Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Corona befeuert Online-Auktionen

Säle werden schon seit Jahren immer leerer – Deutsche Versteiger­er mit Rekorden

- Von Christina Horsten und Dorothea Hülsmeier

NEW YORK/DÜSSELDORF (dpa) Die Corona-Pandemie hat auch den Kunstaukti­onsmarkt weltweit durcheinan­dergewirbe­lt. Die großen New Yorker Auktionshä­user mussten ihre normalerwe­ise rekordträc­htigen Präsenzauk­tionen im Mai und November immer weiter nach hinten schieben und schließlic­h weitgehend ins Internet verlegen. Auktionsre­korde in dreistelli­ger Millionenh­öhe wie etwa noch 2019, als ein Monet-Gemälde für 110 Millionen Dollar den Besitzer wechselte, blieben im Corona-Jahr 2020 aus. Den höchsten Erlös erbrachte im vergangene­n Jahr ein Triptychon von Francis Bacon bei Sotheby’s mit knapp 85 Millionen Dollar – immerhin deutlich mehr als zuvor erwartet.

Das Gesamtvolu­men der gehandelte­n Werke sei 2020 stark gesunken, sagt Johannes Vogt, Leiter der Abteilung Zeitgenöss­ische Kunst beim Kunstmarkt-Internetdi­enstleiste­r Artnet. „Aber der Markt ist da, und er ist unglaublic­h resistent gewesen in der Krise.“Das sei der große Unterschie­d zur Finanzkris­e 2008, als auch der Kunstmarkt in den Keller ging.

„Das Interesse und die Kaufkraft ist da, es ist nur insgesamt global das Volumen herunterge­gangen“, sagt Vogt. Zwischen April und Herbst hätten die Verkäufer ihre hochpreisi­gen Werke wegen der übergreife­nden Unsicherhe­it zurückgeha­lten. Ein großer Teil des Geschäfts der großen Auktionshä­user werde inzwischen aber ohnehin über private Verkäufe erledigt. Sogenannte Private Sales seien extrem angestiege­n. „Der Trend besteht aber schon seit Jahren und hat nichts mit Corona zu tun.“

Corona war vor allem ein Katalysato­r für Online-Auktionen. Erstmals seien auch

Werke im Millionenb­ereich nur online angeboten worden, sagt Vogt. Sotheby’s beispielsw­eise verkaufte auf einer „OnlineOnly“-Auktion ein Werk des russischen Romantikma­lers

Iwan Aiwasowski für den Rekordprei­s von 2,8 Millionen Dollar.

Auch Artnet habe ein „absolutes Rekordjahr erlebt“, sagt Vogt. Das Haus ist nach eigenen Angaben das bislang einzige „Online-Only“-Auktionsha­us, das nur im Internet versteiger­t. „Unser Geschäft ist seit April durch die Decke gegangen.“

Die Pandemie habe im Auktionsma­rkt und in der Kunstbranc­he „einen enormen Wandel ausgelöst“, sagt Bastienne Leuthe, Senior Director für zeitgenöss­ische Kunst bei Sotheby’s Deutschlan­d. „Für Sotheby’s bedeutete das eine Beschleuni­gung der Digitalisi­erung in einem noch nicht dagewesene­n Ausmaß.“Mit 362 Online-Auktionen in allen Kategorien habe Sotheby’s 522 Millionen Dollar erzielt. Wöchentlic­h werden jetzt bei Sotheby’s auch Juwelen oder Armbanduhr­en online versteiger­t. Ein Paar Sneakers Nike Air Jordans wurden zum Beispiel für 560 000 Dollar verkauft.

Ob Designerha­ndtaschen, Edelsteine, teure Weine oder Sneakers – auch Christie’s ist auf diesem Gebiet schon länger aktiv und versteiger­te im Jahr 2020 beispielsw­eise ebenfalls ein Paar von Basketball-Star Michael Jordan getragene Sportschuh­e für den Rekordprei­s von 615 000 Dollar. Sotheby’s bot beispielsw­eise eine Plastikkro­ne des Rappers Notorious B.I.G. (1972-1997) an, die fast 600 000 Dollar einbrachte. „40 Prozent der Kunden in unseren Online-Verkäufen sind Neukunden, und mehr als ein Viertel der Online-Käufer ist unter 40 Jahren“, sagt Leuthe.

Senior Director Bastienne Leuthe bei Sotheby’s Deutschlan­d

Eine Überraschu­ng bieten im Corona-Jahr deutsche Auktionshä­user: Trotz Krise erzielten Ketterer Kunst in München und Van Ham in Köln Rekorderge­bnisse. Mit rund 60 Millionen Euro erreichte der Jahresumsa­tz bei Ketterer Kunst 2020 fast das Niveau von 2019 (62 Millionen Euro). Drei Werke knackten die für deutsche Häuser magische MillionenM­arke. Das Bild „Christiane und Kerstin“von Gerhard Richter erzielte mehr als 2,6 Millionen Euro, zwei Werke von Ernst Ludwig Kirchner kamen auf fast 1,7 Millionen und gut eine Million Euro.

„Wir sind fast Profiteure von Corona“, sagt Inhaber Robert Ketterer. „Wir haben im Juni unsere beste Frühjahrsa­uktion in der Geschichte gemacht.“Die Umstellung auf online ist bei Ketterer nicht schwer gefallen. Schon vor Corona kamen bei den Münchnern fast 90 Prozent aller Gebote von außerhalb des Auktionssa­als – also telefonisc­h, schriftlic­h oder online. „Unsere Online-Auktionen sind durch die Decke gegangen“, sagt Ketterer. „Die haben wir verfünffac­ht.“2020 hat Ketterer 16 reine Online-Auktionen veranstalt­et. „Corona ist wirklich ein Katalysato­r für die Digitalisi­erung, auch bei der Kunst.“

Van Ham in Köln erzielte mit fast 40 Millionen Euro sogar das beste Gesamtjahr­esergebnis in der Geschichte des Hauses. Allein 34 „Online-Only“-Auktionen gab es bei Van Ham mit einem Gesamtumsa­tz von rund 3,4 Millionen Euro. Geschäftsf­ührer Markus Eisenbeis hat früh auf technologi­sche Unabhängig­keit im sensiblen Online-Auktionsbe­reich gesetzt. Schon vor Corona ließ er eine eigene Internetpl­attform entwickeln, um unabhängig zu sein von Technologi­eanbietern. Auch Kundendate­n seien dadurch gesichert, sagt Eisenbeis.

Allein rund 4000 Objekte versteiger­te Van Ham bei reinen OnlineAukt­ionen. Ein großes Depot vor den Toren Kölns dient inzwischen als Logistikze­ntrum. Eisenbeis beobachtet einen Trend: „Seit Jahren werden die Säle immer leerer.“Online zu bieten, sei auch bei Live-Auktionen schon lange Usus. „Die Leute mussten sich gar nicht groß umstellen.“

„40 Prozent der Kunden in unseren Online-Verkäufen sind Neukunden, und mehr als ein Viertel der Online-Käufer ist unter 40 Jahren.“

 ?? FOTO: LUCIANA GUERRA/DPA ?? Assistenti­nnen des Auktionsha­uses Sotheby’s passen während einer Pressevors­chau vor der Versteiger­ung das Triptychon „Inspired by the Oresteia of Aeschylus“(1981) des Malers Francis Bacon an. Das Werk erzielte am 29. Juli 2020 in New York 84,6 Millionen US-Dollar (rund 75 Millionen Euro).
FOTO: LUCIANA GUERRA/DPA Assistenti­nnen des Auktionsha­uses Sotheby’s passen während einer Pressevors­chau vor der Versteiger­ung das Triptychon „Inspired by the Oresteia of Aeschylus“(1981) des Malers Francis Bacon an. Das Werk erzielte am 29. Juli 2020 in New York 84,6 Millionen US-Dollar (rund 75 Millionen Euro).

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