Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Gleiches Präparat für beide Impfungen“
Virologe Thomas Mertens über den Einsatz des neuen Impfstoffs von Moderna
RAVENSBURG - Nach der Ankunft des Corona-Impfstoffs des US-Herstellers Moderna in Deutschland hat am Dienstag die Verteilung an die Länder begonnen. Nach den ersten 63 600 Dosen zum Auftakt sollen in der letzten Januarwoche weitere 91 200 Dosen kommen. Doch noch immer ist Impfstoff allerorts knapp. Kann eine Person mit verschiedenen Wirkstoffen geimpft werden? Stimmt es, dass der neue Moderna-Impfstoff bei Menschen, die älter als 65 sind, weniger gut wirkt? Und ist die deutsche Strategie bei der Suche nach Virusmutationen richtig? Der Ulmer Virologe Professor Thomas Mertens gibt im Gespräch mit Theresa Gnann Antworten.
Die ersten Chargen Corona-Impfstoff des US-Herstellers Moderna sind in Deutschland eingetroffen. Welche Unterschiede gibt es in der Wirksamkeit im Vergleich zum Impfstoff von Biontech?
Nach Analyse der vorliegenden Daten aus den Zulassungsstudien kommt die Stiko zu dem Ergebnis, dass beide Impfstoffe, Biontech und Moderna, hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Sicherheit als gleichwertig einzustufen sind. Deshalb gibt es auch keine speziellen Empfehlungen für den einen oder anderen Impfstoff.
Der Moderna-Impfstoff scheint einen etwas höheren, zumindest kurzzeitigen, Schutz nach der ersten Impfdosis zu verleihen. Die scheinbar etwas schwächere Wirksamkeit in der Altersgruppe der über 65-Jährigen ist sehr wahrscheinlich ein statistischer Effekt, der durch die Zahl der Geimpften und der nach Impfung Erkrankten in dieser Altersgruppe hervorgerufen wird. Die jetzigen Angaben zu den Wirksamkeiten können sich in geringem Maße auch noch bei beiden Impfstoffen ändern, wenn man die Daten von den jetzt in Impfkampagnen großen Anzahlen an Geimpften auswerten kann.
Ist es denkbar, einer Person zwei verschiedene Impfstoffe zu verabreichen?
Für die ersten beiden Impfdosen, die zur Komplettierung der Grundimmunisierung nötig sind, nicht. Alle Menschen sollen für die ersten beiden Impfungen das gleiche Präparat in einem Mindestabstand von 21 (Biontech) und 28 (Moderna) Tagen und einem maximalen Abstand von 42 Tagen erhalten. Für eine sichere weitere Verlängerung dieses Abstandes fehlen die erforderlichen Studiendaten. Das Vorgehen in England ist mehr eine „Verzweiflungstat“, die nicht ausreichend abgesichert ist. Für spätere Auffrischimpfungen, nach zum Beispiel einem Jahr, wird dies nicht unbedingt gelten.
Wieder ist eine neue Virusmutation aufgetaucht – diesmal in Japan. Hierzulande gibt es Kritik an
Deutschlands Bemühungen, Corona-Mutationen zu finden. Muss die Überwachung des Virus aus Ihrer Sicht weiter ausgebaut werden?
Wie bereits vor Kurzem gesagt, sind Mutationen bei Viren und besonders bei Viren, die ein RNA-Genom besitzen, etwas biologisch Normales. Diese Mutationen entstehen ungerichtet und spontan als Fehler bei der Vermehrung der RNA-Genome für die neuen Viruspartikel, die dann als fertige „Nachkommenviren“mit Proteinhülle aus der Zelle ausgeschleust werden. Eine gute Chance, sich in der Bevölkerung „durchzusetzen“, haben solche Virusvarianten/Virusmutanten dann, wenn diese Mutationen einen Vorteil für die Varianten bedeuten. Man nennt dies einen Selektionsvorteil. Dieser kann in schnellerer Vermehrung, höherer Virusproduktion, besserer Übertragbarkeit, aber auch in Resistenz gegenüber vorhandenen Antikörpern (also Immunität) bestehen.
Es ist offensichtlich, dass es außerordentlich wichtig ist, das „Mutationsgeschehen“bei den Viren in unserer Bevölkerung engmaschig und ständig zu überwachen. Nur dann sind wir in der Lage, schnell im Hinblick auf die erforderliche virologische Diagnostik (eine Mutante könnte sich unter Umständen den bestehenden Nachweisverfahren entziehen) und natürlich auch im Hinblick auf andere Eigenschaften solcher Mutanten und letztlich im Hinblick auf den Impfstoff zu reagieren.
Das erfordert natürlich Untersuchungskapazitäten und Geld vom Staat, denn die Krankenkassen zahlen solche epidemiologischen, teuren Untersuchungen nicht, weil es nicht zur Diagnostik für den Patienten gehört.