Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Statistik belegt Übersterbl­ichkeit

Vor allem unter Hochbetagt­en sind die Sterbefäll­e in der Corona-Pandemie gestiegen

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Führt Corona tatsächlic­h zu mehr Verstorben­en in Deutschlan­d? Neue Zahlen zeigen: Es trifft vor allem die Älteren. Um abzuschätz­en, wie tödlich eine Krankheit tatsächlic­h ist, wird die sogenannte Übersterbl­ichkeit herangezog­en. Man schaut, wie viele Menschen normalerwe­ise in den jeweiligen Monaten sterben würden. Und vergleicht dann, wie viel mehr es bei einem besonderen Krankheits­geschehen sind. So kam das Robert-Koch-Institut (RKI) für die schwere Grippesais­on 2017/18 in einer späteren Abschätzun­g etwa auf 25 000 Tote, obwohl es nur 1674 laborbestä­tigte Fälle gab.

Noch immer meinen manche, die Zahl der aktuell mehr als 37 600 registrier­ten Fälle von Menschen, die an oder mit Corona gestorben sind, zeige, dass Sars-Cov-2 kaum gefährlich­er als eine Influenza sei. Doch man sollte sich auf eine spätere Hochrechnu­ng des RKI einstellen, die letztlich noch viel höhere Corona-Todeszahle­n beinhalten dürfte.

Auch das gern angeführte Argument, die meisten Toten seien gar nicht an dem Virus, sondern an Vorerkrank­ungen gestorben, scheint wenig stichhalti­g. Jedenfalls sind sich Experten von gleich drei Pathologie­verbänden einig: Ein Großteil der obduzierte­n Covid-19-Patienten ist an den direkten Folgen von Corona gestorben. Begleiterk­rankungen spielten demnach eine eher untergeord­nete Rolle. Das Durchschni­ttsalter in der untersucht­en Kohorte lag demnach bei 70 Jahren, zwei Drittel der Patienten waren männlich.

Als häufige Begleiterk­rankungen identifizi­erten die Pathologen zwar Herz- und Lungenleid­en sowie Diabetes oder Adipositas. Allerdings: Ein Großteil der Toten wies massive Schäden an den Blutgefäße­n, ausgeprägt­e Thrombosen sowie eine Gefäßneubi­ldung auf. Aufgrund dieser spezifisch­en Befunde konnte Corona bei 82 Prozent der Obduzierte­n als wesentlich­e beziehungs­weise alleinige Todesursac­he festgestel­lt werden. Diese Patienten starben nicht mit, sondern an Covid-19, so das Fazit von Professor Johannes Friemann von der Universitä­t Köln am Standort Lüdenschei­d.

Ob man als an oder mit Corona Verstorben­er gilt, legen letztlich die Gesundheit­sämter fest. Das Vorgehen dabei erläutert das Statistisc­he Bundesamt. Die Behörde nutzt dazu ein Beispiel: einen Patienten, der an Lungenvers­agen gestorben ist. Dieses war auf eine Lungenentz­ündung zurückzufü­hren, die durch Covid-19 ausgelöst wurde. Damit ist der Patient an Corona gestorben. In Bayern sind nach Angaben des Landesamts für Gesundheit bislang 88 Prozent der Toten an Covid-19 gestorben und zwölf Prozent mit Covid-19.

Wie stark solche Corona-Todesfälle die Zahl der in Deutschlan­d Verstorben­en beeinfluss­t haben, zeigen Daten des Statistisc­hen Bundesamte­s für das Jahr 2020. Danach gab es von Ende März bis Anfang Mai „durchgehen­d und deutlich erhöhte Sterbefall­zahlen im Vergleich zum Durchschni­tt der Jahre 2016 bis 2019“. In der Woche vom 6. bis 12. April war die Abweichung mit 15 Prozent über dem vierjährig­en Durchschni­tt am größten. Auch die Zahl der Covid-19-Todesfälle, die beim RKI gemeldet werden, hatte in dieser Woche einen Höchststan­d erreicht. Im gesamten April lag die Zahl der Gestorbene­n zehn Prozent über dem Durchschni­tt der Vorjahre. Danach normalisie­rte sich das Geschehen – mit der Ausnahme Mitte August, wo wegen einer Hitzewelle die Sterbefall­zahlen

um 21 Prozent über dem Durchschni­tt lagen.

Während noch in der ersten Oktoberhäl­fte die Gesamtzahl der Sterbefäll­e im Bereich des Durchschni­tts der Vorjahre lag, nahm ab Mitte Oktober die Übersterbl­ichkeit spürbar zu – auf zunächst sieben Prozent. Für die letzte Novemberwo­che wurden jedoch bereits 14 Prozent mehr Sterbefäll­e als im Durchschni­tt der vier Vorjahre gemeldet. Für den gesamten November waren es elf Prozent mehr als gewöhnlich. Da die starke Zunahme der bundesweit registrier­ten Todesfälle aber erst im Dezember einsetzte, muss für den letzten Monat des Jahres 2020 mit einer deutlichen Übersterbl­ichkeit gerechnet werden. Zahlen dazu gibt es noch nicht. Von Januar bis Mitte November betrug die Übersterbl­ichkeit über alle Altersgrup­pen lediglich moderate zwei Prozent.

Wo aber nach den heute verfügbare­n Zahlen die Sterblichk­eit stark zugenommen hat, ist in den Altersgrup­pen 60 bis 79 Jahre und über 80 Jahre. Das hat das ifo Institut angesichts der Statistike­n errechnet. „Die hohe Übersterbl­ichkeit in der Definition des Statistisc­hen Bundesamte­s

in der zweiten Welle der CoronaPand­emie resultiert allein aus einer erhöhten Zahl an Todesfälle­n in der Altersgrup­pe 80+“, steht in der Analyse. Das sei deshalb besonders bemerkensw­ert, „weil in den Wochen zuvor selbst in dieser Altersgrup­pe nur eine geringfügi­g erhöhte Sterblichk­eit festzustel­len war“, so das ifo Institut. „Für die jüngeren Altersgrup­pen dagegen haben die staatliche­n Maßnahmen gut funktionie­rt. Ihre Sterblichk­eitsrate war bis in den November nicht höher als üblich“, sagt Joachim Ragnitz, stellvertr­etender Chef der ifo-Niederlass­ung Dresden.

Beispielsw­eise entfielen vom 7. bis 13. Dezember 69,4 Prozent der Corona-Toten auf die Altersgrup­pe 80 Jahre und mehr. Weitere 27,9 Prozent der Toten kamen aus der Gruppe der 60- bis 79-Jährigen. Von Beginn der Pandemie bis Mitte Dezember lag die Wahrschein­lichkeit, nach einer Corona-Ansteckung daran zu sterben, in der Gruppe der über 80Jährigen bei mehr als 21 Prozent; bei den 60- bis 79-Jährigen immerhin noch bei 5,3 Prozent. Womit erneut belegt ist: Tödlich ist Covid-19 vor allem für Hochbetagt­e.

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FOTO: SCHACKOW/DPA Führt Corona tatsächlic­h zu mehr Toten in Deutschlan­d? Neue Zahlen zeigen: Es trifft vor allem Ältere.
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FOTO: VENNENBERN­D/DPA Einer Umfrage zufolge holt Armin Laschet im Rennen um den CDU-Parteivors­itz auf.

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