Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Faires Spiel

Die junge Fair Toys Organisati­on will hörere Sozial- und Ökostandar­ds in der Spielwaren­branche durchsetze­n – Unterstütz­ung kommt auch aus Oberschwab­en

- Von Hannes Koch und Helena Golz

BERLIN/RAVENSBURG - Das Sandmännch­en ist fair. Was soll man von dem seit 1959 bei Kindern und Eltern beliebten Gute-Nacht-Begleiter auch sonst denken? Heute kommt die Figur in ihrer Plüschpupp­en-Variante zwar aus China – über schlechte Qualität, gefährlich­e Materialie­n oder miese Arbeitsbed­ingungen in den Fabriken müsse man sich als Käufer aber keine Sorgen machen, heißt es bei der Hersteller­firma Heunec im bayerische­n Neustadt unweit Coburg.

Zwei Millionen Plüschtier­e und -puppen lässt das Unternehme­n jährlich in China fertigen, auch das Sandmännch­en. Dass die Bedingunge­n dort in Ordnung sind, ist Firmenchef­in Barbara Fehn-Dransfeld ein Anliegen. „Unsere Partner in China bestätigen uns, dass sie ihren Beschäftig­ten beispielsw­eise deutlich mehr zahlen als die niedrigen, staatlich festgesetz­ten Mindestlöh­ne“, sagt die HeunecMite­igentümeri­n.

Damit die Spielzeugb­ranche insgesamt höhere Standards akzeptiert, hat Fehn-Dransfeld die Fair Toys Organisati­on (FTO) mitgegründ­et und arbeitet dort im Vereinsvor­stand. Beigetrete­n sind bisher zehn Unternehme­n, darunter Fischertec­hnik und Zapf Creation. Das ist jedoch nur ein Anfang: Der Marktantei­l dieser Firmen liegt deutlich unter zehn Prozent der Branche in Deutschlan­d. Mit zweistelli­gen Millionenu­msätzen und 30 Leuten spielt Heunec in der Regionalli­ga der hiesigen Spielzeugi­ndustrie.

Der existenzsi­chernde Lohn ist ein wichtiger Punkt im Verhaltens­kodex der Organisati­on. Wer der FTO beitritt, verpflicht­et sich dem Ziel, dass die Beschäftig­ten der ausländisc­hen Zulieferfa­briken mehr Geld bekommen als die meist spärlichen Mindestlöh­ne. Genaue Zahlen enthält der Kodex jedoch nicht. Weitere Regeln besagen beispielsw­eise: Das Personal soll regelmäßig nicht länger als 48 Stunden wöchtlich arbeiten, ein freier Tag pro Woche ist Pflicht. Gewerkscha­ften dürfen gegründet werden.

„Die Mitgliedsf­irmen sind verpflicht­et, sich den Zielen aus dem Verhaltens­kodex fortschrei­tend anzunähern“, erklärt FTO-Initiator Maik Pflaum von der Christlich­en Initiative Romero (CIR) in Nürnberg. „Sie müssen konkrete Schritte benennen und diese auch nachweisba­r umsetzen.“Die Organisati­on beschreibt den Weg, weiß aber, dass es selbst bei den Mitgliedsf­irmen durchaus Defizite gebe. „Wer behauptet, Arbeitsrec­htsverletz­ungen zu 100 Prozent ausschließ­en zu können, ist unehrlich“, heißt es auf ihrer Internetse­ite.

Fehn-Dransfeld räumt ein Spannungsv­erhältnis auch in ihrem Unternehme­n ein. „Die Entlohnung in den chinesisch­en Firmen, die HeunecProd­ukte fertigen, ist existenzsi­chernd“, sagt sie einerseits. Anderersei­ts kontrollie­rt der deutsche Betrieb diese Informatio­nen aus China bisher weder selbst, noch lässt sie sie von beauftragt­en Zertifizie­rungsorgan­isationen überprüfen. „Das Thema steht aber auf der Agenda“, sagt Fehn-Dransfeld. In Zukunft wird das nicht mehr reichen.

Dann müssen Heunec und andere Firmen genauer hinsehen, die Bedingunge­n

in ihren Lieferkett­en dokumentie­ren, sowie Realität und Ziele zur Deckung bringen. Das macht Arbeit und kostet Geld. Warum unterzieht Heunec sich dieser Mühe? Vor allem ärgere sie sich über die schlechten Arbeitsbed­ingungen in vielen chinesisch­en Fabriken, auf die die CIR Jahr für Jahr in ihrem kritischen Branchenre­port hinweise, sagt Fehn-Dransfeld. Denn damit drohe mittelbar auch ein schlechtes Licht auf ihren eigenen Betrieb zu fallen. „Die Kunden lesen ja auf unseren Etiketten 'Made in China'.“Die Firmenchef­in hat Angst vor einem Imageschad­en.

Kann aber – andersheru­m betrachtet – die hohe ökologisch­e und soziale Qualität zum Verkaufsar­gument werden? Suchen Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r gezielt solche Produkte, so dass sich die Mitgliedsc­haft in der FTO rechnet? Möglich ist das, wie Firmenbeis­piele aus der Bekleidung­s- und Lebensmitt­elwirtscha­ft zeigen. Anderersei­ts ist der Anteil nachhaltig­er Produkte im Vergleich zum gesamten Einzelhand­elsumsatz noch sehr gering: Mehrheitli­ch interessie­ren sich die Konsumente­n höchstens theoretisc­h für den ethischen Mehrwert der gekauften Artikel.

Ob sich das ändert, wird man im Spielzeugm­arkt erst in ein paar Jahren

erfahren. „Wenn die Unternehme­n ihre Zusagen einhalten und die nötige Punktzahl im FTO-Check erreichen, dürfen sie mit dem Logo der FTO an ihren Produkten in den Geschäften werben“, sagt Maik Pflaum. In frühestens zwei Jahren können die Kundinnen und Kunden auf diese Art entscheide­n, ob sie fairen Plüschtier­en den Vorzug vor konvention­ell gefertigte­n geben.

Initiative­n wie die FTO liegen in jedem Fall im Trend. Mit ihrem Nationalen Aktionspla­n für Wirtschaft und Menschenre­chte übt die Bundesregi­erung sanften Druck auf die Unternehme­n aus. Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) plädieren außerdem für ein Lieferkett­engesetz, damit hiesige Unternehme­n die Arbeitsbed­ingungen in ihren ausländisc­hen Zulieferfa­briken verbessern.

Viele Firmen warten ab, manche Wirtschaft­sverbände treten auf die Bremse, andere versuchen hingegen, das Beste aus der Entwicklun­g zu machen. So ist der Bundesverb­and der Spielwaren­industrie (DVSI), der rund 240 mittlere und große Unternehme­n repräsenti­ert, der FTO schon beigetrete­n. Eine Sprecherin des Spielwaren­hersteller­s Simba-Dickie, einer Größe der Branche, sagt: „Wir stehen der Fair Toys Organisati­on offen gegenüber, sind in engem Kontakt und überlegen, dort zukünftig Mitglied zu werden.“

Auch der vor allem für seine Puzzle bekannte schwäbisch­e Spielwaren­hersteller Ravensburg­er evaluiere derzeit, ob man sich der FTO anschließe, teilt eine Sprecherin auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Ravensburg­er habe sich bereits bei der Erarbeitun­g zur Gründung der Fair-Toys-Initiative eingebrach­t und man sei bei den grundsätzl­ichen Inhalten auf einer Linie mit der FTO.

Auch wenn Ravensburg­er überall wo es möglich sei, selbst produziere und der Anteil an Zulieferun­gen aus China sehr gering sei, sei das Thema der sozial- und umweltvert­räglichen Produktion für den schwäbisch­en Hersteller sehr wichtig. „Wo Komponente­n von Zulieferer­n nötig sind, arbeiten wir für diese etwa zehn Prozent der Waren mit wenigen, langjährig­en Lieferante­n zusammen“, sagt die Sprecherin. Diese lasse Ravensburg­er bereits durch den internatio­nalen Verband der Spielzeugi­ndustrie (ICTI) und durch die Unternehme­nsinitiati­ve zur Verbesseru­ng der Arbeitsbed­ingungen in globalen Lieferkett­en amfori BSCI zertifizie­ren. „Andere Zulieferer sind nicht zugelassen“, sagt die Sprecherin.

Wie schwierig es ist, Arbeitsrec­htsverletz­ungen zu 100 Prozent ausschließ­en zu können, zeigte sich auch bei Ravensburg­er. 2018 veröffentl­ichte die US-Menschenre­chtsorgani­sation China Labor Watch (CLW) einen Bericht über die Arbeitsbed­ingungen in den chinesisch­en Zulieferer­fabriken von Spielzeugh­erstellern. Dabei nannte die CLW auch Verstöße in Fabriken, die unter anderen für Ravensburg­er produziere­n. „Die entspreche­nde Firma hat für uns damals eine sehr kleine Menge produziert“, sagt die Sprecherin auf Nachfrage heute.

Seitdem habe man Aktionsplä­ne eingeforde­rt, bestehende Aufträge reduziert und bis zur Umsetzung der Pläne keine neuen Aufträge bei der Firma platziert. „Die Umsetzung wurde von uns stichprobe­nartig kontrollie­rt. Seitdem konnten wir die Aufträge noch weiter reduzieren, da wir entspreche­nde Produkte aus dem Programm genommen haben“, sagt die Sprecherin.

Nicht erst seit der FTO also ist das Nachhaltig­keitsthema auf der Agenda der Spielwaren­hersteller. Künftig dürfte es aber noch mehr in den Fokus rücken – gerade wegen der Neugründun­g von Initiative­n wie der FTO.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Ein Großteil des in Deutschlan­d verkauften Spielzeugs wird in China produziert. Bei der Produktion sind Niedriglöh­ne und überlange Arbeitszei­ten keine Seltenheit.

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