Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das Gas wird irgendwann abgeschaltet
Wie es mit dem Fernwärmenetz in Ravensburg weitergeht
RAVENSBURG - Die Resonanz ist sehr groß: 90 Prozent der Anlieger am Gespinstmarkt lassen sich an das Fernwärmenetz der Stadt Ravensburg anschließen, das die Technischen Werke Schussental (TWS) in der Innenstadt aufbauen. Lediglich zwei Hausbesitzer hätten sich dagegen entschieden, sagt der zuständige Projektleiter Thomas Booch. „Ursprünglich hatten wir auf eine Beteiligung von 50 Prozent gehofft.“Wie es mit dem Projekt jetzt weitergeht.
TWS-Geschäftsführer Andreas Thiel-Böhm reagiert etwas empfindlich auf den Einwand, dass den Hausbesitzern in den betroffenen Straßenzügen ja auch keine große Wahl bleibt. Denn die Gasversorgung in allen Gebieten mit Nahwärmeversorgung soll mittelfristig abgeschaltet werden. Der Zeitpunkt steht noch nicht fest. Also ein Anschlusszwang durch die Hintertür? „Wenn wir so viel Geld investieren, können wir ja nicht ewig teure Doppelstrukturen aufrecht erhalten“, erklärt der TWSChef. Zudem gebe es natürlich weitere Möglichkeiten, ergänzt er: eine Pellet-Heizung etwa oder Heizsysteme, die mit Strom betrieben werden, wie beispielsweise Infrarotheizungen.
Beide Alternativen seien jedoch entweder mit höheren Investitionskosten oder höheren Betriebskosten verbunden. Für den Anschluss ans Wärmenetz braucht es nur den Hausanschluss ans frisch verlegte Warmwasserrohr und einen Kasten, in dem die Technik steckt. Den neuen Anschluss subventionieren die TWS anfangs mit etwa 3700 Euro, sodass er mit allem Drum und Dran für den Hausbesitzer nur 4000 Euro kostet.
Voraussetzung ist ein bereits vorhandenes wassergebundenes Heizsystem, also eine bestehende Gas- oder Ölheizung. Denn das auf 90 Grad aufgeheizte Wasser wird durch dicke Leitungen mit bis zu 80 Zentimeter Durchmesser von den Anlagen, die die Wärme erzeugen, zu den Häusern geleitet. Dort fließt es dann durch die bestehenden Heizkörper oder die Fußbodenheizung. Der Wärmeverlust betrage höchstens 10 Grad, meint Booch. Die Nutzer am Ende der Leitungskette müssten also keine Angst haben, dass es im Winter nicht mollig warm bei ihnen wird.
Ein Vorteil: Die angeschlossenen Bürger sparen den Platz für Öltank oder Gasofen im Keller und brauchen künftig auch keinen Schornsteinfeger mehr. Sobald das System in Betrieb geht – frühestens zur Heizperiode im nächsten Herbst/Winter – zahlen sie dann ähnlich wie bei Strom einen Grund- und einen Verbrauchspreis. Da Wartungskosten wegfallen und laut Booch ein „Rundum-SorglosService“angeboten wird, sollen die Betriebskosten aber künftig über dem Gaspreis liegen, damit sich die umfangreichen Investitionen der TWS irgendwann amortisieren.
Ursprünglich war die Idee, nur die städtischen Gebäude in der Innenstadt
mit Nahwärme zu versorgen. Einige Anlagen zur Erzeugung derselben (etwa Blockheizkraftwerke) gibt es in Ravensburg nämlich schon, zum Beispiel an manchen Schulen oder am Hallenbad. Dann wurde die ursprüngliche Idee immer größer. „Bei einem Kaffee hatte Dirk Bastin (der Ravensburger Baubürgermeister, Anm. d. Red.) vor vier oder fünf Jahren den Gedanken, dass man das eigentlich größer aufziehen könnte“, erinnert sich Booch. In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von TWS und Stadt sei das Projekt dann geboren worden, ein Wärmenetz für alle Anlieger aufzubauen.
Um es umzusetzen, reichen die bestehenden kleineren Kraftwerke aber niemals aus. Deshalb soll auf dem Gelände der früheren Stadtgärtnerei hinter der Raueneggstraße eine große Anlage errichtet werden. Wie diese betrieben wird, steht noch nicht fest. Ein Gaskraftwerk wäre schnell umsetzbar, aber keine Dauerlösung, weil das Ziel ja eine CO2-neutrale Wärmeversorgung ist. Biomasse wäre mit einem aufwendigeren Genehmigungsverfahren verbunden, weil es vermutlich Protest in der Nachbarschaft geben könnte. „Das riecht man halt“, nennt Booch den Grund dafür. Thiel-Böhm schwebt eher Geothermie vor. Dafür müsste man allerdings bis zu 3000 Meter tief in die Erde bohren, was wieder zahlreiche zeitaufwendige Gutachten zur Statik voraussetzen würde, sodass der Energieträger Gas die wahrscheinlichste Lösung sei, zumindest am Anfang. Wenn das Parkhaus Rauenegg saniert wird, könnte man dort zudem Photovoltaikanlagen auf dem Dach installieren und in das System integrieren.
Ein Problem bei der Umsetzung des Projekts ist, dass man die jeweiligen Straßen zur Verlegung der Rohre aufreißen muss. Deshalb sollen jeweils ohnehin geplante Baustellen wie aktuell die am Gespinstmarkt genutzt werden. Dort sind die Erdarbeiten bereits abgeschlossen, die Rohre verlegt. Im nächsten Jahr wird im Zuge der Straßenbauarbeiten an der Wangener Straße (B32) eine Querleitung vom Parkhaus Rauenegg gelegt, wobei auch die Wärmeanlage an der Realschule integriert und das Konzerthaus angeschlossen wird. Eines Tages soll das Netz dann vom Parkhaus Rauenegg über den Marienplatz und die Seestraße bis zum Hallenbad führen, mit Verästelungen in die Unterstadt.
Aber der kommunale Energieversorger konzentriert sich nicht allein auf Ravensburg. Gemeinsam mit der EnBW haben die TWS auch eine eigene Gesellschaft gegründet, die „IQGesellschaft für integrierte Quartierslösungen mbH (IQ GmbH)“. Als erstes Projekt verwirklichen sie die Erzeugung von Nahwärme in einem Neubaugebiet in Schlier-Unterankenreute (die SZ berichtete). Interessant wäre laut Booch, neben Achim Lotter von der EnBW einer der beiden Geschäftsführer von IQ, auch die Fischerwiese in Baindt.