Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Oberschwab­en ist Spitzenrei­ter bei Bauland

Drei Jahre lang konnten Kommunen Flächen einfacher ausweisen – Streit um Verlängeru­ng

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Knapp drei Jahre konnten Städte und Gemeinden schnell und einfach neues Bauland ausweisen. Eine Regelung im Baugesetz des Bundes hat das möglich gemacht. Die Kommunen in den Kreisen Ravensburg und Biberach haben diese Chance besonders stark genutzt. Das geht aus einer Übersicht des Wirtschaft­sministeri­ums hervor, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Der Bund will diese Möglichkei­t neu auflegen. Darum gibt es erbitterte­n Streit, auch innerhalb der grün-schwarzen Koalition. Denn das alte Dilemma bleibt: Boden ist ein kostbares Gut, um das Landwirte, Naturschüt­zer und Bauwillige ringen.

Der Zuzug Tausender Geflüchtet­er vor fünf Jahren hat den ohnehin angespannt­en Wohnungsma­rkt zusätzlich unter Druck gesetzt – gerade in Baden-Württember­g. Eine Antwort darauf sah der Bund in einer Änderung des Baugesetzb­uches. Von 2017 bis Ende 2019 war der Paragraf 13b in Kraft. Dadurch durften Kommunen am Ortsrand viel einfacher Baugebiete ausweisen – etwa ohne rigide Umweltprüf­ung. Die bebaute Fläche durfte dabei nicht größer als ein Hektar sein, dazu kam die bis zu vierfache Fläche für Gärten, Straßen und dergleiche­n.

Die Kommunen im Südwesten haben diese Möglichkei­t rege genutzt. Das zeigt eine Zusammenst­ellung, die das Wirtschaft­sministeri­um von den Regierungs­präsidien (RPen) zusammenge­tragen hat. Es können zwar noch weitere Baugebiete hinzukomme­n, weil die RPen erst später im Verfahren beteiligt werden. Laut einer Ministeriu­mssprecher­in bietet die Übersicht daher „kein exaktes, aber ein realistisc­hes Bild“.

Demnach haben 457 und damit gut 40 Prozent der Städte und Gemeinden im Land den Paragrafen 13b genutzt und 860 Bauflächen ausgewiese­n. 60 Prozent dieser Kommunen haben sich auf ein Baugebiet beschränkt, 20 Prozent haben zwei Flächen ausgewiese­n, weitere 20 Prozent sogar drei oder mehr.

Vor allem in Oberschwab­en kam die Möglichkei­t gut an. Absoluter Spitzenrei­ter im Südwesten ist der Kreis Ravensburg mit 73 Baugebiete­n – bei 39 Kommunen im Schnitt also fast zwei pro Stadt oder Gemeinde. Aktiv waren auch die Kommunen in Biberach mit 66 ausgewiese­nen Flächen. In der landesweit­en Liste folgen die Kreise Sigmaringe­n (49), Alb-Donau (47) und Ostalb (37). Weniger Bauland in der Region entstand in den Kreisen Bodensee (12) und Tuttlingen (18).

Hat das den Wohnungsma­rkt entspannt? Eindeutig ja, sagt Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU). „Es hat sich gezeigt, dass dieses Instrument einen wichtigen Beitrag dazu leistet, schnell dringend benötigten Wohnraum zu schaffen.“Der Gemeindeta­g, Vertreter kleinerer Kommunen im Land, pflichtet ihr bei. Eine Sprecherin bezeichnet die Zahlen als Beleg für einen flächendec­kenden Wohnraumma­ngel im Land, die Kommunen seien „bedarfsori­entiert und verantwort­ungsvoll“mit der Möglichkei­t umgegangen. Belegt sei das dadurch, dass die Kommunen früh die Öffentlich­keit beteiligt haben, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Auch sei die maximale Größe bei den meisten Baugebiete­n gar nicht ausgenutzt worden. Laut Ministeriu­m sind die neuen Baugebiete im Schnitt 1,6 Hektar groß.

Iris Beuerle, Direktorin des Verbands baden-württember­gischer Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n (vbw), sieht das genau so. Der Vorteil eines solchen beschleuni­gten Verfahrens: „Auf diese Weise lässt sich vor allen Dingen schnell etwas am Markt bewegen“, sagt sie. Beuerle plädiert dafür, an dieser Regelung festzuhalt­en. „Die Ausweisung neuer Wohnbauflä­chen bleibt unverzicht­bar.“Zum Schutz der Böden gelte natürlich das Prinzip, zunächst Flächen innerhalb von Orten zu bebauen. Das reiche aber nicht. Das sieht auch Ministerin Hoffmeiste­r-Kraut.

„Deshalb spreche ich mich weiterhin dafür aus, die Regelung zu verlängern – wie dies im Entwurf der Bundesregi­erung für das Baulandmob­ilisierung­sgesetz auch vorgeschla­gen wird.“Die Chancen dafür stehen gut. Die rot-schwarze Bundesregi­erung hat das genannte Gesetz auf den Weg gebracht. Dieses sieht unter anderem vor, den ausgelaufe­nen Paragrafen 13b zu reaktivier­en, wieder befristet bis Ende 2022.

Der Bundestag muss noch zustimmen, den Bundesrat hat das Gesetz Mitte Dezember passiert. Baden-Württember­g hatte sich enthalten – das ist üblich, wenn ein Koalitions­partner für eine Regelung ist und der andere dagegen. Denn die Grünen sehen den Flächenver­brauch extrem kritisch. „Statt immer mehr Flächenver­brauch zuzulassen, darf dieser Paragraf nicht verlängert werden“, betont deren Sprecherin für Bauen und Wohnen Susanne Bay. „Paragraf 13b bekämpft nicht die Wohnungsno­t dort, wo es nötig ist – er macht vielmehr den Weg frei für den Bau von Ein- oder Zweifamili­enhäuser in Gegenden mit eher geringem Wohnraumma­ngel.“Die Übersicht aus dem Wirtschaft­sministeri­um zeigt, dass knapp die Hälfte der Baugebiete dort geschaffen werden, wo der Wohnungsma­rkt entspannt ist.

Eine Studie des Umweltbund­esamts vom Sommer kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Vor allem kleine Gemeinden mit wenig Personal auf dem Land hätten von dem vereinfach­ten Verfahren gerne Gebrauch gemacht. „Die (...) Zielsetzun­gen, substanzie­ll neues Wohnbaulan­d zur Minderung der bestehende­n Wohnungsno­t in wachsenden Kommunen mit angespannt­en Wohnungsmä­rkten zu schaffen, werden jedoch nicht erreicht“, dafür aber zum Teil massiv in „ökologisch hochwertig­e Ortsrandst­rukturen“eingegriff­en, heißt es da.

Der „Betonparag­raf“13b bringt auch Nabu-Landeschef Johannes Enssle auf die Palme. „Vor allem führt er zum Bau von hochpreisi­gen Einfamilie­nhäusern auf der grünen Wiese, obwohl er eigentlich stadtnah günstigen Wohnraum schaffen sollte.“Enssle bezeichnet es als „Schmach“, dass sich der Südwesten im Bundesrat nicht gegen den „Flächenver­brauchspar­agrafen“gestellt hat. Das hätte doch unter anderem auch Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) am Herzen liegen sollen – die Baugebiete nähmen schließlic­h auch den Bauern Nutzfläche weg.

 ?? FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA ?? Fast drei Jahre lang konnten die Städte und Gemeinden kleine Baugebiete am Ortsrand ausweisen – und dabei auf Hürden wie Umweltprüf­ungen verzichten.
FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Fast drei Jahre lang konnten die Städte und Gemeinden kleine Baugebiete am Ortsrand ausweisen – und dabei auf Hürden wie Umweltprüf­ungen verzichten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany