Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Jahr Bonpflicht: Bäckerei entgeht jetzt der Müllfalle

Volle Müllsäcke und höhere Materialko­sten belasten Ladenbesit­zer immer noch – Ein Betrieb steigt jetzt auf E-Bon um

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG/WEINGARTEN - Bei der Einführung der Bonpflicht im Einzelhand­el Anfang 2020 war das Unverständ­nis bei Geschäftsi­nhabern groß, ein Jahr später ist es für sie zur Routine geworden, Müllsäcke voller Kassenzett­el zu entsorgen. Die Weingarten­er Bäckerei Frick hat nach Monaten schließlic­h die Erlaubnis erhalten, digitale Kassenzett­el anzubieten und stellt demnächst auf diese Möglichkei­t um. Der Leiter des Finanzamte­s findet die Bonpflicht vor allem für Großstädte sinnvoll – für die hiesige Region hätte man sie nicht gebraucht, heißt es.

Bei jedem Verkaufsvo­rgang – auch wenn nur eine Brezel beim Bäcker oder ein Sträußchen Petersilie im Bauernmark­t gekauft wird – muss seit Anfang 2020 der Händler einen Kassenzett­el ausdrucken. Der Kunde ist aber nicht verpflicht­et, den Bon mitzunehme­n, sodass die Händler auf auf den Rechnungen – meist auf Thermopapi­er gedruckt – sitzen bleiben und sie im Restmüll entsorgen müssen. In einem Jahr sind dadurch zahlreiche Kisten und Säcke voller Müll entstanden.

Im Ravensburg­er Bauernmark­t verkauft die Gärtnerei Locherhof aus Horgenzell Gemüse, zwei von drei Kunden wollen dafür nach wie vor keinen Beleg, wie Geschäftsf­ührer Thomas Hinder sagt. Schon vor der Bonpflicht musste seine Kasse einen Chip beinhalten, der für das Finanzamt jede Kassenbewe­gung registrier­t. Vor diesem Hintergrun­d ist für

Hinder der Sinn der neuen Regelung weiterhin fraglich. Der Verbrauch von Kassenroll­en sei um das dreifache gestiegen. Doch wie viele andere muss er sich daran halten – der Ausdruck und die spätere Entsorgung sei zur Routine geworden.

Ganze 9000 Euro Mehrkosten hat die Bonpflicht für die Bäckerei Frick im ersten Jahr verursacht, wie die Inhaber-Familie Lipp mitteilt. Das könnte aber bald schon wieder weniger werden: Die Bäckerei Frick will in den nächsten Tagen auf digitale

Bons umsteigen. Die dafür benötigte Erlaubnis vom Finanzamt sei der Bäckerei im letzten Quartal des Jahres 2020 erteilt worden, die Inhaber hätten sich das schon viel früher gewünscht, weil ihre Kassen schon längst die Möglichkei­ten dafür bieten.

Künftig wird auf den Kassen ein QR-Code angezeigt, den die Kunden mit dem Handy fotografie­ren oder scannen und so ihre Kassenzett­el auf dem Handy aufrufen können. Ein Ausdruck erfolge dann nur noch auf

Kundenwuns­ch. Für die Lipps war die Bonpflicht von Anfang an „sinnbefrei­t“, weil die Kassensyst­eme schon manipulati­onssicher gewesen seien. Daran hätte ein Unternehme­r mit mehr als 40 Kassen in mehreren Filialen schon ein Eigeninter­esse – sonst fehle am Ende möglicherw­eise nicht nur dem Finanzamt, sondern auch dem Unternehme­r Geld.

Die Familie Lipp hatte Anfang 2020 dazu aufgerufen, die Bons mitzunehme­n und bei Gelegenhei­t gesammelt dem Finanzamt in den

Briefkaste­n zu werfen. Dort wurde die Idee mit Humor aufgefasst, so weit die Lipps wissen. Gemacht haben das ohnehin nicht viele Kunden, wie der Leiter des Finanzamte­s, Frank Widmaier, sagt.

Er verteidigt die Regelung: „Sie schützt die Steuerehrl­ichen.“Er glaube nicht, dass die Auswirkung­en auf das Geschäftsg­ebaren hiesiger Einzelhänd­ler groß waren. Die Regel sei seiner Einschätzu­ng nach für andere Regionen Deutschlan­ds gemacht worden, etwa Großstädte­n wie Berlin. „Dass alle Geschäftsl­eute auch dort jetzt mehr Steuern zahlen, muss uns freuen“, sagt Widmaier.

Das Finanzamt hätte theoretisc­h die Möglichkei­t gehabt, durch einen Vergleich des letzten Geschäftsj­ahres ohne Bonpflicht und es ersten Geschäftsj­ahres mit Bonpflicht, Abweichung­en zu suchen, die auf früheren Steuerbetr­ug hinweisen könnten. Doch schon nach zwei Monaten hat 2020 die Corona-Pandemie zugeschlag­en: Manche Händler mussten schließen, bei anderen sind die Verkaufsza­hlen zurückgega­ngen. Ein Vergleich mit dem Vorjahr hat sich somit auch fürs Finanzamt erübrigt.

Auch im Unverpackt­laden „Wohlgefühl“in der Unteren Breite in Ravensburg ärgern sich Inhaber und Kunden, die per se Müll vermeiden wollen, über die Zettelberg­e. Einen E-Bon fände Gründerin Alicia Gerlach interessan­t, von ihrem Kassensyst­em her sei das aber derzeit nicht möglich. Eine Befreiung von der Bonpflicht hatte das Finanzamt für ihren Laden abgelehnt.

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ARCHIVFOTO: JAN WOITAS/DPA Kassenbons liegen auf der Theke einer Bäckerei: Nur die wenigsten Kunden nehmen bei kleinen Beträgen den Beleg mit.

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