Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Polizeipräsident verteidigt Kompromiss mit Aktivisten
Uwe Stürmer will Eskalation und „Katz-und-Maus-Spiel“mit den Baum-Besetzern vermeiden
RAVENSBURG - Der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer verteidigt den Kompromiss mit den Klima-Aktivisten, die seit der vergangenen Woche zum zweiten Mal einen Baum in Ravensburg besetzt haben. Man wolle mit der Absichtserklärung von Polizei und Demonstranten, die am 31. Dezember gemeinsam beschlossen wurde, klarstellen, dass die Besetzung nicht zulässig ist, sagt Stürmer. Darüber hinaus solle mit der Vereinbarung ein „aufwändiges Katz-und-Maus-Spiel“in Form von weiteren Baumbesetzungen und -räumungen vermieden werden. „Es wurde ein vertretbarer Kompromiss erzielt statt in eine Eskalation zu gehen oder unsere Kräfte zu verschleißen“, sagt Stürmer. „Mir ging es darum, bis zum 10. Januar Risiken zu vermeiden.“
Konkret haben Polizei und KlimaAktivsten in der gemeinsamen Absichtserklärung, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, sechs Punkte vereinbart. Zentral dabei: Die Polizei verzichtet bis zum 10. Januar auf eine zwangsweise Räumung des Camps. Außerdem dürfen die Besetzer den Baum zur Versorgung oder für einen Toilettengang verlassen und auch wieder besteigen, ohne dass die Polizei eingreift.
Im Gegenzug sichern die Baumbesetzer zu, das Camp in der Baumkrone – mit Ausnahme einer Plane zum Wind- und Regenschutz – nicht weiter auszubauen. Und sie bringen keine Plakate in Richtung Straße, sondern nur in Richtung Stadt oder an der Stadtmauer an. Gerade diese beiden Punkte waren dem Polizeipräsidenten besonders wichtig, weswegen er auch – mit Blick auf die Räumung des ersten Camps an der Schussenstraße am 29. Dezember – nicht von einem Strategiewechsel sprechen will.
„Natürlich haben beide Seiten Zugeständnisse
gemacht“, sagt Stürmer. Wichtig sei, dass kein neues Material nach oben gebracht wird und damit das Camp nicht weiter ausgebaut wird. Schließlich könne so die Gefahr, das Gegenstände herunterfallen und im Zweifel Fußgänger oder Fahrradfahrer schwer verletzen, minimiert werden. Das erste Baumhaus entsprach am Ende einem Gewicht von etwa einer Tonne, da es immer wieder vergrößert wurde. „Wenn sie nicht weiter bauen ist das Risiko überschaubar“, sagt der Polizeipräsident.
Ihm ist außerdem wichtig, dass keine Plakate in Richtung Karlstraße angebracht werden, welche die vorbeifahrenden Autofahrer ablenken könnten. Derweil unterstreichen die Baumbesetzer in der Erklärung die Bedeutung des gewählten Ortes für die Protestaktion. Man benötige sowohl die Aufmerksamkeit der Fußgänger als auch die der Autofahrer, um auf die Klimagerechtigkeit aufmerksam zu machen und einen Diskurs in der Gesellschaft anzustoßen.
Mit der Vereinbarung verzichten die Klima-Aktivisten bis zum 10. Januar auf andere, nicht angekündigte Aktionen. Sollten sie eine weitere Baumbesetzung für notwendig halten, verpflichten sie sich mit der Absichtserklärung, einen geeigneteren Standort zu suchen, die Aktion bei der Polizei anzumelden und im Vorfeld ein Kooperationsgespräch zu führen. Die Vereinbarung gilt bis zum 10. Januar für das Baumhaus in der Karlstraße. Danach sollen Verhandlungen mit der Ravensburger Stadtverwaltung folgen.
Zur Vorgeschichte: In der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember hatten die Aktivisten einen Baum in der Karlstraße auf Höhe der Eisenbahnstraße besetzt. Mit der Protestaktion soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass – nach Meinung der Klima-Aktivisten – sowohl die Stadt, wie auch der Landkreis Ravensburg, nicht genügend dafür machen, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, um die Erderwärmung zu stoppen.
Zuvor hatten die Demonstranten bereits 18 Tage lang einen Baum in der Schussenstraße besetzt, bis die Polizei mit einem Großaufgebot – unter anderem ein Spezialeinsatzkommando (SEK) – und unter Mithilfe der Feuerwehr einschritt und das Lager zwei Tage vor Silvester räumte. Stürmer ist es wichtig zu betonen, dass das Camp nur geräumt wurde, weil ein von den Aktivisten gespanntes Drahtseil trotz mehrmaliger Aufforderung nicht entfernt wurde. „Das Seil war einfach nicht zu tolerieren. Als dann noch jemand auf das Seil gegangen ist, waren wir gezwungen das durchzusetzen“, sagt er mit Blick auf die Räumung. „Wenn sie das weggemacht hätten, hätten wir nicht direkt eingegriffen.“
Auch seien „nur“rund 50 Beamte im Einsatz gewesen. Doch das habe es auch gebraucht. Schließlich habe man nicht gewusst, wie viele Demonstranten kommen würden, nachdem die Aktivisten über die Sozialen Medien zur Unterstützung aufgerufen hatten. „Wenn wir das nicht mit ausreichend Kollegen machen, besteht die Gefahr, dass es Scharmützel gibt“, sagt Stürmer, der gleichsam von einer friedlichen Atmosphäre sprach. Das SEK sei nur wegen deren Spezialisten in der Höhenrettung hinzugezogen worden. „Wir wollten das so hinkriegen, dass niemand zu Schaden kommt“, sagt Stürmer. Das war und ist ohnehin das einhellige Credo von Polizei und Klima-Aktivisten und wurde so auch in der Absichtserklärung festgehalten.
Die Ravensburger Stadtverwaltung hatte im Nachgang an die Räumung klargestellt, dass weder das Versammlungsrecht noch die Corona-Verordnung des Landes eine Fortsetzung der Demonstration und Besetzung des Baumes rechtfertigen und erlauben. Zudem sei das Camp aus Gründen der Verkehrssicherheit aufgelöst worden. Die Stadt hatte eine Auflösung der nicht genehmigten Baumbesetzung bereits vorab angekündigt. Die Klima-Aktivisten wiederum kündigten bereits kurz nach der Räumung weitere Proteste an, welche sie mit der abermaligen Baumbesetzung in der Karlstraße auch in die Tat umsetzen. Und diese wird – sollte die Ravensburger Stadtverwaltung nicht einschreiten – mindestens bis zum 10. Januar andauern.