Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Industrie gegen Zwang zum Homeoffice
BDI warnt außerdem vor einer coronabedingten Schließung von Betrieben
BERLIN - Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) lehnt strengere Vorgaben für mehr Homeoffice oder gar die Schließung von Betrieben ab. Über Möglichkeiten der Heimarbeit könnten die Betriebsparteien am besten entscheiden, sagt der neue BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Es gebe keine Hinweise darauf, dass in den Industriebetrieben Hotspots entstehen. Der BDI warnt auch davor, Betriebe wie im vergangenen Frühjahr stillzulegen. Nach einer vierwöchigen
Pause würden dann weitere vier
Wochen zum Hochfahren der Produktion gebraucht.
Zugleich er- wartet der BDI mehr Verlässlichkeit der Politik im Umgang mit der Pandemie. Spätestens im Februar müssten differenzierte und kreative Lösungen für einen mittelfristigen Zeitraum an die Stelle pauschaler Schließungen rücken.
Von einem Stillstand der Wirtschaft will auch die Bundesregierung nichts wissen. „Die Bänder laufen“, versichert Arbeitsminister Hubertus Heil. Allerdings seien die Unternehmen dringend aufgerufen, die Arbeit wo immer es geht ins Homeoffice zu verlagern. Dies könne die Kontakthäufigkeit weiter senken.
Insgesamt zeigt sich die Industrie trotz der Krise robust und zuversichtlich. In diesem Jahr rechnet der BDI mit einem Wachstum um 3,5 Prozent. Die Exporte legen sogar um sechs Prozent zu. Mitte 2022 kann demnach das Niveau von vor der
Krise wieder erreicht werden. Ob es doch noch zu einer großen Pleitewelle kommt, können auch die Volkswirte des Verbands noch nicht abschätzen.
Langfristig sieht die Industrie in Deutschland allerdings erheblichen Handlungsbedarf, damit die Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben. „Corona verschärft die Anforderungen an den Strukturwandel“, warnt Russwurm. Der Staat müsse deshalb die öffentlichen Investitionen erhöhen. Der BDI sieht eine Lücke von 20 Milliarden Euro im Jahr bei den staatlichen Investitionen.
Als Hemmnis sieht die Industrie auch die vergleichsweise hohen Steuersätze in Deutschland. Während die Belastung der Unternehmen im europäischen Durchschnitt bei 22 Prozent des Gewinns liegt, müssen die hiesigen Firmen 31 Prozent an den Staat abführen. Der Verband fordert daher eine Absenkung der Körperschaftsteuer sowie eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags für die Wirtschaft. Auch würde die Industrie gerne Verluste aus dem vergangenen und diesem Jahr mit früheren Gewinnen verrechnen. Das brächte eine weitere Steuerersparnis.
International keimt in der Exportwirtschaft die Hoffnung auf bessere Zeiten. Hoffnungsfroh registriert der BDI das Ergebnis der US-Wahl. „Die Wahl von Joe Biden erleichtert den Weg für multilaterale Lösungen und gemeinsame Initiativen für faire Wettbewerbsbedingungen auf den Weltmärkten“, schätzt Russwurm. Der BDI verteidigt auch das jüngste Abkommen der EU mit China. Es sei erstmals gelungen, humane Arbeitsbedingungen überhaupt zur Sprache zu bringen. In China erwartet die Industrie große Marktchancen. Das Land sorge allein für ein Drittel des Wachstums in diesem Jahr.