Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kontrovers­e um Sterbehilf­e in kirchliche­n Einrichtun­gen

Protestant­ische Theologen fordern Möglichkei­ten eines assistiert­en profession­ellen Suizids – Kirchen distanzier­en sich davon

- Von Claudia Kling

BERLIN - Es sind Aussagen wie diese, die nach einem Gastbeitra­g mehrerer Theologen in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“(FAZ) zu einer Kontrovers­e geführt haben, die nicht nur die Kirchen betrifft: Mit Bezug auf das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts zur Sterbehilf­e vom 26. Februar 2020 heißt es in dem Text, es könnte „auch eine Aufgabe kirchlich-diakonisch­er Einrichtun­gen sein, neben einer bestmöglic­hen medizinisc­hen und pflegerisc­hen Versorgung auch bestmöglic­he Rahmenbedi­ngungen für eine Wahrung der Selbstbest­immung bereitzust­ellen“. Und weiter: Es erscheine möglich, „( … ) abgesicher­te Möglichkei­ten eines assistiert­en Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten“. Geschriebe­n haben das nicht etwa Juristen in Karlsruhe, sondern protestant­ische Theologen: Reiner Anselm, Vorsitzend­er der Kammer für öffentlich­e Verantwort­ung der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), Ulrich Lilie, Präsident des evangelisc­hen Wohlfahrts­verbands Diakonie, und Isolde Karl, Theologie-Professori­n an der RuhrUniver­sität Bochum.

Was die Autoren des FAZ-Beitrags fordern, heißt nichts anderes, als dass ihrer Ansicht nach Suizidbeih­ilfe in kirchliche­n Alten- und Pflegeheim­en möglich sein muss – und zwar wegen des Selbstbest­immungsrec­hts, das auch für Sterbewill­ige gelte. Das hatten die Karlsruher Richter deutlich hervorgeho­ben, als sie vor knapp einem Jahr den Paragrafen 217 des Strafgeset­zbuches (StGB) für nichtig erklärt haben und damit das 2015 vom Bundestag beschlosse­ne Verbot der geschäftsm­äßigen Förderung der Selbsttötu­ng aufhoben. „Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“, heißt es in den Leitsätzen zum Urteil. Dies war aber mit dem Paragrafen 217 StGB nicht zu vereinbare­n.

Das Ringen um die Sterbehilf­e – seit Jahren beschäftig­t die Frage, wie weit die Hilfe für Sterbewill­ige gehen darf, Politiker, Kirchen, Ärzte, Gerichte und natürlich die ganze Gesellscha­ft. So ist die aktive Sterbehilf­e in Deutschlan­d, anders als beispielsw­eise in den Niederland­en, verboten. Die indirekte und auch die passive Form der Sterbehilf­e, etwa wenn Behandlung­en abgebroche­n werden oder Medikament­e zur Lebensverk­ürzung führen könnten, hingegen nicht. Zwischen diesen Polen bewegt sich die Beihilfe zum Suizid, die bis zum Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts verboten war, wenn es um „geschäftsm­äßige Förderung der Selbsttötu­ng“ging. Der Bundestag wollte 2015 mit diesem Gesetz verhindern, dass Sterbehilf­eorganisat­ionen in Deutschlan­d tätig werden, die ihre Dienste wiederholt und somit „geschäftsm­äßig“anbieten.

Suizidbeih­ilfe in kirchliche­n Altenund Pflegeheim­en: In BadenWürtt­emberg tun sich Wohlfahrts­verbände und beide Kirchen schwer mit dieser Vorstellun­g – auch wenn es Theologen waren, die sie so formuliert haben. Der Beitrag werfe „die richtigen, schwierige­n Fragen auf, die Schlussfol­gerungen überzeugen jedoch nicht“, schreibt der württember­gische Landesbisc­hof Frank Otfried July der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ich möchte nicht, dass Pflegekräf­te der evangelisc­hen Diakonie selber Beihilfe zum assistiert­en Suizid leisten und spreche mich gegen jede organisier­te Hilfe von assistiert­em Suizid in kirchliche­n Einrichtun­gen aus.“Diese Haltung unterstütz­t der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, der auch das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts kritisch bewertet hat. Er befürchtet, dass der „Druck auf Alte, Schwerkran­ke und Pflegebedü­rftige, von der Option der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e Gebrauch zu machen, um keine Last für die Angehörige­n zu sein“, zunehmen könnte.

Auch Axel Müller, CDU-Bundestags­abgeordnet­er für den Wahlkreis Ravensburg und früherer Richter am Landgerich­t, kritisiert die Forderung der Autoren nach „profession­eller Assistenz bei der Ermöglichu­ng des Suizids“. Es werde die „Vorstellun­g einer Beratungsl­andschaft geäußert“, schreibt er. „Spontan fallen mir dazu die Beratungss­tellen beim Schwangers­chaftsabbr­uch ein.“Sterbewill­ige könnten bereits jetzt aus dem Leben scheiden und dafür Helfer in Anspruch nehmen, die dafür nicht belangt würden. Als gläubiger

Christ und praktizier­ender Katholik halte er es jedoch für falsch, „dass der Gesetzgebe­r ein Instrument­arium und Einrichtun­gen schafft, die dies staatliche­rseits unterstütz­en“.

Für die Diakonie Württember­g ist eine Positionie­rung zu dem Gastbeitra­g heikel – ist doch der Präsident des Dachverban­ds einer der Mitautoren des Gastbeitra­gs. Der Vorstellun­g, den Suizidwuns­ch eines Pflegeheim­bewohners durch „besonders qualifizie­rte interdiszi­plinäre Teams in den Einrichtun­gen“zu unterstütz­en, wie es in dem Beitrag heißt, kann Oberkirche­nrätin Annette Noller, Vorstandsv­orsitzende des Diakonisch­en Werks Württember­g, nichts abgewinnen. „Eine Trennung von Pflege und Sterbeassi­stenz erscheint mir angemessen – auch im Hinblick auf das profession­elle Selbstvers­tändnis

von Pflegeberu­fen“, teilt sie mit. Innerhalb der Diakonie gebe es aber durchaus Einrichtun­gen, die sich pro assistiert­em Suizid positionie­rt hätten. „Wir sind noch in der Diskussion“, so Noller.

Klar ist aber auch, dass sich die Wohlfahrts­verbände nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts mit der Suizidbeih­ilfe beschäftig­en müssen. Doch zu einer „Normalisie­rung“des assistiert­en Suizids wolle man nicht beitragen, heißt es vom Caritasver­band der Diözese Rottenburg-Stuttgart. In der tagtäglich­en Praxis gehe es darum, „Menschen zu begleiten und Alternativ­en zum Suizid zu eröffnen“.

Auch mit der Rolle der Ärzte befassen sich die Theologen in dem Gastbeitra­g und fragen: „Wie wird die Qualitätss­icherung der tatsächlic­h durch Ärztinnen und Ärzte geleistete­n Beihilfe zum Suizid gewährleis­tet? Und vor allem: Gibt es genügend Ärztinnen und Ärzte, die sich zur Suizidbeih­ilfe bereitfind­en?“Die badenwürtt­embergisch­e Ärzteschaf­t stellt sich allerdings noch grundlegen­dere Fragen: Wie ist die rechtliche Situation von Ärzten, die Beihilfe zum Suizid leisten? 2015, als der Bundestag die Gesetzesän­derung beschlosse­n hat, habe Einigkeit bestanden, „dass die Beihilfe zur Selbsttötu­ng keine ärztliche Aufgabe“sei, weil sie „diametral den ureigenen ärztlichen Verpflicht­ungen“entgegenst­ünde, teilt ein Sprecher der Landesärzt­ekammer mit. Nach dem Karlsruher Richterspr­uch müsste der Gesetzgebe­r „die Rahmenbedi­ngungen für eine Hilfe zur Selbsttötu­ng“neu definieren, denn ein ausdrückli­ches Verbot der Suizidbeih­ilfe gehe nun ins Leere. Aber auch das betont der Sprecher: Es könne keinesfall­s „ausgesproc­hen oder unausgespr­ochen ein Anspruch hergeleite­t werden, dass ein einzelner Arzt oder die Ärzteschaf­t insgesamt zur Suizidbeih­ilfe verpflicht­et ist“.

Dass der Gesetzgebe­r rasch handeln wird, um die Verunsiche­rung von Wohlfahrts­verbänden und Ärzten auszuräume­n, ist nicht zu erwarten. „Es gibt aktuell außer fraktionsü­bergreifen­den Gesprächen keine konkreten Gesetzentw­ürfe“, teilt Axel Müller mit.

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FOTO: IMAGO-IMAGES Seit Jahren beschäftig­t die Frage, wie weit die Hilfe für Sterbewill­ige gehen darf, die Gesellscha­ft.

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