Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Diese Szenen bereiten mir Sorge, auch für uns in Deutschland“
CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter über Trumps Verantwortung für den Sturm aufs Kapitol und die Stärke der US-Demokratie
STUTTGART - Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump haben am Mittwoch das Kapitol in der Hauptstadt Washington D.C. gestürmt. Es kam zu Schüssen und Toten. Der CDU-Außenpolitiker im Deutschen Bundestag Roderich Kiesewetter macht für diesen Vorgang Trump mitverantwortlich. Im Gespräch mit Kara Ballarin erklärt er, für wie gefährdet er die Demokratie in den USA hält – und warum er ein Verfahren etwa wegen Aufhetzung gegen Trump befürwortet.
Herr Kiesewetter, ich vermute, Sie saßen am Mittwochabend vor dem Fernseher und haben den Sturm auf das Kapitol in Washington D.C. verfolgt?
Oh ja, ich saß viel länger vor dem Fernseher als ich wollte. Ich habe mich durch CNN, Deutsche Welle und viele andere Sender geklickt und habe mit Kollegen in den USA telefoniert.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Bilder vom gewaltsamen Eindringen in das US-amerikanische Parlamentsgebäude gesehen haben?
Ich kenne das Kapitol und weiß daher, wie gut bewacht die Zugänge zum Gebäude eigentlich sind. Deshalb war ich wirklich erschrocken, als ich die Bilder gesehen habe. Aber ein solcher Vorfall war auch absehbar – das passierte mit Ankündigung. Präsident Donald Trump nimmt lange schon mit demokratiefeindlichen Methoden die Destabilisierung einer der ältesten Demokratien der Welt in Kauf. Bis hin zum Einsatz von Gewalt hat er alles zugelassen. Auch sein Appell an die Protestierenden war halbherzig.
Sind solche Szenen auch Deutschland denkbar?
Im Kapitol in Washington D.C. sind Schüsse gefallen, Menschen sind gestorben. Stellen Sie sich vor, das wäre bei uns im Reichstag in Berlin passiert? Die Szenen in den USA bereiten mir Sorge, auch für uns in Deutschland. Sie erinnern sich an den Sturm einiger Demonstranten auf den Reichstag Ende August?
in
Trump hat eine Spaltung Amerikas nicht erzeugt, aber befeuert. Wie kann das Land wieder zusammenfinden?
Trump ist nicht Ergebnis der letzten vier Jahre. Er ist der Abszess von Jahrzehnten der vernachlässigten ländlichen Räume in den USA und von einer immer tiefer gehenden Spaltung von Reich und Arm: Reiche werden immer weiter gefördert, Schwächere zunehmend ausgegrenzt. Der designierte nächste Präsident Joe Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris haben rund um den Eklat im Kapitol die richtigen Worte und einen angemessenen Stil gefunden. Die Nation zusammenzuführen wird eine Herkulesaufgabe – das schaffen die beiden auch nicht allein. Hier müssen alle Institutionen mithelfen – so etwa auch die US-Justiz. Sie muss nun prüfen, welche Schritte sie gegen Trump und seine Helfer gehen kann. Es braucht aber auch viel Engagement von der gesamten Gesellschaft, von nichtstaatlichen Gruppen und Akteuren.
Georgia hat zwei Demokraten als Senatoren gewählt, wie ebenfalls seit Mittwoch feststeht. Damit hat der Demokrat Biden nun Mehrheiten in beiden Parlamentskammern – im Senat wie im Kongress. Was bedeutet das nun für Bidens Präsidentschaft?
Wenn er keine innerparteilichen Widerstände erfährt, kann Biden jetzt durchregieren. Er kann dabei konkrete Politik machen, um die Gesellschaft durch Gemeinschaftsgefühl zu stärken – etwa durch eine Stärkung von Betreuung und Pflege.
Droht uns auch in Deutschland eine Spaltung der Gesellschaft nach dem Vorbild der USA?
Auch wir müssen vor allem auf unsere ländlichen Räume achten. Wenn die sich abgehängt fühlen, schadet das nachhaltig, denn dann wenden sich manche von der Demokratie ab. Wir müssen die Digitalisierung gerade auf dem Land stärken. Wir müssen uns fit machen, um etwa mit Querdenkern zu sprechen und uns den Argumenten stellen.
Kann man mit bewaffneten Milizen, wie sie in den USA existieren, reden?
Es waren vor allem Weiße, die sich von Trump haben radikalisieren lassen. Vor allem sie haben nun am Kapitol randaliert. Auf militante Gruppen muss geachtet werden. Die Nationalgarde in den USA wird nicht umhinkommen, die eine oder andere Miliz zu entwaffnen. Das wird sicher auch zu kritischen Momenten führen.
Welchen Schaden hat Trump in seinen vier Jahren als Präsident der Demokratie durch sein Agieren und Agitieren zugefügt?
Ich glaube, dass die Demokratie einen Kratzer bekommen hat, aber sie wird nicht scheitern. Das ist ähnlich wie nach den Attentaten auf John F. Kennedy oder Martin Luther King in dem Sinne, dass viel Zivilcourage und starke Bürgerrechtsbewegungen entstanden sind. Hier hilft außerparlamentarische Stärke, da wird ein Ruck durch die Aufrichtigen in den USA gehen – da bin ich mir sicher.
Muss Trump nun schleunigst das Weiße Haus verlassen? Oder reicht es, bis zum geplanten Amtsantritt Joe Bidens am 20. Januar abzuwarten?
Ich bin dafür zu prüfen, ob man nicht gleich ein Verfahren gegen Trump starten kann, etwa wegen Aufhetzung oder Missbrauchs staatlicher Gewalt. Doch ich kann mir nun auch nicht vorstellen, dass Trump so in die Geschichtsbücher eingehen will. Er wird sich die verbliebenen zwei Wochen wahrscheinlich nun mäßigen und sich dann auf die Präsidentschaftswahlen 2024 konzentrieren. 300 Millionen Dollar hat er schließlich noch in seiner Wahlkampfkasse.
Wird das frostige Verhältnis zwischen Deutschland und den USA unter Präsident Biden wieder besser werden?
Die vergangenen vier Jahre haben wir eher dazu genutzt, uns von Trump abzugrenzen, statt zu überlegen, wie wir die Beziehungen auch jenseits von Washington D.C. stärken können. Deshalb sollten wir nun auf vielen verschiedenen Ebenen wieder Kontakte knüpfen und pflegen. Mein Appell: Wir brauchen ein gemeinsames transatlantisches Projekt. Darüber habe ich auch schon mit vielen Kollegen gesprochen. Ich finde, Europa muss sich gemeinsam mit den USA und Kanada stärker um Afrika kümmern. Europa und seine Produkte müssen interessant für afrikanische Staaten werden, und wir brauchen einen nachhaltigeren Umgang mit Afrika.
Was können Sie und ihre Kollegen im Bundestag tun, um die transatlantische Freundschaft zu verbessern? Wir sollten in den USA dabei mitwirken, einen Dialog zu führen. Wir sollten nicht nur an den Küsten des Landes präsent sein, sondern gerade in den Staaten der Mitte, in denen sich die Menschen abgehängt fühlen und es zum Teil auch sind. Genau sie hat Trump hinter sich geschart, weil er ihre Sprache spricht – obwohl er natürlich selbst zur Elite gehört, gegen die er beständig hetzt. Auch wir müssen präsent vor Ort sein und als Abgeordnete häufiger in die ländlichen Räume der USA reisen. Dadurch können wir zwar innenpolitisch dort nichts verändern, aber wir können mit den Menschen, mit Gouverneuren oder auch Studenten reden und ihnen zeigen, dass wir auch sie im Blick haben.