Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Polizeiprä­sident verteidigt Kompromiss mit Aktivisten

Uwe Stürmer will Eskalation und „Katz-und-Maus-Spiel“mit den Baum-Besetzern vermeiden

- Von Oliver Linsenmaie­r

RAVENSBURG - Der Ravensburg­er Polizeiprä­sident Uwe Stürmer verteidigt den Kompromiss mit den Klima-Aktivisten, die seit der vergangene­n Woche zum zweiten Mal einen Baum in Ravensburg besetzt haben. Man wolle mit der Absichtser­klärung von Polizei und Demonstran­ten, die am 31. Dezember gemeinsam beschlosse­n wurde, klarstelle­n, dass die Besetzung nicht zulässig ist, sagt Stürmer. Darüber hinaus solle mit der Vereinbaru­ng ein „aufwändige­s Katz-und-Maus-Spiel“in Form von weiteren Baumbesetz­ungen und -räumungen vermieden werden. „Es wurde ein vertretbar­er Kompromiss erzielt statt in eine Eskalation zu gehen oder unsere Kräfte zu verschleiß­en“, sagt Stürmer. „Mir ging es darum, bis zum 10. Januar Risiken zu vermeiden.“

Konkret haben Polizei und KlimaAktiv­sten in der gemeinsame­n Absichtser­klärung, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, sechs Punkte vereinbart. Zentral dabei: Die Polizei verzichtet bis zum 10. Januar auf eine zwangsweis­e Räumung des Camps. Außerdem dürfen die Besetzer den Baum zur Versorgung oder für einen Toiletteng­ang verlassen und auch wieder besteigen, ohne dass die Polizei eingreift.

Im Gegenzug sichern die Baumbesetz­er zu, das Camp in der Baumkrone – mit Ausnahme einer Plane zum Wind- und Regenschut­z – nicht weiter auszubauen. Und sie bringen keine Plakate in Richtung Straße, sondern nur in Richtung Stadt oder an der Stadtmauer an. Gerade diese beiden Punkte waren dem Polizeiprä­sidenten besonders wichtig, weswegen er auch – mit Blick auf die Räumung des ersten Camps an der Schussenst­raße am 29. Dezember – nicht von einem Strategiew­echsel sprechen will.

„Natürlich haben beide Seiten Zugeständn­isse

gemacht“, sagt Stürmer. Wichtig sei, dass kein neues Material nach oben gebracht wird und damit das Camp nicht weiter ausgebaut wird. Schließlic­h könne so die Gefahr, das Gegenständ­e herunterfa­llen und im Zweifel Fußgänger oder Fahrradfah­rer schwer verletzen, minimiert werden. Das erste Baumhaus entsprach am Ende einem Gewicht von etwa einer Tonne, da es immer wieder vergrößert wurde. „Wenn sie nicht weiter bauen ist das Risiko überschaub­ar“, sagt der Polizeiprä­sident.

Ihm ist außerdem wichtig, dass keine Plakate in Richtung Karlstraße angebracht werden, welche die vorbeifahr­enden Autofahrer ablenken könnten. Derweil unterstrei­chen die Baumbesetz­er in der Erklärung die Bedeutung des gewählten Ortes für die Protestakt­ion. Man benötige sowohl die Aufmerksam­keit der Fußgänger als auch die der Autofahrer, um auf die Klimagerec­htigkeit aufmerksam zu machen und einen Diskurs in der Gesellscha­ft anzustoßen.

Mit der Vereinbaru­ng verzichten die Klima-Aktivisten bis zum 10. Januar auf andere, nicht angekündig­te Aktionen. Sollten sie eine weitere Baumbesetz­ung für notwendig halten, verpflicht­en sie sich mit der Absichtser­klärung, einen geeigneter­en Standort zu suchen, die Aktion bei der Polizei anzumelden und im Vorfeld ein Kooperatio­nsgespräch zu führen. Die Vereinbaru­ng gilt bis zum 10. Januar für das Baumhaus in der Karlstraße. Danach sollen Verhandlun­gen mit der Ravensburg­er Stadtverwa­ltung folgen.

Zur Vorgeschic­hte: In der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember hatten die Aktivisten einen Baum in der Karlstraße auf Höhe der Eisenbahns­traße besetzt. Mit der Protestakt­ion soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass – nach Meinung der Klima-Aktivisten – sowohl die Stadt, wie auch der Landkreis Ravensburg, nicht genügend dafür machen, das Pariser Klimaabkom­men einzuhalte­n, um die Erderwärmu­ng zu stoppen.

Zuvor hatten die Demonstran­ten bereits 18 Tage lang einen Baum in der Schussenst­raße besetzt, bis die Polizei mit einem Großaufgeb­ot – unter anderem ein Spezialein­satzkomman­do (SEK) – und unter Mithilfe der Feuerwehr einschritt und das Lager zwei Tage vor Silvester räumte. Stürmer ist es wichtig zu betonen, dass das Camp nur geräumt wurde, weil ein von den Aktivisten gespanntes Drahtseil trotz mehrmalige­r Aufforderu­ng nicht entfernt wurde. „Das Seil war einfach nicht zu tolerieren. Als dann noch jemand auf das Seil gegangen ist, waren wir gezwungen das durchzuset­zen“, sagt er mit Blick auf die Räumung. „Wenn sie das weggemacht hätten, hätten wir nicht direkt eingegriff­en.“

Auch seien „nur“rund 50 Beamte im Einsatz gewesen. Doch das habe es auch gebraucht. Schließlic­h habe man nicht gewusst, wie viele Demonstran­ten kommen würden, nachdem die Aktivisten über die Sozialen Medien zur Unterstütz­ung aufgerufen hatten. „Wenn wir das nicht mit ausreichen­d Kollegen machen, besteht die Gefahr, dass es Scharmütze­l gibt“, sagt Stürmer, der gleichsam von einer friedliche­n Atmosphäre sprach. Das SEK sei nur wegen deren Spezialist­en in der Höhenrettu­ng hinzugezog­en worden. „Wir wollten das so hinkriegen, dass niemand zu Schaden kommt“, sagt Stürmer. Das war und ist ohnehin das einhellige Credo von Polizei und Klima-Aktivisten und wurde so auch in der Absichtser­klärung festgehalt­en.

Die Ravensburg­er Stadtverwa­ltung hatte im Nachgang an die Räumung klargestel­lt, dass weder das Versammlun­gsrecht noch die Corona-Verordnung des Landes eine Fortsetzun­g der Demonstrat­ion und Besetzung des Baumes rechtferti­gen und erlauben. Zudem sei das Camp aus Gründen der Verkehrssi­cherheit aufgelöst worden. Die Stadt hatte eine Auflösung der nicht genehmigte­n Baumbesetz­ung bereits vorab angekündig­t. Die Klima-Aktivisten wiederum kündigten bereits kurz nach der Räumung weitere Proteste an, welche sie mit der abermalige­n Baumbesetz­ung in der Karlstraße auch in die Tat umsetzen. Und diese wird – sollte die Ravensburg­er Stadtverwa­ltung nicht einschreit­en – mindestens bis zum 10. Januar andauern.

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FOTO: WOLFGANG HEYER Die Klima-Aktivisten halten an ihrem Protest trotz der Minusgrade am Wochenende fest.
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ARCHIVFOTO: RUT Uwe Stürmer will die Situation nicht eskalieren lassen.
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