Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Werk der Superlativ­e

„Deutsches Wörterbuch“der Gebrüder Grimm wurde vor 60 Jahren vollendet

- Von Silke Uertz

BONN (KNA) - 67 744 Textspalte­n, etwa 320 000 Stichwörte­r und 84 Kilogramm schwer: Das „Deutsche Wörterbuch“(DWB) der Gebrüder Grimm besitzt märchenhaf­te Ausmaße. Es ist ein Monumental­werk der deutschen Sprache, ein Unikat, das es bis ins Guinnessbu­ch der Rekorde geschafft hat. Der, vom Quellenban­d abgesehen, 32. und letzte Teilband des Riesenwerk­s – es geht um „Zobel – Zypressenz­weig“– erschien am 4. Januar vor 60 Jahren.

Begonnen hatten die Philologen­brüder und Märchensam­mler Jacob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) bereits 1838 mit dem Wörterbuch. Nach einem Protest gegen die Obrigkeit bei den „Göttinger Sieben“verloren sie ihre Stellen als Professore­n. In Kassel erhielt Jacob ein Angebot des Leipziger Verlegers Salomon Hirzel zur Erstellung eines Wörterbuch­s. Er schlug ein, war es doch angesichts der sprichwört­lichen Kleinstaat­erei auch ein politische­s Unterfange­n, ein „Deutsches Wörterbuch“zu verfassen.

Eine Mammutaufg­abe, die sie zu ihren Lebzeiten nicht bewältigen konnten. Das Werk, das ursprüngli­ch auf bis zu sieben Bänden und zehn Jahre angelegt war, wuchs und wuchs. Die Grimms, mittlerwei­le in Berlin ansässig, wurden von mehr als 80 Mitarbeite­rn unterstütz­t, die ihnen mehr als 600 000 Belege brachten. 1854 erschien der erste Band, doch fünf Jahre später segnete Wilhelm das Zeitliche, als er die Einträge zum Buchstaben D verfasste. Sein Bruder, der A, B, C und E abschließe­n konnte, starb am 20. September 1863 nach der Fertigstel­lung des Artikels über „Froteufel“, übrigens eine Art Dämon.

Generation­en von Sprachwiss­enschaftle­rn begaben sich anschließe­nd daran, das Prestigepr­ojekt fortzuführ­en. Von der Zeit Bismarcks an kümmerte sich die Preußische Akademie der Wissenscha­ften um die Umsetzung des Wörterbuch­s, während des Kalten Kriegs sogar in Ostund Westdeutsc­hland. Bis dann endlich am 4. Januar 1961 der letzte Band erschien. Währenddes­sen saßen Forscher bereits an der Neubearbei­tung, die 2016 abgeschlos­sen wurde.

„Der Grimm“oder das Grimmsche Wörterbuch ist nicht bloß eine Auflistung von Wörtern, sondern weist eine Reihe Besonderhe­iten auf: Im Gegensatz zu ihren Vorgängern wollten die Brüder den gesamten Wortschatz des Neuhochdeu­tschen aufnehmen, inklusive Schimpfwör­tern wie „Donnerhage­lsaas“, „Säckelfege­r“oder „Rotzposaun­e“. Sie beschriebe­n auch Herkunft, Bedeutung und Belegstell­en eines Wortes und interessie­rten sich neben Mundartvar­ianten auch für Prä- und Suffixe, also „ent-“oder „-heit“. Durch ihr sprachpfle­gerisches Vorgehen zeigten die Brüder anschaulic­h den stetigen Wandel der Sprache.

Verglichen mit dem „Oxford English Dictionary“ist das DWB weniger schematisc­h, und im Verhältnis zum Duden zeigt sich die historisch­e Ausrichtun­g des Werks unter anderem in der geringen Aufnahme von Fremdwörte­rn. Dennoch bildet es eine unerschöpf­liche Quelle der Zeitund Literaturb­etrachtung. So wundert es nicht, dass das Standardwe­rk für Germaniste­n in vielfältig­en Erscheinun­gsformen existiert: Seit 1984 gibt es die Taschenbuc­hausgabe und seit 2003 die CD-ROM.

Online ist das Wörterbuch heute als Datenbank mit vielfältig­en Suchfunkti­onen einsehbar – als Projekt des Kompetenzz­entrums für elektronis­che Erschließu­ngs- und Publikatio­nsverfahre­n in den Geisteswis­senschafte­n an der Universitä­t Trier in Verbindung mit der Berlin-Brandenbur­gischen Akademie der Wissenscha­ften Berlin und dem Hirzel Verlag Stuttgart.

Das Monumental­werk wird aber nicht nur wissenscha­ftlich rezipiert, sondern auch künstleris­ch. Für die documenta 11 im Jahr 2002 in Kassel konzipiert­e der Künstler Ecke Bonk eine Installati­on zum DWB. Der Schriftste­ller Günter Grass schrieb in dem Buch „Grimms Wörter“eine „Liebeserkl­ärung“, so der Untertitel, an die deutsche Sprache und erzählte das Leben der Grimms, das er mit seinem verglich. Aber auch im Alltag taucht das Wörterbuch auf – zumindest früher in manchen Geldbeutel­n: als 1000-Mark-Schein, dessen Vorderseit­e die Grimms zierten und dessen Rückseite an ihr Wörter-Wunderwerk erinnerte.

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FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA Es wuchs und wuchs und wuchs: Das Grimmsche Wörterbuch ist mit 32 Bänden (1854-1961) ein Monumental­werk der deutschen Sprache.

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