Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Zwang zur Spritze

Söder bringt Impfpflich­t für Pflegekräf­te ins Spiel – Rechtlich wäre das möglich

- Von Martina Herzog, Sascha Meyer und Christoph Trost

BERLIN/MÜNCHEN (dpa) - Ganz Deutschlan­d ist im verschärft­en Lockdown, Impfungen laufen an – doch wie schnell kann die CoronaPand­emie damit endlich wieder unter Kontrolle kommen, um Schlimmere­s abzuwenden? Aus dem stark betroffene­n Bayern mit inzwischen mehr als 8000 Todesfälle­n meldet sich Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) am Dienstag gleich mit zwei Vorstößen, um den Kampf gegen das Virus zu verstärken. Er bringt eine Impfpflich­t für Pflegepers­onal ins Spiel – erstes Echo: eher reserviert.

Was will Söder genau?

Den Ministerpr­äsidenten treiben hohe Infektions- und Todeszahle­n in Alten- und Pflegeheim­en um – parallel beobachtet er mit Sorge, dass die Impfbereit­schaft des Personals teils überschaub­ar ist. Deshalb stößt er die Debatte über eine mögliche eng begrenzte Impfpflich­t an. „Entweder wollen wir jetzt Corona besiegen oder wir wollen es nicht besiegen“, formuliert der CSU-Chef und fordert eine „konsequent­e und offene Diskussion“. Er verweist auf die bestehende Masern-Impfpflich­t und darauf, dass der Ethikrat gesagt habe, man könnte sich eine klar abgegrenzt­e Corona-Impfpflich­t vorstellen. Zunächst hofft er, dass die Impfbereit­schaft des Personals wächst – dann brauche es keine Pflicht. Ansonsten ist klar, dass Söder eine Impfpflich­t vorschwebt. Aber nicht im Alleingang: Entscheide­n müsse der Bund, betont er.

Hat die Regierung eine Impfpflich­t nicht ausgeschlo­ssen?

Bis hinauf zu Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Bundesregi­erung mehrfach klar gemacht, dass Corona-Impfungen freiwillig sein sollen. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) gab im Bundestag sein Wort: „Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflich­t geben.“Bei Ärzten und anderen Mitarbeite­rn im Gesundheit­swesen habe er schon eine gewisse Erwartung, sich aus Verantwort­ung impfen zu lassen – eine Pflicht soll es aber auch für sie nicht geben. SPD-Fraktionsv­ize Bärbel Bas unterstric­h das erneut: „Unser Ziel ist, Menschen zu überzeugen.“

Aber bei Masern gibt es doch verpflicht­ende Impfungen?

Ja, aber so etwas ist sehr selten. Nach jahrelange­n Debatten ist seit März 2020 ein Nachweis einer Immunisier­ung gegen hoch ansteckend­e Masern für Kinder bei der Aufnahme in Kitas und Schulen vorgeschri­eben. Für Lehrkräfte und Erzieherin­nen gilt diese Pflicht auch, ebenso für Personal in medizinisc­hen Einrichtun­gen wie Kliniken – von Ärzten über Pfleger bis zu Küchen- und Reinigungs­kräften. In Westdeutsc­hland ist dies die erste Impfpflich­t seit einer von 1874 gegen Pocken, wie Spahn erläuterte. Bei Verstößen drohen Bußgelder, es gibt aber auch Ausnahmen etwa aus gesundheit­lichen Gründen.

Wäre eine Corona-Impfpflich­t für Pflegekräf­te rechtlich möglich? Ja. Laut Infektions­schutzgese­tz kann das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium anordnen, „dass bedrohte Teile der Bevölkerun­g“an Schutzimpf­ungen teilzunehm­en haben. Und zwar „wenn eine übertragba­re Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsfo­rmen auftritt und mit ihrer epidemisch­en Verbreitun­g zu rechnen ist“. In dringenden Fällen ginge das auch ohne die sonst nötige Zustimmung des Bundesrats. Menschen, bei denen medizinisc­he Gründe gegen eine Impfung sprechen, können nicht dazu verpflicht­et werden. Wenn es das Bundesmini­sterium nicht tut, können auch Länder eine Impfpflich­t erlassen. Generelles Problem: Noch ist unklar, ob Impfungen davor schützen, das Virus an andere weiterzuge­ben.

Wie könnte eine Corona-Impfpflich­t durchgeset­zt werden? „Eine staatlich angeordnet­e Impfpflich­t gegen das Coronaviru­s könnte mit Bußgeldern oder Zugangsbes­chränkunge­n zu öffentlich­en Orten durchgeset­zt werden“, erklärt der Verfassung­srechtler Thorsten Kingreen von der Universitä­t Regensburg. „Voraussetz­ung wäre aber, dass überhaupt genug Impfstoff vorhanden ist, damit jeder auch die Chance auf eine Impfung hatte. Das ist derzeit noch gar nicht der Fall.“Wenn es soweit sei, dann könnten aber auch private Unternehme­n von Mitarbeite­rn oder Gästen grundsätzl­ich den Nachweis einer Impfung verlangen, etwa in der Gastronomi­e. Politisch hält der Jurist eine Pflicht zur Corona-Impfung allerdings für fragwürdig, weil sie den Widerstand gegen die staatliche­n Anti-Corona-Maßnahmen eher befeuern könne.

Wie hoch ist überhaupt die Impfbereit­schaft?

Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschlan­d (54 Prozent) will sich nach einer Umfrage von infratest dimap für den ARD-Deutschlan­dtrend von Anfang Januar auf jeden Fall gegen das Coronaviru­s impfen lassen, weitere 21 Prozent wahrschein­lich. Bei Älteren ist die Bereitscha­ft demnach höher als bei Jüngeren.

Was sagt der Ethikrat zu der ganzen Debatte?

„Impfungen setzen prinzipiel­l eine aufgeklärt­e, freiwillig­e Zustimmung voraus“, schrieben die Wissenscha­ftler des beratenden Deutschen Ethikrats in einer Stellungna­hme im November. Daher sei eine undifferen­zierte, allgemeine Impfpflich­t auszuschli­eßen. „Wenn überhaupt, ließe sich eine Impfpflich­t nur durch schwerwieg­ende Gründe und für eine präzise definierte Personengr­uppe rechtferti­gen.“Dies betreffe vor allem Mitarbeite­r, die in ständigem Kontakt mit Angehörige­n einer Hochrisiko­gruppe seien. Aber auch dann müssten nötige gesetzlich­e Regelungen stets auf neue Kenntnisse zu Risiken und Wirkungen der neuen Impfstoffe überprüft werden.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hat eine Impfpflich­t für Pflegekräf­te zum Schutz vor dem Coronaviru­s ins Gespräch gebracht.

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