Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Im Land der Besserwiss­er

- Von Ludger Möllers l.moellers@schwaebisc­he.de

Waren bisher etwa 80 Millionen Nationaltr­ainer unterwegs, so glauben jetzt Hobby-Virologen und Politiker, die meisten davon ohne Verantwort­ung, aus der zweiten Reihe und schon im Wahlkampfm­odus, besserwiss­erisch von der Seitenlini­e verbal nachtreten zu müssen. Einige Beispiele: „Warum hat man im Sommer nicht viel mehr Impfstoff auf Risiko bestellt?“„Ich bin schon ein wenig verwundert, wie wenig Impfdosen die EU bestellt hat.“„Europa hat falsch verhandelt.“„Die Bundesregi­erung hat Millionen für Biontech locker gemacht, aber jetzt hat Deutschlan­d nichts davon.“

Nicht nur der Virologe Christian Drosten hält die Kritik für nicht nachvollzi­ehbar. Zum Vorgehen bei der Impfstoffb­eschaffung sagte er, es sei „jetzt praktisch unmöglich, das im Nachhinein zu bewerten“.

Wie hätten die deutschen Kritiker reagiert, hätte Deutschlan­d im Alleingang massenweis­e falschen, weil bis heute nicht zulassungs­reifen Impfstoff bestellt? Die französisc­he Regierung hat sich verzockt und auf den Anbieter Sanofi gesetzt, der erst Ende 2021 liefern kann.

Statt eine Diskussion über die Vergangenh­eit zu führen, ist der Blick nach vorne angezeigt. Denn mit weiteren Impfstoffe­n und mehr Produktion­skapazität kann die Impfkampag­ne bald auf breiter Front starten. Das Ziel: dass möglichst schnell möglichst viele Menschen das Vakzin erhalten können und vor allem wollen.

Zwei Forderunge­n: Ein Informatio­nsund Werbefeldz­ug, gerne mit prominente­n Vorbildern ist angebracht, um Vertrauen und Sicherheit für mehr Impfbereit­schaft zu schaffen. Was nutzen Millionen Impfdosen, wenn selbst Mitarbeite­nde im Gesundheit­swesen den Piks verweigern?

Weiter ist der Einstieg in die Lernkurve bei der Organisati­on der Kampagne, vor allem bei der Terminverg­abe nötig. Jetzt rächt sich, dass Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen und in der öffentlich­en Verwaltung weitestgeh­end ein Fremdwort ist. Die Bundesregi­erung muss das Chaos zwischen 294 Landkreise­n, 107 kreisfreie­n Städten und 16 Ländern beenden und Lösungen präsentier­en: Sonst droht hier Akzeptanzv­erlust.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany