREDITED/OFFICE OF THE IRANIAN SUPREME LEADER VIA AP/DPA ?? Qassem Soleimani im Jahr 2016: Die Tötung des Militärs hatte 2020 zu heftigen Spannungen geführt.
FOTO: UNCREDITED/OFFICE OF THE IRANIAN SUPREME LEADER VIA AP/DPA Qassem Soleimani im Jahr 2016: Die Tötung des Militärs hatte 2020 zu heftigen Spannungen geführt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany